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Venedig nach dem Hochwasser

5. Dezember 2019

Das Hochwasser hat sich aus der Lagunenstadt zurückgezogen. Schäden an den Kulturschätzen treten zutage. Wie groß sie sind und wann sie behoben werden können, ist weiter offen.

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Hochwasser Venedig 2019
Bild: Privat

Für Luigi Brugnaro bleibt alles beim Alten. Der öffentliche Appell des parteilosen Bürgermeisters und Unternehmers hat gewirkt - die Zwangsehe mit der vorgelagerten Industriestadt Mestre bleibt erhalten. Das Referendum vom Wochenende scheiterte, zu viele Wähler blieben der Urne fern. So bleibt die Städteverbindung, was nicht verwundert, wohnen doch nur noch rund 50.000 Menschen in der Lagunenstadt, dagegen viermal so viele in Mestre. Vor 80 Jahren, als unter Mussolinis Faschisten das Großvenedig entstand, war das Verhältnis genau umgekehrt. Den Kurs Venedigs bestimmen heute die Festlands-Venezianer.

Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro
Venedigs Bürgermeister Luigi BrugnaroBild: picture-alliance/Photoshot

Das Jahrhundert-Hochwasser vom November traf also nur eine Minderheit. Die "echten" Venezianer und ihre so "wunderbare Inselstadt, diese Biberrepublik", wie Goethe einst schwärmte, hat das Acqua Alta (italienisch für hohes Wasser) des Jahres 2019 kalt erwischt: Die Sturmflut peitschte den Pegelstand auf unerwartete 187 cm über dem Meeresspiegel. Unzählige Kulturschätze - Paläste, Bibliotheken und Kirchen - versanken und standen tagelang mit den Füßen im salzigen Schmutzwasser.

Schäden von einer Milliarde Euro?

In keiner Schadensbilanz fehlt seither der Markusdom mit seiner vollgelaufenen Krypta. Der "Festlandsvenezianer" und Bürgermeister Brugnaro rief den Notstand aus. Und er bezifferte den möglichen Hochwasserschaden auf bis zu eine Milliarde Euro.

Die Piazza San Marco unter Wasser
Die Piazza San Marco unter Wasser (am 18. November)Bild: Imago Images/Xinhua/E. Lingria

Eine Milliarde, die der Berliner Venedig-Experte Wolfgang Wolters, allenfalls als "Synonym für Katastrophe" stehen lässt. Die Höhe der Summe zieht der Kunsthistoriker und Spezialist für venezianische Kunst aber in Zweifel. "Die Schäden sind nicht so einfach schätzbar", weiß Wolters, der bereits 1966 in Venedig an einem Schadensinventar der UNESCO mitwirkte. Damals hatte das bis dato verheerendste Hochwasser die Lagunenstadt verwüstet. Internationale Fachleute erkundeten anschließend die Schäden.

Ein Vorgehen, das Wolters den Verantwortlichen auch jetzt nahelegt, denn: "Vor der Therapie braucht es die Diagnose - und zwar möglichst bald!" Als einstiger UNESCO-Berater Venedigs und Gründungsdirektor des deutschen Studienzentrums in Venedig kennt Wolters die Lagunenstadt wie seine Westentasche. Beim Hochwasser vor 53 Jahren hätten sich die Menschen noch gegen die Naturgewalten solidarisiert, erinnert er sich, heute sei dagegen "klar, dass die Probleme menschengemacht sind".

"In Venedig stehen Gondeln im Trockenen vor den Hotels, auf der Piazza San Marco stand das Wasser in den historischen Cafés mehr als ein Meter hoch. Das gilt auch für die Basilika von San Marco, die gerade restauriert wurde", klagte der in Venedig lebende Autor Danilo Reato ("Die Masken der Serenissima", "Künstler im Café") am 13. November in verzweifelten E-Mails an seinen Bonner Verleger Arnold Maurer. "Im Arsenal ist ein Boot fast bis zum Ende einer Gasse getrieben worden, andere sind gesunken. Bei einem Schiff ist das Ankerseil gerissen, es musste von der Hafenbehörde geborgen werden. Das ist wirklich das Ende dieser Stadt!" In Bonn ist Germanist Maurer, von 1977 bis 1979 Stipendiat am Deutschen Studienzentrum in Venedig, ungehalten über die Medienauftritte des venezianischen Bürgermeisters, "der sich nur dekorativ ins Wasser" gestellt habe.

