US-Wahl: Wie können die Demokraten Joe Biden ersetzen?
21. Juli 2024Seit der ersten TV-Debatte zwischen US-Präsident Joe Biden und dem voraussichtlichen Kandidaten der Republikaner, Donald Trump, herrschte im links-liberalen Teil der USA Verzweiflung: Biden hatte gebrechlich gewirkt und immer wieder Sätze von sich gegeben, deren Ende nicht zu ihrem Anfang passten. In den sozialen Medien witzelten Nutzer und Nutzerinnen, dass Vizepräsidentin Kamala Harris in der Werbepause eingewechselt werden sollte.
Zunächst führte Biden Erschöpfung nach zu vielen Dienstreisen als Grund für seine schlechte Performance an - und bei den Demokraten kehrte wieder ein wenig Ruhe ein. "Während man direkt nach der Debatte bei den Demokraten sehr nervös war, ging es in den vergangenen Tagen darum, die Parteibasis beisammenzuhalten", sagte Cathryn Clüver Ashbrook, Transatlantik-Expertin bei der Bertelsmann Stiftung, im DW-Interview. "Und Kandidaten, deren Namen nach der Debatte als mögliche Alternativen zu Joe Biden genannt wurden, haben öffentlich sehr klar gemacht, dass sie hinter dem Präsidenten stehen."
Kaliforniens Gouverneur, Gavin Newsom, dessen Name auch im Raum stand, sagte dem US TV-Sender MSNBC "Man wendet sich nicht nach einer Performance [von seinem Kandidaten] ab. Was für eine Partei tut sowas?"
Zweifel an Bidens körperlicher und geistiger Fitness
Doch nicht alle bei den Demokraten teilten diese Meinung. Lloyd Doggett, ein texanischer Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus, war der erste Demokrat im Kongress, der Biden öffentlich zum Rücktritt aufgefordert hatte. "Ich sehe, dass Präsident Bidens Einsatz, anders als der von Trump, immer zuerst unserem Land galt, und nicht ihm selbst. Deshalb habe ich Hoffnung, dass er die schmerzhafte und schwierige Entscheidung treffen wird, zurückzutreten", wurde Doggett von der Nachrichtenagentur AP zitiert. "Ich fordere ihn mit allem Respekt dazu auf."
Doggett hat keinen großen Einfluss bei den Demokraten, aber die Debatte über Bidens hohe Alter war auch in der Partei des Präsidenten losgetreten. Den Präsidentschaftskandidaten so kurz vor der Präsidentschaftswahl im November noch auszutauschen, ist höchst ungewöhnlich, vor allem, da es sich um den amtierenden Präsidenten handelt.
Er könne sich nicht vorstellen, dass Biden, der sein gesamtes Erwachsenenleben der US-Politik verschrieben hat, die Chance auf weitere vier Jahre im Weißen Haus aufgebe, hatte der Politologe Filippo Trevisan, der an der American University in Washington unterrichtet, nach der TV-Debatte im DW-Gespräch noch gesagt. Aber nun ist es soweit.
Was passiert jetzt, wo Biden nicht noch einmal kandidiert?
Auf dem Nationalen Parteitag der Demokraten im August werden die Delegierten darüber abstimmen, wer der Präsidentschaftskandidat der Demokraten sein wird. Bei den Vorwahlen gewann Biden die überwiegende Mehrheit dieser Delegierten. Sie sind nicht gesetzlich verpflichtet, für ihn zu stimmen, aber so, wie das US-Vorwahlverfahren funktioniert, wird es von ihnen erwartet.
Wenn Biden zurücktritt, "ist alles möglich", sagte Trevisan. "Sie können wählen, wen sie wollen." Das ist das, was man einen offenen Parteitag, eine "open convention", nennt. Die Führung der Demokratischen Partei würde jemanden auswählen, der ihrer Meinung nach die besten Chancen hat, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, und dann versuchen, die Delegierten dazu zu bringen, ihn oder sie zu wählen.
"Ich würde sagen, dass Harris das Vorrecht hat", sagte J. Miles Coleman, ein Wahlanalyst am University of Virginia Center for Politics, direkt nach der Debatte gegenüber DW.
Aber Trevisan sagte, Harris in einem solchen Fall zu wählen, sei vielleicht nicht die beste Strategie. "Ihre Verbindung mit Bidens Präsidentschaft könnte sich als negativ erweisen", sagte er. "Ihre Zustimmungswerte sind ähnlich wie die von Biden."
Wenn ein Präsident während seiner Amtszeit arbeitsunfähig wird, zum Beispiel durch einen medizinischen Notfall, übernimmt der Vizepräsident oder die Vizepräsidentin das Amt. Harris wäre aber nicht automatisch die Kandidatin, wenn Biden vor dem Parteitag zurücktreten würde.
Mögliche Nachfolger für Biden: Harris, Newsom, Whitmer
Vor allem in den Tagen nach der Debatte wurden mehrere Namen genannt, die als Präsidentschaftskandidaten in Frage kämen, falls Biden nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Neben Vizepräsidentin Harris und dem kalifornischen Gouverneur Newsom gehört dazu auch Gretchen Whitmer, Gouverneurin des Bundestaats Michigan.
Whitmer wurde 2018 erstmals zur Gouverneurin gewählt und 2022 wiedergewählt. Ihre Wiederwahl wurde als großer Erfolg gewertet - 2022 war ein Zwischenwahljahr unter dem demokratischen Präsidenten Biden, und für Kandidaten der Partei des Amtsinhabers ist es normalerweise schwieriger, die Wähler für sich zu gewinnen. Doch Whitmer gelang es, eine weitere Amtszeit mit einem größeren Vorsprung als erwartet zu gewinnen - und das im wichtigen Swingstate Michigan, wo ein Sieg für die Demokraten sehr viel weniger sicher ist als beispielsweise in Kalifornien oder New York.
Aber genau wie andere wichtige Demokraten hatte Whitmer Biden nach der Debatte öffentlich unterstützt und auf der Social-Media-Plattform X geschrieben, dass "wir Joe Biden und Kamala Harris wiederwählen müssen".
Nancy Pelosi aus Kalifornien, die zwei Legislaturperioden lang Sprecherin des Repräsentantenhauses war und so etwas wie eine Grande Dame der Demokratischen Partei ist, hatte sowohl Biden als auch Trump dazu aufgerufen, sich auf ihre körperliche und geistige Gesundheit untersuchen zu lassen. Laut AP betonte sie aber auch, dass Biden "genau weiß, worum es geht, was die wichtigen Themen sind und was auf dem Spiel steht."
Dieser Artikel vom 3. Juli wurde nach Bidens Verzichtserklärung am 21. Juli aktualisiert.