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Valery Gergiev: "Putin ist einmalig"

Anastassia Boutsko16. März 2015

Der umstrittene russische Dirigent, der bald Chefdirigent an der Münchener Philharmonie sein wirs, spricht über seine neue Aufgabe an der Isar, den Tschaikowsky-Wettbewerb und Wladimir Putins Musikaffinität.

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Valery Gergiev (Foto: CTK Photo/Michal Dolezal)
Bild: picture-alliance/dpa/CTK Photo/Michal Dolezal

Die Herausgabe aller 15 Schostakowitsch-Symphonien auf DVD, eine Konzertreihe mit den Berliner Philharmonikern, der Tschaikowsky-Wettbewerb unter seiner Leitung, der bevorstehende offizielle Amtsantritt als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker: Valery Gergiev hat viele Gründe, in eine Charme-Offensive zu gehen und politische Vorwürfe auszuräumen, die ihm seine besonders enge Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin eingebracht hatte. Anastassia Boutsko hat für die DW in Berlin mit dem russischen Dirigenten gesprochen.

DW: Herr Gergiev, Sie sind vor fünf Jahren beauftragt worden, das "Rebranding" des Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerbs zu übernehmen. Im kommenden Juni findet er zum 15. Mal statt, zum zweiten Mal unter Ihrer Leitung. Warum war diese Neuausrichtung nötig, und was wollen Sie erreichen?

Valery Gergiev: Ich fand die Situation um den Wettbewerb gar nicht so schlecht. Das Einzige, was fehlte, war das Bewusstsein führender Musiker der Welt, dass es sinnvoll, nützlich und sogar für sie persönlich wichtig ist, sich an der Arbeit des Wettbewerbes zu beteiligen, vor allem als Jury-Mitglieder. Und Künstler wie Daniil Trifonov, der 2011 nicht nur den ersten Preis, sondern auch den Grand Prix gewonnen hat, belegen die Bedeutung des Wettbewerbes für die Zukunft der klassischen Musik.

Russland Plakat Tschajkowski-Wettbewerb Moskau 2015.
Der traditionelle Tschaikowsky-Wettbewerb findet jetzt unter Gergievs Leitung statt

Sie werden im Juni mit Dmitri Baschkirov, Leonidas Kavakos und Eva Wagner-Pasquier die "Crème de la Crème" in Moskau und Sankt Petersburg begrüßen. Die Jurys waren schon früher repräsentativ besetzt, dennoch blieb der Tschaikowsky-Wettbewerb, einst Aushängeschild der sowjetischen Kulturpolitik, eine eher lokale russische Veranstaltung. Warum soll sich das nun ändern?

1958 hat der erste Tschaikowsky-Wettbewerb eine Persönlichkeit wie Van Cliburn hervorgebracht. Der Sieg von diesem blutjungen Burschen aus Texas in Moskau hat das ganze Klima der Weltpolitik verändert, die damals, kurz vor der Kuba-Krise, sehr gefährlich war. Sein Sieg hat der ganzen Welt den Optimismus zurückgegeben.

Erhoffen Sie sich nun einen ähnlichen Effekt?

Es liegt mir auf der Zunge zu sagen: "Ja, die Ukraine-Krise…" Wir werden dieses Jahr zahlreiche Teilnehmer aus der Ukraine haben. Aber viel gefährlicher erscheint mir persönlich der "Islamische Staat". Die USA haben die Führungsrolle im Kampf gegen ihn übernommen, aber es ist überhaupt nicht klar, ob sie etwas bewirken können. Vielmehr wird zunehmend deutlich, dass viele Probleme der heutigen Welt darauf zurückzuführen sind, dass die USA Fehler bei der "Deutung der Partitur" gemacht haben. Ich hoffe, dass unser Wettbewerb zu einer Brücke wird - zu Europa, zu den USA, zu Asien, aber vielleicht auch zur arabischen Welt, zu Afrika oder zu Nordkorea.

Wo sehen Sie den Grund für die aktuellen "Dissonanzen" der Weltpolitik?

Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten. Schließlich bin ich ein Musiker und kein Politiker. Es gibt zwei Menschen, den amerikanischen und den russischen Präsidenten, die leider nicht gut zusammen arbeiten können. Unter anderem waren sie sich vor knapp zwei Jahren über einen gewissen Herrn Assad nicht einig. Und wie wir wissen, war es nicht nur der russische Präsident, der Fehler gemacht hat. Aber wie gesagt: Ich bin ein Dirigent, ich nehme eine Schostakowitsch- oder eine Prokofjew-Partitur und verstehe, was der Komponist gemeint hat. Die Partitur der Weltpolitik zu deuten, ist eine komplizierte Kunst, die nicht die Meinige ist. Mir ist persönlich nicht klar, wohin sich das ganze "Kollektiv" der Weltpolitiker - und ich meine damit nicht nur zwei Präsidenten - bewegt. Einigen Politikern fehlt es offensichtlich an Verantwortung für Millionen von Menschen. Denn wenn Christen nur dafür umgebracht werden, dass sie Christen sind, sind alle Politiker daran schuld - ob russische, amerikanische, europäische oder welche auch immer.

Gergiev und das Petersburger Mariinski-Orchester bei einem Auftritt in München, 22.5. 2014. (Foto: DW/A. Boutsko)
Gergiev und das Petersburger Mariinski-Orchester bei einem Auftritt in MünchenBild: DW/A. Boutsko

Sie sind viel beschäftigt und rasen andauernd durch die Welt. Nun werden Sie Chefdirigent der Münchner Philharmoniker und verpflichten sich, einen wesentlichen Teil ihrer raren Zeit eben an der Isar zu verbringen. Warum?

Das ist meine Verbeugung vor der großen deutschen Musiktradition. Und auch ein bisschen Nostalgie um meine eigene Jugend: München war die erste Stadt, die mich einlud, nachdem ich den Karajan-Wettbewerb in Westberlin gewonnen hatte.

Sie haben in Sankt Petersburg ein neues Theater aufgebaut und das Thema wird Sie auch in München nicht loslassen. Oder sind Sie mit der jetzigen Philharmonie am Gasteig zufrieden?

Ich schimpfe nie über den Gasteig. Denn wenn ich anfange, darüber zu meckern, dass der Saal nicht gut genug ist, wird man mich zurecht fragen: "Wozu spielst du dann in so einer schlechten Halle? Geh dahin, wo es eine bessere gibt!" Der Gasteig ist nicht einfach, aber auch nicht schlecht. Was den Bau eines neuen Konzertsaals anbelangt, so bin ich ein Praktiker und stelle als erstes die Frage: "Wo?" Ja, ich habe in Petersburg bauen lassen - ein neues Theater und eine Konzerthalle - aber ich wusste genau, wo ich es mache. Es muss nicht unbedingt das historische Zentrum sein. In Paris hat man die neue Philharmonie eben am Stadtrand gebaut.

Man hat in München - aber nicht nur da - ein Problem mit Ihrer persönlichen Loyalität gegenüber Präsident Putin.

Soll ich etwa rumlaufen und schreien: "Wir haben in Russland einen schrecklichen Präsidenten"? Ich meine, ich bin viel besser darüber informiert, was Präsident Putin tatsächlich macht, als diejenigen, die eben rumschreien. Es ist sehr wichtig, wenn der Präsident eines Landes versteht, dass Kultur und Bildung eine überragende Bedeutung haben. Und Putin versteht es. Ich habe zum Beispiel Ende Dezember bei einer Sitzung des Staatsrats gesprochen. Gouverneure aus ganz Russland kamen nach Moskau, um nur über Kultur zu reden.

Valery Gergiev erhält den Staatsorden "Held der Arbeit" von Vladimir Putin. (Photo: ALEXEI NIKOLSKY/AFP/Getty Images)
Valery Gergiev erhielt im Mai 2013 den Staatsorden "Held der Arbeit" von Wladimir PutinBild: AFP/Getty Images

Worüber haben Sie gesprochen?

Über die Kinderchöre. Wissen Sie, Präsident Putin ist einmalig: Er interessiert sich für Kinderchöre und hat Zeit dafür!

Warum? Gehört es zu seinem Kulturkanon?

Er ist einfach klüger als viele andere. Im Übrigen hoffe ich, dass die heutige Krise nicht von Dauer sein wird. Ich glaube fest daran, dass Europa und Russland ihre gemeinsame kulturelle Identität erhalten und auch zu einer neuen politischen Balance bald finden werden.

Das Interview führte Anastassia Boutsko.