Hochwasser Venedig 2019
Diese Bücher haben das Hochwasser überstandenBild: Privat

"Überall liegt Müll"

Inzwischen aber hat sich das Hochwasser aus der Stadt zurückgezogen. Viele Venezianer räumten ihre Keller und überfluteten Erdgeschosse aus. Tonnen von Sperrmüll, darunter Möbel und hunderte Matratzen, landeten auf den Bürgersteigen. "Überall liegt Müll", klagt der Schweizer Kunsthistoriker und Romanautor Erasmus Weddigen, der zur Hälfte in Venedig lebt.

Eine offizielle Schadenbilanz gibt es freilich noch nicht. Eine Abordnung der UNESCO will sich im kommenden Januar nach Venedig aufmachen, um die Lage zu erkunden. Die Weltkulturorganisation hat bereits 2015 gedroht, Venedig den Welterbetitel zu entziehen, sollte die Stadt ihre Probleme nicht in den Griff bekommen.

Ein Buchladen im Hochwasser
Ein Buchladen im HochwasserBild: picture alliance/dpa/Sputnik/A. Rota

"Auch wenn das Wasser gesunken ist und jetzt alle aufatmen", sagt Sven Taubert, Präsident des Verbandes der Restauratoren (VDR), "braucht die Behebung der Schäden viel Zeit". Zum einen habe das Hochwasser bauschädliche Salze in den Mauern vieler Bauwerke mobilisiert, die jetzt ausblühten. Schädlich wirke zudem das Meersalz und erst recht das Gemisch aus verschiedensten Schadstoffen - etwa aus Fäkalien und Chemikalien im Wasser.

Eile sei geboten, weil sich in und auf den feuchten Mauern nun Schimmelpilze bildeten. "Da können Sie zusehen, wie schnell sich Oberflächen grün, und gelb oder schwarz färben!", weiß Taubert, dessen Team nach dem Neiße-Hochwasser 2010 fast acht Jahre lang die Restaurierung des Zisterzienserinnenklosters St. Marienthal in der Sächsischen Lausitz plante und leitete.

Wut auf die Regierung

"Eine Milliarde Euro klingt nach viel Geld", sagt Taubert und verlangt eine "Mobilmachung für Venedig". Es könne gut sein, dass die Summe gebraucht werde. Die Schäden an Objekten, Gebäuden und in den Stadtvierteln der Lagunenstadt müsse man nun kategorisieren und priorisieren. Nach der Sturmflut im November hatte Italiens Regierung Soforthilfen in Höhe von 20 Millionen Euro freigegeben. Privatleute sollen bis zu 5000 Euro Entschädigung bekommen, Geschäftsleute bis zu 20.000 Euro. "Natürlich kann Hilfe nicht überall sein", weiß Taubert, "aber Sie müssen die Menschen mitnehmen, sonst hinterlässt die Katastrophe auch noch soziale Verlierer!"  

Nicht versiegende Touristenströme, Kreuzfahrtschiffe in der Lagune, ausbleibender Hochwasserschutz und nun auch noch der Klimawandel mit seinen steigenden Pegelständen - viele Venezianer sind zunehmend wütend auf ihre Regierung, werfen ihr Untätigkeit vor. Dabei seien die Probleme "hausgemacht", sagt die Autorin und Wahl-Venezianerin Petra Reski. Venedig sei zur "Geldmaschine" verkommen und werde "von den Predigern eines touristischen Fundamentalismus regiert", deren Glaubensbekenntnis sich mit den Worten zusammenfassen lasse: "Venezianer raus, Touristen rein!"

Auch die italienische Umweltaktivistin Jane da Mosto kämpft für den Schutz von Venedig. Sie kritisiert, die Altstadt werde zugunsten von Groß-Venedig "ausgepresst wie eine Zitrone." Die Minderheit der "echten" Venezianer habe keine Stimme.

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