Das Werben um schwarze Wähler
6. November 2022Dutzende Mitglieder der Baptistengemeinde der Greater Spring Hill Church in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin haben sich an einem Morgen im zweiten Stockwerk der Kirche versammelt. Es herrscht reges Treiben in dem lichterfüllten Raum, dessen Wände zugepflastert sind mit Postern und Notizen. Aktivisten von Black Leaders Organizing for Communities, kurz BLOC, decken sich mit Flugblättern ein. Gleich wollen sie losziehen, um in den umliegenden Stadtvierteln an die Türen zu klopfen.
Zunächst einmal diskutieren sie jedoch über die jüngste Debatte zwischen den Kandidaten für den Senat von Wisconsin. BLOC setzt sich für die Belange schwarzer Wähler in Milwaukee ein und unterstützt den Kandidaten der Demokraten, Vizegouverneur Mandela Barnes. Er könnte der erste schwarze Senator Wisconsins werden. "Es gibt mir ein bisschen Zuversicht, weil er sich in der Debatte so gut geschlagen hat und es jeder gesehen hat", sagt Angela Lang zu der versammelten Gruppe von Wahlkampfhelfern. "Alles ist möglich von hier bis zum Wahltag, aber ich fühle mich ein bisschen zuversichtlicher." Viele der Anwesenden scheinen ihr zuzustimmen. "Es gibt uns mehr Anknüpfungspunkte, wenn wir da draußen an die Türen klopfen", fügt eine Frau hinzu.
Die anstehenden Zwischenwahlen sind entscheidend für das Land und so bemühen sich im umkämpften Bundesstaat Wisconsin Aktivisten wie BLOC und Wahlkämpfer auf beiden Seiten des politischen Grabens, die Stimmen schwarzer Wähler für sich zu gewinnen. Im Jahr 2020 gewann Präsident Joe Biden Wisconsin mit einer Mehrheit von 20.000 Stimmen nur knapp. Bei den Wahlen zuvor war der Staat an die Republikaner gegangen. In diesem Jahr wird das Rennen um den Senat wohl bis zum Schluss spannend bleiben. Noch liegt der Amtsinhaber, der republikanische Senator Ron Johnson, vor Mandela Barnes.
In der größten Stadt, Milwaukee, könnten die Stimmen der schwarzen Wähler für die Demokraten den Ausschlag geben. Nahezu 40 Prozent der Bevölkerung der Stadt ist schwarz, in Wisconsin insgesamt sind es noch nicht einmal sieben Prozent. Doch die Republikaner versuchen, mehr schwarze Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Enttäuschung und Wahlmüdigkeit könnten dazu führen, dass viele schwarze Wähler überhaupt nicht zur Urne gehen, so die Sorge vieler.
Nach Angaben der Wahlkommission von Wisconsin ist die Zahl der Wählerregistrierungen in diesem Jahr bisher stark angestiegen. Doch landesweit sinkt die Wahlbeteiligung schwarzer Wähler. In Milwaukee sank die Beteiligung zwischen 2016 und 2022 sogar um elf Prozent, so Wisconsin Watch, der Nachrichtenkanal des Wisconsin Center for Investigative Journalism.
Die Gründe dafür seien vielschichtig, meint Angela Lang. So hat Wisconsin zum Beispiel ein strenges Gesetz zur Wähleridentifizierung eingeführt, das die Wahlbegeisterung dämpft. Doch sie verweist auch auf ein größeres Hindernis. Die Kandidaten und ihre Parteien bemühen sich allzu oft nur während des Wahlkampfs um die Gunst der schwarzen Wähler. Danach sind sie wieder verschwunden. "Da geht es nur um den eigenen Nutzen. Das funktioniert mit unserer Gemeinschaft nicht. Die Leute durchschauen das sofort, es ist beleidigend. Die Menschen werden nur als Stimmen und Ware gesehen und sie versuchen, so viele Stimmen wie möglich aus dieser Gemeinschaft für ihren eigenen Vorteil zu gewinnen", bedauert sie.
Im Jahr 2017 gründete Lang BLOC als Organisationsplattform, die die öffentliche Aufmerksamkeit nicht nur zu Wahlkampfzeiten auf die dringlichsten Themen der Gemeinschaft lenkt. "Wir beginnen eigentlich immer mit der Frage: Was muss getan werden, damit es der Schwarzen Gemeinschaft gut geht?'"
Skepsis und Wahlmüdigkeit
Diese Frage begleitet die Wahlkampfhelfer, die in den überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadtvierteln von Tür zu Tür gehen. Vor wichtigen Abstimmungen unternimmt BLOC gewaltige Anstrengungen, um Zehntausende Wähler zu erreichen. Die Organisation ist überparteilich, doch bei dieser Wahl unterstützt sie nur demokratische Kandidaten.
Broshea Jackson und sein Team laufen die Straßen ab, um an Türen zu klingeln und Flugblätter in Türritzen zu stecken. Es ist früher Nachmittag und viele Bewohner sind nicht zuhause, andere reagieren nicht auf das Klingeln. Einige zeigen sich offen für die Argumente von Jackson, doch andere widersprechen, kritisieren, dass der demokratische Kandidat Mandela Barnes nicht hart genug gegen Kriminalität vorgehen wolle. "Es werden zu viele Kriminelle herumlaufen. Es ist schon schlimm genug. Ich würde nicht für ihn stimmen. Ich würde mich nicht trauen, ihn zu wählen. Dieses und vergangenes Jahr sind schon zu viele schwarze Frauen getötet worden", argumentiert eine schwarze Wählerin.
