Erster Nationaler Stahlgipfel
22. Oktober 2018Es ist das erste Mal, dass es in Deutschland einen Nationalen Stahlgipfel gibt. Die hiesige Stahlindustrie muss eine Reihe von Herausforderungen bewältigen: Auf dem Weltmarkt drückt ein Überangebot auf die Preise, Klimaschutz-Maßnahmen und Emissionshandel verursachen Kosten und die Digitalisierung muss vorangetrieben werden. Auf dem Treffen soll nun sondiert werden, wie die Schwierigkeiten zu meistern sind und welche Rolle dabei die Politik spielen kann und sollte, damit auch in Zukunft noch in Deutschland Stahl produziert wird.
Dafür treffen sich am Montag Vertreter der Branche sowie der Landesregierungen der stahlproduzierenden Bundesländer (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und das Saarland). Erwartet werden auch der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und der Präsident des deutschen Stahlverbands, Hans Jürgen Kerkhoff.
"Die Stahlallianz soll deutlich machen, dass es gemeinsame Anstrengungen von Unternehmen und Politik braucht, damit die Branche im Wettbewerb dauerhaft bestehen kann", meint Gewerkschaftschef Hofmann.
Emissionshandel kommt Stahlbranche teuer zu stehen
Ein Thema ist der Klimaschutz, der die Branche belastet. Bei der Produktion von Stahl wird viel Kohlendioxid ausgestoßen, das als Hauptverursacher der globalen Erderwärmung gilt. Für jede Tonne des Treibhausgases müssen die Hersteller in Europa Emissionsrechte kaufen. Der Preis für solche Zertifikate hat sich aber allein in den letzten zwölf Monaten mehr als verdoppelt, da die EU immer weniger der Zertifikate vergibt. Das treibt auch den Preis für Strom aus fossilen Quellen in die Höhe. Für die Branche bedeutet das "massive Mehrkosten", heißt es von der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die können sich noch erhöhen, wenn die Zertifikate weiter verknappt werden.
Die Politik müsse daher auch die steigenden Klimaschutz- und Energiekosten der Betriebe im Auge haben, mahnt Verbandspräsident Hans Jürgen Kerkhoffvor dem Treffen gegenüber der "Welt". "Im kommenden Jahrzehnt drohen der Stahlindustrie in Deutschland allein durch den Kauf von Zertifikaten im Rahmen des EU-Emissionsrechtehandels Zusatzkosten von insgesamt 3,5 Milliarden Euro. Hinzu komme der Anstieg der Stromkosten", sagt Kerkhoff.
Für einen "Klimasünder" hält Kerkhoff seine Branche nicht. Er räumt ein, dass "die etablierten Produktionsverfahren" bei der Reduzierung der Kohlendioxidemissionen an "prozessbedingte Grenzen" stoßen würden. Neue Verfahren und Technologien müssten erst entwickelt beziehungsweise im großen Stil getestet werden. Die Umstellung auf CO2-arme Techniken sei zugleich "mit hohen Mehrkosten verbunden".
Die Politik müsse daher "eine Antwort geben, wie solche Kostennachteile verhindert oder ausgeglichen werden können", verlangte Kerkhoff. Auch müsse sie sich darum kümmern, wie deutsche und europäische Stahlhersteller wettbewerbsfähig bleiben könnten im Vergleich zu denjenigen, "die so große Anstrengungen im Klimaschutz nicht unternehmen".
Strukturwandel zur E-Mobilität könnte Stahlindustrie zusetzen
Auch Roland Döhrn vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) weist auf den Wandel in der Autoindustrie hin, der der Stahlbranche Schwierigkeiten bereiten kann. Angesichts des Wandels hin zur Elektromobilität müsse die Branche im laufenden Jahr mit einem Produktionsrückgang rechnen, glaubt er. Der Grund: E-Fahrzeuge werden besonders leicht konstruiert, um so Akkuleistung zu sparen. Daher wird oft weniger Stahl eingesetzt.
Ob der Strukturwandel in der Autobranche auch Standorte und Jobs hierzulande bedrohen werde, sei schwer zu sagen, meinte Döhrn. "Wenn ich Autos für den chinesischen oder indischen Massenmarkt verkaufen will, kann ich das nicht zu deutschen Kosten."
