Verfeindete Verwandte
14. Juli 2013Der letzte Schauplatz des Kalten Krieges liegt entlang des 38. Breitengrades auf der koreanischen Halbinsel. Am Grenzübergang Panmunjom lugen nordkoreanische Uniformierte aus den Fenstern ihres zweistöckigen Gebäudes, stets das Fernglas vor den Augen. Wenige Dutzend Meter Luftlinie entfernt stehen ihnen südkoreanische Elitesoldaten mit Sonnenbrillen und kugelsicheren Westen in der Habachtstellung der Taekwondo-Kämpfer gegenüber, die Beine gespreizt, die Arme angewinkelt.
Sie bewachen vier weiße und drei blaue Wellblechbaracken auf asphaltiertem Grund. Ein weißes Betonband auf dem Boden markiert die Grenze. "An diesem Tisch wurde vor 60 Jahren der Waffenstillstand ausgehandelt, wir saßen hier, dort saßen die Amerikaner", erzählt ein nordkoreanischer Leutnant in der mittleren Baracke, die beide Seiten abwechselnd betreten dürfen. "Dabei wurde geschimpft und diskutiert. Die Demarkationslinie geht mitten durch den Tisch."
Koreanische Paranoia
Die gespenstisch wirkende Grenze symbolisiert die schwierige Verwandtschaft der koreanischen Staaten. Einerseits darf die vier Kilometer breite und völlig entmilitarisierte Zone entlang der Demarkationslinie nur mit Erlaubnis der UN-Waffenstillstandskommission betreten werden, so dass dort ein Naturreservat für seltene Tiere und Pflanzen entstanden ist. Andererseits liegen zu beiden Seiten dieser "Entmilitarisierten Zone" (DMZ) Hunderttausende von Soldaten hinter gestaffelten Panzersperren, Minenfeldern und Wachtürmen.
Die vergrabenen Artilleriegeschütze und Mehrfach-Raketenwerfer des Nordens können die nur 50 Kilometer entfernte südkoreanische Hauptstadt Seoul mühelos erreichen und würden dort in wenigen Stunden alles in Schutt und Asche legen. Trotz dieses Damoklesschwertes leben dort 20 Millionen Menschen und damit zwei Fünftel aller Südkoreaner. Vor allem die jüngere Bevölkerung hat inzwischen vergessen, wie lange und heftig die beiden Staaten nach dem Korea-Krieg verfeindet geblieben waren.
Militärregime gegen Parteidiktatur
In den fünfziger Jahren war Nordkoreas Führer Kim Il Sung damit beschäftigt, seine Parteidiktatur durch stalinistische Säuberungen zu festigen. Als in Südkorea während der April-Revolution 1960 das korrupte Regime von Präsident Rhee Syng Man kollabierte, begann Pjöngjang, auf einen sozialistischen Aufstand im Süden hinzuarbeiten - ermutigt durch die Ereignisse in Vietnam, wo der sozialistische Norden mit einer Guerillataktik den kapitalistischen Süden eroberte. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre attackierte der Nordkorea den den verfeindeten Nachbarn daher so sehr, dass manche Historiker von einem "zweiten Korea-Krieg" sprechen.
Pjöngjang baute im Untergrund eine kommunistische Partei auf. Entlang der DMZ kam es zu Übergriffen auf Grenzpatrouillen. Anfang 1968 dann attackierte ein 31-köpfiges nordkoreanisches Kommando den Präsidentenpalast in Seoul, um Militärherrscher Park Chung Hee und seine Regierung zu töten. Fast zeitgleich wurde das US-Kriegsschiff "Pueblo" gekapert. Wenige Monate später gingen 120 Nordkoreaner an der Ostküste an Land, um in südkoreanischen Dörfern Guerilla-Kämpfer anzuwerben.
"Friedliche" Koexistenz
Zur Enttäuschung des Nordens griffen die "geplagten Massen" im Süden aber nicht zu den Waffen. Der normale Südkoreaner blieb anti-kommunistisch eingestellt und misstraute den Verheißungen eines Arbeiterparadieses aus dem Norden. Daher vollzog Kim Il Sung Anfang der siebziger Jahre eine Kehrtwende. Im Gleichklang mit der innerdeutschen Entspannung erklärten die beiden Koreas im Juli 1972 in einem Nord-Süd-Kommuniqué ihre Absicht einer friedlichen Wiedervereinigung. Das war zwar rein rhetorisch gemeint, aber legte den Rahmen für ihre Beziehungen fest.
An der Politik der gegenseitigen Nichtanerkennung haben beide Seiten bis heute festgehalten, aber seit damals halten sie auf verschiedenen Ebenen miteinander Kontakt. Das hat den Norden allerdings nicht von militärischen Abenteuern abgehalten. 1983 verübten nordkoreanische Agenten während eines Staatsbesuchs von Präsident Chun Doo Hwan im heutigen Yangon (Myanmar) einen Bombenanschlag. 19 Personen wurden getötet, darunter vier südkoreanische Kabinettsmitglieder. Vor den Olympischen Spielen in Seoul sprengte ein Kommando 1987 ein südkoreanisches Passagierflugzeug mit 115 Menschen in die Luft. Zuletzt versenkte ein mutmaßlich nordkoreanischer Torpedo im Frühjahr 2010 eine südkoreanische Fregatte.
Sieger Südkorea
Das Wettrennen der Systeme im Süden und Norden war jedoch spätestens Ende der achtziger Jahre durch den Niedergang des Ostblocks entschieden. Ohne die Tauschwirtschaft des Wirtschaftsbündnisses Comecon und die Hilfe der Sowjetunion geriet Nordkoreas Planwirtschaft ins Stocken, eine falsche Agrarpolitik und Überschwemmungen verursachten Mitte der neunziger Jahre eine verheerende Hungerkatastrophe. Dagegen hatte der Staatskapitalismus im Süden die einstige Reisschüssel Koreas in eine Industrienation mit mächtigen Konzernen wie Hyundai, LG und Samsung verwandelt. Anschließend gelang Südkorea sogar der Übergang zur Demokratie.
Die wirtschaftliche Übermacht des Südens und das militärische Schreckenspotenzial des Nordens bestimmen seither das Verhältnis der beiden koreanischen Staaten. Die sogenannte Sonnenscheinpolitik des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung weckte zwar Hoffnungen auf eine Annäherung. Doch die Euphorie des ersten innerkoreanischen Präsidententreffens im Juni 2000 war schnell verflogen. Denn Nordkoreas Führung konzentriert sich auf das eigene Überleben. Ihre Atom- und Raketenrüstung soll zugleich abschreckend und erpresserisch auf den Süden wirken. Präsident Lee Myung-bak fror die Beziehungen zum Norden deshalb ein. Seine Nachfolgerin Park Geun-hye will dagegen im 60. Jahr nach dem Krieg eine erneute Annäherung wagen.