Republikanische Gruppierungen haben im Vorfeld der Zwischenwahlen eine Flut von Wahlwerbung geschaltet, in der eine Verbindung zwischen Mandela Barnes und der hohen Kriminalitätsrate gezogen und ihm vorgeworfen wird, Schwerverbrecher frei herumlaufen zu lassen. Demokraten verurteilen die Wahlwerbung als unaufrichtig und rassistisch.
Doch ist es nicht nur die Bekämpfung der Kriminalität, die für Skepsis und Apathie in der Gemeinschaft sorgt. BLOC und andere politische Gruppierungen weisen darauf hin, dass schwarze Wähler schon seit langem mitansehen, wie öffentliche Schulen, Straßen, kommunale Programme und andere Dinge an fehlenden Investitionen leiden. Die Enttäuschung über die gewählten Vertreter ist groß. "Sie sind frustriert und schlagen dir die Tür vor der Nase zu. Sie sagen uns, dass sie nichts hören wollen. So was. Manchmal muss man überzeugender sein. Andere Wege finden, wie man die Leute erreicht", sagt Broshea Jackson. "Die Menschen haben es satt, weil, nun, Veränderung macht es nicht besser."
Es geht nicht allein um lokale Themen. Die hohe Inflation hat Amerikaner im ganzen Land hart getroffen. Eine Umfrage von Ipsos/Reuters stellte diesen Oktober fest, dass Amerikaner gegenwärtig die Inflation als größtes Problem für das Land einstufen. Und viele Wähler machen die Demokraten für die steigenden Kosten für Benzin, Lebensmittel und Wohnraum verantwortlich. "Lebensmittel - ein Karton Eier für acht US-Dollar. Wie kann ich mir da 12 Eier leisten?", fragt Jackson. "Das Leben da draußen ist echt hart. Es muss sich etwas ändern."
Republikaner auf dem Vormarsch
Nur einige Kilometer weiter weg verspricht ein Republikaner in einem überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadtteil eben diesen Wandel. Khenzer Senat ist der afroamerikanische Direktor für Öffentlichkeitsarbeit der republikanischen Partei in Wisconsin. Im Februar 2020 eröffnete die Partei in Milwaukee ein schwarzes Gemeindezentrum, um schwarze Wähler davon zu überzeugen, dass die Republikaner die Antwort auf ihren Frust und ihre Wahlmüdigkeit haben.
"Wie soll eine Person, die immer nur für eine Partei gestimmt hat, sich fühlen, wenn für sie nichts besser wird? Ich kann die Apathie der Wähler unter diesen Umständen völlig verstehen", beteuert Senat. "Wählt die Republikaner, wählt etwas Neues und gebt uns eine Chance. Gebt uns die Chance, die Führungsriege auszutauschen und ihr werdet sehen, dass die Entscheidungen, die unsere Abgeordneten umsetzen, grundlegende Veränderungen bewirken werden."
Das Gemeindezentrum Black GOP (GOP steht für Grand Old Party, also die republikanische Partei) versucht, die Gemeinde mit Veranstaltungen zu erreichen und schickt Wahlwerber in die Stadtviertel. Senats Ziel ist es, dass die Republikaner bei den Zwischenwahlen 20 Prozent der schwarzen Wähler in Milwaukee für sich gewinnen, im Vergleich zu 16 Prozent im Jahr 2020.
Ein schwarzer Bewohner des Viertels erklärt der Deutschen Welle bei einem Besuch des Gemeindezentrums, dass er bereit sei, seine Stimme diesmal einem anderen Kandidaten zu geben. "Sie wollen nur ins Amt, weil sie am Geld interessiert sind", sagt er über die Demokraten, die in Milwaukee an der Macht sind. "Die kleinen Leute interessieren sie nicht. Ich gucke mir mein Stadtviertel an, die Stadt. Es geht alles den Bach runter. Müll überall, die Stadt verkommt. Es wird Zeit für etwas Anderes."
Die Demokraten betonen, dass es die Republikaner seien, die Bemühungen behindern, mehr in die öffentliche Infrastruktur und die Schulen unterversorgter Stadtviertel wie diesem zu investieren. Doch ob diese Botschaft gehört werden kann in einem Wahlkampf, der von so unterschiedlichen Erzählungen und dramatischen Wahlspots geprägt ist, ist fraglich. Khenzer Senat meint: "Die Botschaft, die wir hier verbreiten und die unsere Kandidaten verbreiten, wird zeigen, dass Schwarze sich von dieser fehlgeschlagenen Politik abwenden."
Ein Bereich, in dem die Demokraten laut Republikanern versagt haben, ist die Kriminalität. Laut Daten der Tageszeitung Milwaukee Journal Sentinel ist die Kriminalität in der Stadt sprunghaft angestiegen. Im Jahr 2022 wurden 192 Morde verübt, 27 mehr als im gleichen Zeitraum im Vorjahr. Über 80 Prozent der Mordopfer sind Schwarze. Um diesem Trend entgegenzuwirken, müsse die Stadt die Strafverfolgung und die Polizeipräsenz verstärken, meinen die Republikaner.
Daten zeigen jedoch auch, dass mehr Polizei nur ein Teil der Lösung ist. Dora Drake, demokratische Abgeordnete für den 11. Bezirk, betont, dass auch soziale Faktoren wie der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Wohnraum und guten Arbeitsplätzen wichtige Bausteine für die öffentliche Sicherheit sind. Sie war als Sozialarbeiterin in der Strafjustiz tätig und half Haftentlassenen bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Aus dem Englischen adaptiert von Phoenix Hanzo.