USA: "Unberührbare" kämpfen für Gleichberechtigung
26. November 2023Als Prem Pariyar 2015 beschloss, in die Vereinigten Staaten zu gehen, hoffte er mit seiner Heimat Nepal auch die Diskriminierung hinter sich zu lassen, die er dort erlebte. "Ich dachte, hier gäbe es keine Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste. Das deprimierte mich sehr", erzählt Pariyar, der aus einer Familie von Dalits stammt. Es ist die unterste Gruppe des hinduistischen Gesellschaftssystems der Kasten. Im Deutschen werden Dalits häufig auch als "Unberührbare" oder auch "Paria" bezeichnet, obwohl diese Bezeichnung nicht ganz korrekt ist.
In den USA fand Pariyar zwar Arbeit in einem Restaurant und sein Arbeitgeber brachte ihn zu einer Unterkunft für Mitarbeiter. Doch seine Kollegen weigerten sich, ein Zimmer mit ihm zu teilen. Sie beschimpften und beleidigten ihn, weil er Dalit ist. So blieb Pariyar nichts anderes übrig, als im Auto oder auf dem Sofa zu schlafen.
Pariyar ist einer der vielen südasiatischen Aktivisten, die sich dafür einsetzen, dass die Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit in den USA gesetzlich verboten wird. Das Kastensystem wird gewöhnlich mit Indien und dem Hinduismus in Zusammenhang gebracht, es handelt sich jedoch um eine hierarchische Ordnung der Gesellschaft, die schon tausende Jahre alt ist und in verschiedenen, nicht nur hinduistischen Ländern der Region praktiziert wird.
Auswanderung bietet keinen Ausweg
In Nepal lebte Pariyar mit seiner Familie in der Hauptstadt Kathmandu. Eines Nachts wurden sie in ihrem Zuhause brutal überfallen - nur wegen ihrer Kastenzugehörigkeit, sagt er. Als er deswegen zur Polizei ging, seien die Behörden nicht nur untätig geblieben, sie hätten ihm sogar gedroht, weil er Anzeige erstatten wollte, berichtet er der DW.
Das ist nun einige Jahre her. Heute gehört Pariyar zum Vorstand des Ortsverbands Kalifornien der National Association of Social Workers, eines nationalen Sozialarbeiterverbands. Aber er weiß, dass seine Geschichte kein Einzelfall ist, und deshalb beschäftigt sie ihn weiterhin.
In den Vereinigten Staaten leben mehr als 5,4 Millionen Menschen aus Südasien, die Mehrzahl davon in Kalifornien. Sie zählen zu den am stärksten wachsenden demografischen Gruppen des Landes. Viele Menschen kommen aus der Region, um in der Tech-Industrie im Silicon Valley zu arbeiten. Das diskriminierende Kastensystem haben sie mitgebracht, berichten viele Dalits in den USA. Sie klagen, dass sie am Arbeitsplatz belästigt, sabotiert oder sogar gewalttätig angegangen werden.
In den letzten Jahren haben sich Aktivisten zu Gruppen zusammengeschlossen, die sich dagegen einsetzen, dass Menschen aufgrund von Kastenzugehörigkeit in den USA diskriminiert werden. "Wir müssen die Menschen aufklären, damit dieses System abgeschafft wird", sagt Pariyar. "Von Generation zu Generation werden wir isoliert. Das Trauma wirkt generationenübergreifend."
Veto trotz überwältigender Zustimmung
Pariyar ist in der "Californians for Caste Equity Coalition" aktiv. Sie und andere Aktivistengruppen spielen eine wichtige Rolle beim Kampf für die rechtliche Grundlage gegen die Kastendiskriminierung. Fast ein Jahr lang stritten die Aktivisten für ein Gesetz, das Kalifornien zum ersten US-Bundesstaat gemacht hätte, der die Kastenzugehörigkeit in die Liste der geschützten Kategorien im Rahmen der Bürgerrechtsgesetze aufnimmt. Einige der Aktivisten traten dafür sogar für einen Monat in Hungerstreik.
