Vergewaltigungsopfer klagen gegen kenianische Regierung
25. März 201430. Dezember 2007: Die Ergebnisse der kenianischen Präsidentschaftswahl werden bekannt gegeben. Mwai Kibaki wird als Staatschef bestätigt. Die Opposition geht auf die Barrikaden und wirft der Regierung Wahlfälschung vor. Kurze Zeit später brechen Unruhen aus. Anhänger beider Parteien bewaffnen sich. Mit Macheten, Messern und Eisenstangen gehen sie aufeinander los. Häuser brennen, Menschen werden verstümmelt und zerhackt. Frauen und Kinder sind leichte Opfer. Nicht nur von Zivilisten, auch von der Polizei werden sie gedemütigt, vergewaltigt, gefoltert.
"Bis heute haben die Überlebenden keine Anerkennung und Hilfe erfahren. Viele von ihnen haben bleibende körperliche Schäden, leiden an den psychischen Folgen der Vergewaltigungen und wurden mit dem HI-Virus infiziert", berichtet Masheti Masinjila, Direktor des "Collaborative Centre for Gender and Development". Für die Lobbyarbeit seines Instituts sammelte er auch Fälle von Frauen, die vergeblich versuchten, ihre Vergewaltiger anzuzeigen. Meist wurden sie an den Polizeirevieren abgewiesen, da sexualisierte Gewalt nicht als ernsthaftes Vergehen betrachtet wird. Masinjila erzählt von einem Fall, in dem der Polizist fragte: "Ist jemand tot? Wurde jemand geschlagen?" Und als die Antwort negativ war, sagte der Polizist: "Dann haben wir ernsthaftere Sachen zu tun."
Sammelklage gegen das Regime der Straflosigkeit
Nun klagen acht Überlebende, unterstützt durch mehrere Menschenrechtsorganisationen, gegen den Generalstaatsanwalt der Republik Kenia, den Leiter der nationalen Kontrollbehörde, den Generalinspekteur der Polizei und das Gesundheitsministerium. Ihre Hauptanklagepunkte: Die Polizei habe versagt, Zivilisten vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Zudem weigerten Polizisten sich bis heute, diese Straftaten aufzunehmen und nachzuverfolgen, heißt es in der Klageschrift.
Alle Klägerinnen bleiben in dem Verfahren anonym. Lydia Muthiani, stellvertretende Direktorin der kenianischen Menschenrechtsorganisation "Coalition on Violence against Women", hat ihre Aussagen aufgenommen. Sie erzählt von dem Fall einer Klägerin aus dem Slum Kibera im Süden Nairobis. Die Frau sei zuerst von Angehörigen einer Polizeistreife und dann von Kleinkriminellen in ihrem Haus vergewaltigt worden: "Sie bogen ihr Bein so weit nach oben, dass sie wusste, sie hatten es gebrochen. Sie wusste es, weil sie es brechen spürte. Danach vergewaltigten die Polizisten sie und verließen anschließend das Haus." Später am Tag sei eine andere Gruppe in das Haus gekommen, um zu plündern. Die Frau habe immer noch nackt auf dem Boden gelegen und sich nicht bewegen können. "Einer der Männer sagte: Oh, du bist schon vorbereitet für uns. Und sie verstand sofort, was nun passieren würde."
Frauenrechte ins öffentliche Bewusstsein rücken
Der Prozess ist bereits seit Februar 2013 anhängig. Doch die beschuldigten Behörden haben lange nicht auf die Klageschrift reagiert. Zum ersten Gerichtstermin am 22. Januar dieses Jahres waren zudem nicht alle Vertreter erschienen. Daher wurde der Prozessauftakt auf den 25. März verlegt. Das Verfahren hat jedoch bereits vor seinem offiziellen Auftakt große öffentliche Aufmerksamkeit erregt - nicht nur, weil es sich gegen die Regierung richtet. Der Prozess rüttelt auch an einem gesellschaftlichen Tabu: "Wir Kenianer betrachten so etwas meist aus einer traditionellen Perspektive. Wenn ein Mädchen geschändet oder eine Frau vergewaltigt wird, deuten viele das als Fluch", sagt die kenianische Genderexpertin Faith Ochieng. Deshalb arbeitet sie bei der Menschenrechtsorganisation "KITUO Cha Sheria" nicht nur dafür, dass die Fälle vor Gericht kommen. Wichtig ist für sie auch, dass sich die öffentliche Meinung zu diesem Thema verändert. Denn die wenigsten Fälle werden überhaupt angezeigt. Meist würden die Opfer selbst für die Tat verantwortlich gemacht oder sogar von ihrer Familie verstoßen. Denn eine vergewaltigte Frau sei auch eine Schande für die ganze Familie, erklärt Ochieng.
Viele zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für Kinder- und Frauenrechte einsetzen, hoffen, dass der Prozess die Menschen in Kenia wachrüttelt. Inzwischen gibt es zwar mehr Möglichkeiten für Opfer sexualisierter Gewalt, Anzeige zu erstatten. Dennoch halten viele Bürger eine Vergewaltigung weiterhin für ein Kavaliersdelikt. Aktivisten fordern eine bessere Schulung von Polizei, Ärzten und Verwaltungsangestellten, die mit Überlebenden zu tun haben. Dazu könnte der Prozess einen wichtigen Beitrag leisten - unabhängig davon, wie er juristisch entschieden wird.