Bilanz der Finanzkrise
9. Oktober 2008Angesichts der dramatischen Lage im Finanzsektor denkt die US-Regierung über eine teilweise Verstaatlichung von Banken nach. Das verlautete am Mittwoch (08.10.08) aus Regierungskreisen in Washington. Die vom Kongress jetzt im Rahmen des 700 Milliarden Dollar umfassenden Rettungspakets gewährten Vollmachten zum Umgang mit der Finanzkrise eröffneten der Regierung eine Reihe von Möglichkeiten, hieß es.
Nach britischem Vorbild
Ein derartiger staatlicher Einstieg bei Banken wäre zu vergleichen mit dem Vorgehen der britischen Regierung, die am Mittwoch angekündigt hatte, acht der größten Banken teilweise zu verstaatlichen, um die Stabilität auf dem Finanzmarkt wiederherzustellen. Premierminister Gordon Brown sprach dabei von "radikalen" Eingriffen ins Bankensystem. Auf den britischen Plan angesprochen, sagte US-Finanzminister Henry Paulson, er weise diese Idee nicht zurück. Er wolle jedoch nicht darüber spekulieren, welches der neuen Rechte die Regierung nun anwende. Der deutsche Finanzminiter Peer Steinbrück begrüßte indes das Vorgehen Großbritanniens und der USA, lehnte eine staatliche Bankenübernahme für Deutschland allerdings ab.
Trotz der konzertierten Zinssenkung führender Notenbanken haben die US-Börsen den sechsten Handelstag in Folge deutliche Verluste verzeichnen müssen. Nach einer nervösen Berg- und Talfahrt verpuffte am Ende die Wirkung der weltweit abgestimmten Aktion weitgehend. Die Kurse belastete auch eine düstere Prognose des Internationalen Währungsfonds IWF, der die Weltwirtschaft am Rande einer Rezession sieht.
Dexia-Bank erhält weitere staatliche Unterstützung
Auch in Europa zieht die Finanzkrise weiter Kreise. Belgien, Frankreich und Luxemburg wollen der Kommunalbank Dexia mit einer einjährigen Bankbürgschaft unter die Arme greifen. Der belgische Ministerpräsident Yves Leterme erklärte am Donnerstag (09.10.08) die Bürgschaft solle unter anderem neue Kredite und Vereinbarungen mit internationalen Geldgebern abdecken. Die Dexia-Aktien waren trotz einer von den drei Regierungen in der vergangenen Woche angekündigten Finanzspritze von 6,4 Milliarden Euro in den vergangenen Tagen gefallen. Der belgisch-französischen Kommunalbank hatten Verluste ihrer auf Kredite spezialisierten US-Filiale FSA hohe Einbußen eingebracht.
Die Europäische Zentralbank will mit weiteren zinspolitischen Änderungen für eine Entspannung an den Geldmärkten sorgen. Wie die Notenbank am Mittwochabend in Frankfurt mitteilte, sollen vom 15. Oktober an Hauptrefinanzierungsgeschäfte mit einem festen Zinssatz, dem aktuellen Leitzins, durchgeführt werden. Bisher war der Leitzins ein Mindestbietungssatz, und der tatsächliche Zins lag wegen der aktuellen Verspannungen am Geldmarkt deutlich über diesem Wert. Die EZB hatte am Nachmittag den Leitzins überraschend um 0,5 Prozentpunkte auf 3,75 Prozent reduziert.
Zwangsverstaatlichung in Island
Auch Islands größte Bank Kaupthing wird unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt, wie die Finanzaufsicht in Reykjavik am Donnerstagmorgen mitteilte. Seit Wochenbeginn waren angesichts der internationalen Finanzkrise schon das zweitgrößte Geldinstitut Landsbanki sowie die drittgrößte Bank Glitnir verstaatlicht worden.
Die Regierung hatte die Möglichkeit zur Zwangsverstaatlichung mit einem Eilgesetz geschaffen, um den kompletten Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern. Sie will möglichst schnell Auslandsaktivitäten der bedrohten Banken verkaufen. Kaupthing hatte auch in Deutschland Kunden mit Hochzinskonten angelockt. Als offene Frage gilt, inwieweit die unbegrenzte Garantie der isländischen Regierung für private Einlagen auch Kunden im Ausland umfassen.
