Syrien Protest
16. Juli 2011Seit über 40 Jahren lebt Rafik Schami in Deutschland, aber wenn er von Syrien erzählt, schwingt immer ein bisschen Sehnsucht mit. Kein Wunder: Der Schriftsteller darf sein Heimatland nicht mehr betreten. Seit die Familie Assad die syrische Politik bestimmt, ist für Rafik Schami kein Platz mehr in der Republik. Denn er gehört zur politischen Opposition – zu denjenigen also, die lautstark das Regime kritisieren. "In den 50er Jahren sind wir sind eine sehr aufmüpfige, wunderschöne Republik gewesen", erinnert sich Schami an seine Jugend in Damaskus. "Wir hatten keinen einzigen politischen Gefangenen, lebten frei und hatten keine Angst, auf die Regierung zu schimpfen." Zur syrischen Opposition zählt sich Rafik Schami, seit sich Hafez Al Assad, der Vater des heutigen Präsidenten, vor vier Jahrzehnten nach einer längeren Phase politischer Instabilität an die Macht putschte.
Politische Debatten, ein politisch bestimmtes Leben – das gab es in der syrischen Republik fortan nicht mehr. Ein Regime, eine Partei – alles andere war verboten. Eine ganze Reihe von Geheimdiensten sorgte dafür, dass niemand die Herrschaft der Assads gefährdete. Wer Kritik üben wollte, wanderte aus oder landete im Gefängnis. Oppositionelle Gruppierungen hätten in diesem Klima der Repression keine Chance gehabt, sagt Heiko Wimmen, Syrien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Es war für die Opposition nicht möglich, an einem politischen Diskurs teilzunehmen."
Würde, Freiheit und die Ablösung des Regimes
So behielt das Regime die Oberhand. Zumindest bis vor einigen Monaten, als die Protestwelle in der arabischen Welt auch auf Syrien überschwappte. Vereinzelte, kleine Demonstrationen für Freiheit und Menschenrechte wurden von den staatlichen Sicherheitskräften blutig niedergeschlagen. Die Empörung war gewaltig – und führte zu neuen Protesten im ganzen Land. Je härter das Regime gegen die Demonstranten vorging, desto lauter wurden die Stimmen nach dem Sturz des Präsidenten. "Die Menschen wollen Würde, Freiheit und den Fall des Regimes", sagt Joshua Landis, Syrien-Experte an der Universität von Oklahoma. Mit Blick auf die vielen unterschiedlichen oppositionellen Gruppierungen fügt er hinzu: "Zum ersten Mal folgt die Opposition einer einheitlichen Linie und bleibt auch dabei – jetzt schon seit vier Monaten."
Doch trotz des gemeinsamen Nenners ist die syrische Opposition alles andere als vereint. Sie besteht aus Gruppen mit den unterschiedlichsten Programmen. Die Muslimbrüder gehören dazu, aber auch ehemalige kommunistische Parteien, junge Aktivisten, ethnisch-kurdische Parteien und Teile der sunnitischen Elite, die vor den Assads einflussreichen war. Ein ethnisches und religiöses Mosaik also, das die syrische Bevölkerung widerspiegelt – und sich damit deutlich von der tunesischen und der ägyptischen Gesellschaft unterscheidet. "Tunesien und Ägypten sind ethnisch vereint“, erklärt Joshua Landis."Syrien dagegen ist ein bisschen wie die Arche Noah: von allem gibt es zwei Sorten. Das Land ist religiös und ethnisch gespalten."
Angst vor Bürgerkrieg
Genau das macht es für die Opposition so schwierig, Bashar Al Assad zu bekämpfen. Denn viele Syrer unterstützen noch immer ihren Präsidenten, während andere sich einfach still verhalten. "Es gibt viele Syrer, die sich aus religiösen oder gesellschaftlichen Gründen nicht der Opposition angeschlossen haben – oder einfach, weil sie konservativ sind und nicht wollen, dass der Staat zusammenbricht wie im Irak", sagt Joshua Landis. Es ist die Angst vor Bürgerkrieg und Chaos, die auch die Internationale Gemeinschaft und die Nachbarländer gegen den syrischen Dikatator bisher vergleichsweise zurückhaltend auftreten ließen.
Eine der größten Herausforderungen für die Opposition ist es, zu einer Massenbewegung zu werden und glaubhaft zu machen, dass sie für die gesamte syrische Bevölkerung spricht. Ein weiteres Problem für die Opposition besteht darin, dass die syrische Armee klar zum Präsidenten hält. "Ohne Massendemonstrationen wird es für die Opposition sehr schwer werden, die Stärke des Militärs zu überwinden", sagt Joshua Landis. "Es sei denn, sie entscheiden sich für eine militärische Lösung – aber das würde ebenfalls sehr schwer werden. Und sie sagt, dass sie das nicht will."
Der Schriftsteller Rafik Schami bekennt sich ganz offen zur Opposition. Er kann zwar nicht in Syrien auf die Straße gehen, aber er verfolgt die Ereignisse von Deutschland aus. Seine größte Furcht: dass es innerhalb der Opposition doch zu größeren Machtkämpfen kommt. "Ich hoffe, dass die Auseinandersetzungen friedlich bleiben", sagt er. "Denn es lauert die Gefahr, dass das in einem Bürgerkrieg mündet."
Autor: Anne Allmeling
Redaktion: Daniel Scheschkewitz