US-Zölle auf Stahl
Zusätzlich wird die hiesige Stahlindustrie noch von den Zöllen der USA belastet. Vor etwa vier Monaten hatte US-Präsident Donald Trump Strafzölle von 25 Prozent auf Stahl aus bestimmten Ländern - auch aus Europa - eingeführt. Andere Staaten konterten und erheben ebenfalls Zölle auf US-Güter. Die befürchteten Auswirkungen zeigen sich mittlerweile. So gingen die Exporte in die USA in den vergangenen Monaten deutlich zurück, während die Einfuhren in die Europäische Union (EU) sprunghaft gestiegen seien, berichtet die "Welt" unter Berufung auf Zahlen der Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV) vorab.
Seit Juni erheben die Vereinigten Staaten die Strafzölle. Ende Juli lagen die Stahlimporte in den Vereinigten Staaten zehn Prozent oder umgerechnet gut 1,6 Millionen Tonnen niedriger als im Vorjahr. Gleichzeitig wurden rund 1,7 Millionen Tonnen Stahl mehr nach Europa geliefert.
"Die befürchteten Handelsumlenkungen sind nicht zu übersehen", so Martin Theuringer, Geschäftsführer der WV Stahl. Da der US-Markt abgeschottet ist, werden aus anderen Staaten zehn Prozent mehr Stahl nach Europa verschifft. "Die EU-Importe erreichen dabei historische Höchststände", heißt es von dem Verband. Vor allem die Türkei und Russland liefern große zusätzliche Kontingente in die EU-Länder, aber auch aus der Ukraine und aus Taiwan gibt es spürbare Zuwächse. "Der Einfuhrdruck hat sich enorm verschärft", beschreibt Theuringer die aktuelle Lage.
Inzwischen hat die EU-Kommission vorläufige Zollkontingente eingeführt, sogenannte Safeguards. So soll der ursprünglich für US-Kunden bestimmte Stahl nicht für Preisdruck in Europa sorgen, weil sich mit den Safeguards Stahl-Importe nach Europa begrenzen lassen.
Die Industrie sorgt sich darum, dass es sich dabei aber nur um ein vorläufiges Instrument handelt. "Wir werben bei der Bundesregierung und der EU-Kommission deshalb intensiv dafür, dass daraus auch endgültige Maßnahmen werden", sagte Theuringer.
Überkapazitäten belasten den Markt
Seit längerem machen den Stahlherstellern weltweite Überkapazitätenzu schaffen, die sich nach Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf mehr als 500 Millionen Tonnen belaufen. Vor allem chinesische Hersteller werfen viel billigen Stahl auf den Weltmarkt. 2016 gab es dadruch einen drastischen Preisverfall. Inzwischen haben sich die Preise wieder etwas erholt.
Das lag zum einen daran, dass China 2017 große Produktionskapazitäten aus dem Markt genommen hat. Zum anderen daran, dass die Nachfrage anzieht. Weltweit rechnet die Branche für das laufende Jahr noch mit einem kräftigen Anstieg der Stahlnachfrage um 3,9 Prozent auf knapp 1,7 Milliarden Tonnen. Vor dem Hintergrund der steigenden Risiken etwa durch Handelskonflikte geht sie jedoch für 2019 nur von einem leichten Plus von 1,4 Prozent aus.
Die weltweit vorherrschenden Überkapazitäten würden in erster Linie durch unfaire Subventionen verursacht, heißt es von der WV Stahl. "Solange diese nicht effektiv bekämpft werden können, wird auch das Problem der Überkapazitäten nicht gelöst", so Kerkhoff. Eine Erneuerung des Regelwerks der WTO, gerade im Bereich wettbewerbsverzerrender Subventionen, sei unverzichtbar.
Stahlbranche als Kernindustrie in Deutschland
Prinzipiell scheint die Politik gewillt zu sein, die Branche zu stärken. "Wir brauchen und wollen eine starke Stahlindustrie in Deutschland. Ihre Innovationen strahlen in die gesamte Wertschöpfungskette aus - vom Maschinenbau über die Autoindustrie bis zur Baubranche", sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier der "Welt".
Kerkhoff betonte ebenfalls die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Branche: "Die Stahlindustrie in Deutschland ist Basis erfolgreicher industrieller Cluster in den Regionen und darüber hinaus." Der Staatssekretär im NRW-Wirtschaftsministerium, Christoph Dammermann, unterstrich zudem ihren Stellenwert für die Sicherung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen.
iw/hb (dpa, afp, rtr)