Tokios Börse auf Tiefstand
Die Börse in Tokio hat nach den konzertierten Zinssenkungen von sechs großen Notenbanken uneinheitlich geschlossen. Der Nikkei für 225 führende Werte gab zwischenzeitliche Gewinne wieder ab und schloss auf dem niedrigsten Stand seit fünf Jahren. Am Ende notierte das Börsenbarometer, das am Vortag um mehr als neun Prozent eingebrochen war, mit einem Verlust von 45,83 Punkten oder 0,50 Prozent bei 9157,49 Punkten. Der breit gefasste TOPIX verbesserte sich dagegen um 6,10 Punkte oder 0,68 Prozent auf 905,11 Punkte.
Die japanische Zentralbank hat unterdessen angesichts der Folgen der Finanzkrise dem Geldmarkt weitere Liquidität in Rekordhöhe zur Verfügung gestellt. Am 17. Handelstag in Folge pumpte die Bank of Japan (BoJ) erneut in zwei Schritten 4,0 Billionen Yen (29,2 Milliarden Euro) in den Markt, um für Stabilität zu sorgen.
Die Börsen in China waren am Donnerstag hin- und hergerissen zwischen der Hoffnung auf Rettungsmaßnahmen und den Sorgen um die weltweite Wirtschaftsentwicklung. Nach den Einbrüchen der Vortage erholte sich die Börse in Hongkong am Donnerstag leicht, Shanghai ging dagegen erneut mit Verlusten aus dem Handel. Die Papiere von Ölkonzernen legten zu, Bankentitel verloren.
Lateinamerikas Börsen weiter auf Talfahrt
Die Talfahrt der Kurse ist am Mittwoch an den wichtigsten Börsen Lateinamerikas weitergegangen. Am größten Aktienmarkt des Subkontinents in der brasilianischen Wirtschaftsmetropole São Paulo gab der Bovespa-Index um 3,85 Prozent auf 38.593,54 Punkte nach. Allein in den letzten fünf Handelstagen brach der Bovespa um 22,5 Prozent ein.
In Mexiko-Stadt fiel der IPC-Index unterdessen um 0,99 Prozent oder 205,77 Einheiten auf 20 678,92 Punkte. Der Merval-Index in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires verschlechterte sich um 1,83 Prozent. Er büßte 25,33 Punkte ein.
Nach dem koordinierten Eingreifen großer Notenbanken haben die USA und Europa ihre Bemühungen um eine bessere Zusammenarbeit in der Finanzkrise verstärkt. US-Finanzminister Paulson schlug am Mittwoch eine Weltfinanzkonferenz vor, an der auch die wichtigsten Schwellenländer teilnehmen sollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte unter anderem mit US-Präsident George W. Bush und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und verabredete mit ihnen eine engere Abstimmung der Maßnahmen zur Stützung der Märkte.
Bush habe Merkel angerufen, um sie über die Schritte der USA in der Finanzkrise zu informieren, teilte das US-Präsidialamt am Abend mit. Die beiden Regierungschefs seien sich einig gewesen, dass angesichts der Probleme, vor denen die Weltwirtschaft stehe, alle Länder zusammenarbeiten müssten, sagte Sprecherin Dana Perino weiter.
Bessere internationale Abstimmung geplant
Auch Merkel und Sarkozy verabredeten eine bessere Abstimmung. Sie stimmten überein, "dass die Maßnahmen Deutschlands und Frankreichs in der Finanzkrise vollständig koordiniert werden", hieß es in der gemeinsamen Erklärung, die am Mittwochabend in Paris veröffentlicht wurde. In deutschen Regierungskreisen hieß es, die Kanzlerin habe auch mit dem britischen Premierminister Brown und weiteren Regierungschefs telefoniert. Auch hier sei es um Abstimmungen in der Finanzkrise gegangen, hieß es weiter, ohne dass Einzelheiten genannt wurden.
Nach Angaben des US-Finanzministeriums unterstützt Bush den Vorschlag einer Weltkonferenz. Das Treffen soll nach den Worten Paulsons nach den G7-Beratungen stattfinden. Ein Gipfeltreffen der Regierungschefs der größten Volkswirtschaften der Welt ist noch für 2008 geplant. Bereits am Freitag beraten die Finanzminister der sieben Industrienationen über neue Spielregeln an den tief verunsicherten Finanzmärkten. (vem)