Die Kastenzugehörigkeit wäre damit in einer Reihe mit Kategorien wie Ethnie (engl.: race), Geschlecht und sexuelle Orientierung aufgenommen worden, die einen gewissen Schutz vor Diskriminierung bei der Wohnungssuche und am Arbeitsplatz bieten.
Der kalifornische Senat stimmte dem Gesetz mit einer überwältigenden Mehrheit von 31 zu 5 Stimmen zu. Doch vergangenen Monat entschied Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, das Gesetz sei "unnötig", und legte sein Veto gegen die Senatsvorlage 403 ein. Die geltenden Schutzmechanismen seien "großzügig auszulegen" und würden eine Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit bereits rechtlich abdecken, begründete Newsom seine Ablehnung.
Unter den Südasiaten in den USA führte das Veto zu einem Aufschrei - sowohl bei Unterstützern als auch Gegnern. Vor dem Kapitol in Sacramento, dem Parlaments- und Regierungssitz von Kalifornien, fanden Kundgebungen statt und im Gebäude selbst gaben sich die verschiedenen Interessenvertreter die Klinke in die Hand.
Gegner des Gesetzes wie die "Hindu American Foundation" nannten es rassistisch und eine potenzielle "verfassungsrechtliche Katastrophe", die "Hunderttausende von Kaliforniern zur Zielscheibe gemacht hätte, allein wegen ihrer ethnischen Herkunft oder Identität".
Newsoms Kritiker dagegen unterstellen dem Gouverneur, dass er sein Veto eingelegt habe, um eine wachsende hinduistische Wählerschaft zu umwerben, die das Kastensystem mehrheitlich gutheißt: "Wir haben mit diesem Verfahren ein Schlaglicht auf eine Form der Diskriminierung gerichtet, die noch immer in vielen Gemeinschaften in Kalifornien existiert, aber lange verborgen blieb", sagt Senatorin Aisha Wahab, die erste Muslima und Frau mit afghanischen Wurzeln, die in den Senat des Staats gewählt wurde. Sie hatte den Gesetzesentwurf verfasst.
Gestärkter Zusammenhalt
Die kalifornische Stadt Fresno war dem Veto des Gouverneurs zuvorgekommen und hatte eine Woche zuvor einstimmig beschlossen, die Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit zu verbieten. Seattle im Bundesstaat Washington hatte dies als erste Stadt in den USA bereits im Februar getan.
Bildungseinrichtungen wie die California State University, Harvard, Brandeis und der Campus der University of California in Davis hatten in den vergangenen Jahren ähnliche Regelungen in Kraft gesetzt. Und auch Unternehmen leisten ihren Beitrag: Tech-Riesen wie Apple und IBM passten ihre Mitarbeiterrichtlinien entsprechend an.
Angestoßen wurden diese Schutzmechanismen durch eine Klage, die das kalifornische Ministerium für Fairness im Arbeits- und Wohnungsmarkt 2020 gegen den Technologiekonzern Cisco Systems eingereicht hatte. Dem Unternehmen mit einem Börsenwert von aktuell rund 200 Milliarden US-Dollar (ca. 183 Mrd. Euro) wurde vorgeworfen, Vorgesetzte höherer Kasten hätten einen Mitarbeiter der Dalit-Kaste massiv diskriminiert. Wäre diese Form der Diskriminierung damals schon anerkannt gewesen, argumentieren Aktivisten, hätte der Mitarbeiter den Prozess gewonnen.
Der Einsatz für gesetzliche Regelungen habe die Gemeinschaft der Dalits und andere, die sich gegen Diskriminierung einsetzen, zusammengeschweißt, betont Pariyar: "Viele weitere Städte haben begonnen, über das Kastensystem nachzudenken. Zuvor war ich allein. Jetzt sind wir vereint und wir kämpfen mit einer Stimme, um das System zu überwinden."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.