Verfassungsbeschwerde gegen Überwachung durch den BND
27. Januar 2023Vielen wird es wie ein Déjà-vu vorkommen: War das Gesetz über die Befugnisse des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND nicht schon einmal vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet? Die Antwort lautet: ja. Im Mai 2020 wurde die etwas kryptisch als strategische Ausland-Fernmeldeaufklärung bezeichnete Überwachung der globalen Telekommunikation für verfassungswidrig erklärt.
Can Dündar beteiligt sich an dem Verfahren
Begründung: Das BND-Gesetz verstoße gegen das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit. Beides wird im Grundgesetz garantiert. Geklagt hatten Journalistinnen und Journalisten gemeinsam mit Presse- und Menschenrechtsvereinen sowie Gewerkschaften. Jetzt ziehen erneut potenziell von Ausspähung Betroffene aus dem In- und Ausland vor Gericht. Darunter befindet sich der im deutschen Exil lebende Journalist Can Dündar; auch er hält das 2021 reformierte BND-Gesetz für verfassungswidrig.
Mit dabei sind auch wieder die weltweit für Pressefreiheit kämpfende Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Aus Sicht des Verfahrenskoordinators Bijan Moini, der die Rechtsabteilung bei der GFF leitet, ist die legalisierte Überwachungspraxis ein "rechtspolitischer Skandal". Denn nach wie vor kann der BND auch ohne konkreten Anlass millionenfach die elektronische Kommunikation im Ausland mit Hilfe von Suchbegriffen durchforsten.
Auch der Staatstrojaner ist erlaubt
Bijan Moini zählt eine ganze Reihe von Punkten auf, die er für unzulässig hält: Der BND dürfe zu viele Daten erheben, zu viele Themenbereiche erforschen, zu viele Personen überwachen und zu tief in die Arbeit investigativ arbeitender Journalistinnen und Journalisten blicken. "Unter dem Deckmantel der strategischen Informationsgewinnung im Ausland darf der BND jetzt auf Einzelpersonen zugeschnittene Überwachungsmittel wie den Staatstrojaner einsetzen – ohne nennenswerte Einschränkungen", kritisiert der Jurist.
Aus seiner Sicht ist das Gesetz allzu vage formuliert, wenn es um "Gefahrenerkennung" geht. Als Beispiel nennt Bijan Moini, dass der BND "zum Schutz der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland" überwachen dürfe. Das sei ein denkbar weiter Begriff, "darunter kann praktisch alles fallen". Man wisse nicht genau, was "Handlungsfähigkeit" heißen solle oder was "zum Schutz" erforderlich sei.
Nicht-Deutsche sind stärker gefährdet
Auch die im BND-Gesetz gemachte Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne deutschen Pass hält der Koordinator der Verfassungsbeschwerde für grundgesetzwidrig. Nach dieser Logik dürfte die türkische Frau eines Deutschen im Gegensatz zu ihrem Mann im Ausland überwacht werden. Dass Inhalte aus Mails oder über Messenger-Dienste wie Signal und Telegram versendete Nachrichten nicht ausgewertet werden dürfen, beruhigt Bijan Moini keinesfalls.
Auch Helena Hahn von Reporter ohne Grenzen verweist auf die sogenannten Metadaten, die dem Zugriff durch den Bundesnachrichtendienst ausgeliefert sind. "Wer mit wem wie lange kommuniziert", das erfahre die Behörde schon. Diese Kommunikationsprozesse seien unglaublich wertvoll für den BND und andere Geheimdienste, meint die ROG-Expertin. "Weil sie Kontakte, Netzwerke und die Tätigkeitsschwerpunkte einer Person preisgeben können, die dann verarbeitet und analysiert werden."
Wichtige Quelle: Whistleblower
Für Medien, aber auch für andere Berufsgeheimnisträger wie Ärzte und Juristinnen werde es immer schwieriger, ihre Quellen und Kontakte zu schützen, befürchtet Helena Hahn. "Lauscht der Staat mit, wird kritische Berichterstattung erschwert." Auch Whistleblower sind gefährdet. Der Kontakt zu ihnen werde behindert oder könne sogar enden, "weil das Vertrauensverhältnis gestört ist". Und das sei Grundvoraussetzung für eine gute, unabhängige und kritische journalistische Arbeit.
Reporter ohne Grenzen und die Gesellschaft für Freiheitsrechte sehen aber nicht nur in der BND-Praxis eine Bedrohung. Helena Hahn hält es für "ganz egal", wo auf der Welt sie stattfinde und von welcher Regierung sie ausgehe. Man betrachte Spionage gegen Journalistinnen und Journalisten als "massiven Eingriff und auch Angriff auf die Pressefreiheit".
Spähsoftware Pegasus auf dem Telefon
Deshalb freut sie sich über Frauen und Männer aus anderen Ländern, die das BND-Gesetz ebenfalls gefährlich finden und sich an der Verfassungsbeschwerde beteiligen. Der Belgier Peter Verlinden weiß, welche Folgen investigative Recherche haben kann. In seinen 30 Jahren als Afrika-Korrespondent für den öffentlich-rechtlichen Rundfunksender VRT hat er oft über Themen wie Schmuggel und Korruption berichtet. Das, so scheint es, missfiel Geheimdiensten.
"Vor zwei Jahren war mein Telefon mit der Spähsoftware Pegasus infiziert", erzählt Peter Verlinden in einem Online-Pressegespräch. Das habe der belgische Militärgeheimdienst herausgefunden. "Und der vermutet, dass höchstwahrscheinlich die Regierung in Ruanda hinter der Aktion steckte." Dadurch sei er sich mehr denn je der Gefahr, überwacht zu werden, bewusst geworden. Sei es durch ein Regime wie in Ruanda, aber auch in Europa. "Und aus diesem Grund unterstütze ich auch die Verfassungsbeschwerde gegen den BND", sagt Peter Verlinden.