Vater Staat in der Disko
27. Juni 2005400 Menschen wussten, was ihnen drohte, wollten es aber noch nicht wahrhaben. Dank der ausgeschalteten Klimaanlage wurden Nasen gerümpft, grelle Lichter spiegelten sich in nicht wenigen geweiteten Pupillen, und zu trinken gab es eh nichts mehr. Die meisten würden gegen vier Uhr morgens nach Hause geschickt werden, einige würden aufs Polizeirevier geschleppt werden. Einige kannten die Prozedur bereits, andere waren verunsichert und verärgert.
"Eine Nacht in Bangkok und die Welt gehört Dir", heißt es in Murray Heads 80er-Popklassiker, den man hier allabendlich in den Bars, Clubs und Diskos zu hören bekommt. Bangkok – die Sündenhauptstadt Asiens, der Welt gar, lockt seit Jahrzehnten Menschen (meist Männer) auf der Suche nach schneller Befriedigung. Drogen, Mädchen, Sex – alles billig und zu jeder Zeit erhältlich.
Drogen, Dreck und Diskos
Von diesem Image versucht Thailand schon lange wegzukommen, und mit jedem Jahr gewinnt das Land an Erfahrung, dank der Kampagne für eine neue Gesellschaftsordnung. Die Kampagne deckt ein Sammelsurium an Wertvorstellungen ab. Ein unmoralisches Babel soll damit ausgemerzt werden: Drogen, Bordelle, Massage-Salons, Dreck und jugendliche Gewalt. Thailand hat dem Filz den Kampf angesagt, und es will sich selbst und der Welt beweisen, dass es im Alleingang alles Demoralisierende ausradieren kann. Sollen die Pädophilen gefälligst in Kambodscha nach Opfern suchen. Die Thais sollen zurückblicken auf traditionelle Werte, auf Familienleben, auf soziales Miteinander. Die Zielgruppe der Kampagne sind Jugendliche, die sich gern in schummrigen Clubs das Hirn wegtrinken.
Eine der Auswirkungen: willkürliche Razzien im Nachtleben, und nicht nur in den berüchtigten Oben-Ohne-Bars Patpongs. Die 400 Menschen in der Edel-Disko Mystique (Eintrittspreis 15 Euro) stellten allerdings nur einen Bruchteil der feiernden Opfer dar, als 1000 Polizisten letztes Wochenende 34 Kneipen, Bars und Diskos stürmten, auf der Suche nach Minderjährigen und Drogen. Mystiques Stammpublikum – reiche Thais, junge Ausländer und hippe Touristen – musste eine Urinproben abgeben und Ausweise vorzeigen. Bei Nichtbefolgen drohte die Ausnüchterungszelle und einiges an Bakschisch.
Kambodschas Kasinos
Doch gerade Teenager finden allnächtlich neue Läden, in denen noch keine Ausweise kontrolliert werden. Die Rebellion der Teenager wird durch den Staat vorangetrieben. Die Kampagne greift nicht, doch ein Aufgeben kommt nicht in Frage. Daher hat jeder in Bangkok seine Geheimadressen, wo er sich auch nach 1 Uhr (Bangkoks offizielle Sperrstunde) noch vollaufen lassen kann. Jedes Wochenende stürmt die spielsüchtige thailändische Mittelklasse die Grenze zu Kambodscha, wo Dutzende von (in Thailand illegalen) Kasinos bereitstehen. Betuchte in Partylaune fliehen nach Samui, wo die Sperrstunden weit weniger rigoros gehandhabt werden.
Bangkok – 1984?
Dass mit der Kampagne eine Atmosphäre geschaffen wird, die unangenehm nach den faschistoiden Kontrollphantasien in Orwells "1984" riecht, wird gezwungenermaβen akzeptiert. Aber als 2004 die Sperrstunde kurzzeitig auf Mitternacht vorgeschoben wurde, sah man ein in Thailand fast unbekanntes Phänomen: Clubbetreiber, Kellner und Barmädchen demonstrierten, denn nun ging es um Jobs. Eine einfache Rechnung wurde auf Plakaten präsentiert: frühere Sperrstunde = weniger Verdienst = Massenentlassungen. Die Entscheidung wurde später revidiert, so dass nun jeder, der in Bangkok ausgehen will, sich die bange Frage stellen muss, wann welcher Laden schlieβt.
Vorbild Singapur
Gerne würde sich die Regierung Thailands mit Singapur vergleichen. Bei Rot über die Straβe gehen wird in Bangkok strikt geahndet. Eine Zigarette auf den Bürgersteig zu werfen kostet 50 Euro Bußgeld. Die gewaltige Ironie hierbei – nämlich dass Singapur seit längerem versteht, dass man die Zügel ruhig auch mal lockern kann – hat Thailand noch nicht erkannt. Während Singapur bis in die frühen Morgenstunden feiert, gehen in Bangkok um ein Uhr morgens die Lichter aus. Dank der Kampagne entwickelt sich ein neuer Trend in Bangkok: Feiern zu Hause. Denn bis in die Privatwohnungen hat es die Polizei bisher noch nicht geschafft.