Verfassungsschutzbericht heizt Debatte um "No-Go-Areas" an
22. Mai 2006Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) rief bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für 2005 am Montag (22.5.) zu einer "besonderen Aufmerksamkeit" im Kampf gegen den Rechtextremismus auf. Nach dem Bericht stieg die Zahl der Neonazis 2005 um rund 300 auf 4100 an. Auch die Zahl gewaltbereiter Rechtextremisten erhöhte sich demnach leicht von 10.000 im Jahr 2004 auf 10.400 im vergangenen Jahr. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten stieg von 12.051 auf 15.361. Davon waren 958 Gewalttaten, was einem Anstieg von 23,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.
"Gewaltmonopol gilt überall"
Fremdenfeindlichkeit und jede Form von Extremismus werde "auf das Entschiedenste" bekämpft, sagte Schäuble bei der Vorlage des Verfassungsschutzberichtes 2005. Der Innenminister bezeichnete Vorwürfe, die Polizei gehe nicht mit aller Entschiedenheit gegen Ausländerfeindlichkeit vor, als "unbegründet". Er betonte zudem, dass es keine "No-Go-Areas" für Ausländer geben dürfe. Es gebe in Deutschland natürlich regionale Konzentrationen des Rechtsextremismus, sagte Schäuble weiter. Es gebe aber keine Zone, in der das Gewaltmonopol des Staates nicht gelte.
Bundesarbeitsminister Franz Müntefering sagte am Montag, die Gefahr von Rechts sei da und es sei richtig, nichts zu vertuschen. Allerdings sprach sich der SPD-Politiker dagegen aus, Ausländern zu empfehlen, bestimmte Gegenden zu meiden. "Das kann man nicht von solchen Ereignissen abhängig machen", sagte er mit Blick auf den Überfall auf das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, Giyasettin Sayan, der am Freitagabend in Berlin-Lichtenberg von zwei Unbekannten beschimpft und niedergeschlagen worden war. Dabei erlitt der Politiker schwere Kopfverletzungen. Nach Angaben der Polizei gibt noch keine konkrete Spur der Täter. Sayan habe außerdem noch nicht umfassend vernommen werden können.
"Zynische Logik"
Die Grünen werteten den Verfassungsschutzbericht als Beweis für eine sich verfestigende und wachsende rechtsextremistische Szene. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bundestag, Volker Beck, forderte die Politiker auf, ihren Kampf gegen den Rechtsextremismus zu verstärken. Dieser dürfe nicht länger von der "tagespolitischen Konjunktur" abhängig gemacht werden. Beck kritisierte verharmlosende Äußerungen, wie sie auch von Politikern immer wieder zu hören seien. Dazu zählten auch Sätze wie der von Innenminister Schäuble, dass auch blonde und blauäugige Menschen in Deutschland Opfer von Gewalttaten würden, oder der Spruch des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU), wonach ein Türke in München im Zweifelsfall sicherer als in Ankara lebe. Mit einer solch "zynischen Logik" spiele man Rechtsextremisten in die Hände, sagte Beck
Müntefering forderte, gegen Kundgebungen der rechtsextremen NPD während der Fußball-WM zu demonstrieren: "Wir werden unmissverständlich deutlich machen, dass kein Mensch, der in Deutschland ist, Angst haben muss, weil er eine andere Hautfarbe oder einen anderen Namen oder eine andere Herkunft hat." Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sprach sich dagegen aus, Gebiete zu "No-Go-Areas" zu erklären.
"Feiert nicht in Friedrichshain"
Der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Sebastian Edathy, sagte mit Blick auf die Fußball-WM: "Es gehört zur Redlichkeit, den Gästen gegenüber schon zu sagen, wenn ihr nach Berlin kommt und feiern wollt, (...) dann macht das vielleicht nicht in Friedrichshain oder Marzahn, sondern in Mitte oder in Kreuzberg." Im ZDF sagte er: "Es ist schon so, dass Menschen mit nicht weißer Hautfarbe in manchen Regionen gefährdeter sind als anderswo." Der Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach und der FDP-Innenpolitiker Max Stadler warnten in der "Berliner Zeitung", die Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgehe, dürfe nicht verschwiegen werden. "Wenn wir ein veritables Problem haben - und der Rassismus als Tatmotiv ist ein veritables Problem - dann kann man nicht sagen, das verschweigen wir, weil wir Fußball-Weltmeisterschaft haben", sagte Bosbach. Wie Edathy hielt auch Bosbach der Polizei Defizite im Vorgehen gegen rechte Gewalt vor. Die Gewerkschaft der Polizei hatte diese Vorwürfe bereits am Wochenende zurückgewiesen. (stu)