Verboten, verschwunden, vergessen
16. Januar 2011Es begann im Jahre 1985. Damals stieß der Kunstantiquar Gerhard Schneider auf den Nachlass des Malers Valentin Nagels. Er war fasziniert von der eigenwilligen expressiv-kubistischen Formensprache, fand jedoch in keinem Fachbuch oder Lexikon etwas über den Künstler. Hätten sich nicht Dokumente wie ein Studienausweis der "Kunstschule Hans Hofmann, München" von 1928 im Nachlass gefunden, wären Werk und Künstler wohl für immer vergessen worden.
Schneider hielt die Unbekanntheit des Künstlers zunächst für einen Zufall. Dann aber stieß er auf das Buch "Die Kunst der verschollenen Generation" des Marburger Kunsthistorikers Rainer Zimmermann über geächtete Künstler und von da an ließ ihn das Thema nicht mehr los. Sein Haus wurde mehr und mehr zur Galerie, für Kunst, die keiner sehen sollte, nur weil es die Herrschenden so wollten. Die Kunstwerke, die Schneider im Laufe der Jahre gefunden und aufgekauft hat, gehen mittlerweile in die Tausende. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Kunst aus Deutschland und Europa, es ist eine Sammlung von unschätzbarem Wert.
Bekanntestes Beispiel: der Nationalsozialismus
Das Kapitel verfemte oder geächtete Kunst wird meist mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Gerade Künstler des Expressionismus – wie August Macke oder Max Ernst – verhalfen Anfang des 20. Jahrhunderts der bildenden Kunst in Deutschland zu Weltgeltung. Das expressive Gestaltungsprinzip nutzte die auf das Wesentliche konzentrierte Formensprache. Doch gerade diese, in ihrer Art heute als "typisch deutsch" anerkannte künstlerische Ausdrucksform, verleumdeten die Nationalsozialisten als "Verjudung" der deutschen Kunst, sprachen von "Entartung" und verboten sie. Durch staatlich beauftragte Kunstzensoren ordneten sie an, Museen und öffentliche Galerien von solchem "künstlerischen Unrat" zu befreien, in sogenannten "Schandausstellungen" diffamierte man Kunst und Künstler. Ihren Höhepunkt erreichte diese Kulturbarbarei 1937 mit der Ausstellung "Entartete Kunst" in München.
"Die Nazis haben allein aus deutschen Museen und öffentlichen Galerien über 20.000 Kunstwerke als entartet herausgenommen, von etwa 1400 Künstlerinnen und Künstlern. Diese Arbeiten wurden zum geringen Teil international verscherbelt, im wahrsten Sinne des Wortes. Und ein ganz überwiegender Teil muss heute als verschollen beziehungsweise als vernichtet gelten", resümiert Gerhard Schneider. Doch Machthaber, die nach ihrem Gusto darüber entschieden, was die Menschen sehen sollten und was nicht, gab es auch schon früher und gibt es bis heute.
Eingriffe nicht nur in der Diktatur
Die letzten Kunstwerke, die Schneider aufgespürt hat, gehen bis in die Neuzeit zurück. Auch im geteilten Deutschland wurde das Kunstgeschehen weiter politisch beeinflusst. Die non-figurative, also nicht gegenständliche Kunst wurde im Westen gegen den im Osten verordneten "sozialistischen Realismus" instrumentalisiert. Im Osten wiederum sollten die Künstler ihr Schaffen in den Dienst der kommunistischen Ideologie und der Förderung der sozialistischen Gesellschaft stellen. Diejenigen, deren Kunst diesen Normen nicht entsprach, brandmarkte man unter anderem als "Vertreter der im Verfaulen begriffenen Kunst des Kapitalismus".
"Es hat im Osten wie im Westen erhebliche Eingriffe in die Kunstszene gegeben, denn hier stießen zwei Weltanschauungen aufeinander", sagt Gerhard Schneider. "Die Künstler haben sich aber nur in Teilen daran gehalten und haben zum Teil in bewundernswerter Weise ihre Handschriften durchgezogen, bis in die jüngere Zeit hinein. Wie zum Beispiel die Künstler Irmgart Wessel-Zumloh oder Wilhelm von Hillern-Flinsch."
Das Aufspüren von verfemten Kunstwerken ist für Gerhard Schneider längst zur Lebensaufgabe geworden. Eine Jagd, die das Ziel hat, diese Kunstwerke für nachfolgende Generationen zu bewahren und zu zeigen. Ende Januar nun erfüllt sich für Gerhard Schneider ein Lebenstraum. Mit finanzieller Unterstützung des Landschaftsverbandes Rheinland wird Ende des Monats das "Zentrum für verfemte Künste" in Solingen eröffnet.
Autor: Peter Kolakowski
Redaktion: Petra Lambeck