Chodorkowski-Prozess
9. Dezember 2010Dem einst reichsten Mann Russlands wird derzeit ein zweiter Prozess gemacht. Wegen angeblicher Unterschlagung von etwa 218 Millionen Tonnen Öl fordert die Moskauer Staatsanwaltschaft für Michail Chodorkowskij sechs weitere Jahre Haft.
Bereits seit 2003 sitzt der Kremlkritiker eine Strafe wegen Steuerhinterziehung ab. Nach dem ersten Prozess gegen den ehemaligen Öl-Magnaten wurde dessen milliardenschwerer Konzern Yukos zerschlagen. Nach wie vor weist Chodorkowskij alle Vorwürfe zurück und beteuert seine Unschuld. Vor seiner Verhaftung hatte er den Kurs des heutigen Regierungschefs Wladimir Putin scharf kritisiert und aktiv die Opposition unterstützt.
Deswegen betrachten Menschenrechtler die Prozesse gegen Chodorkowskij als politisch motiviert. Der Staat wolle nur ein Exempel an dem abtrünnigen Öl-Magnaten statuieren, meint auch dessen Anwalt Wadim Kljuwgant. "Alles ist hier fabriziert mit einem einzigen Zweck: Vergeltung", sagte Kljuwgant während des zweiten Prozesses. Dieser verlaufe keineswegs fair, so der Anwalt.
Unabhängiger Gerichtsentscheid?
Auch im Westen wird der Prozess gegen Chodorkowskij und seinen Geschäftspartner Platon Lebedew aufmerksam verfolgt. So zeigte sich Außenminister Guido Westerwelle bei seinem Besuch in Moskau im November besorgt über die Prozessumstände. Es liege im russischen Interesse, dass diese Sorgen ernst genommen würden, sagte Westerwelle gegenüber seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Er hingegen betonte, die russische Justiz sei unabhängig.
Prozessbeobachter meinen allerdings, die Regierung übe Druck auf das Gericht aus. Zwar habe es die Möglichkeit, frei zu entscheiden, nur müsse das Gericht diese Möglichkeit auch wahrnehmen, so der Vorsitzende des Menschenrechtszentrums Memorial, Oleg Orlow. Der zuständige Richter, Viktor Danilkin, sei in einer sehr schwierigen Lage. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Jurist, der Achtung vor sich selbst hat, unter diesen Bedingungen einen Schuldspruch verhängen kann. Im heutigen Russland ist aber leider alles möglich", so der Menschenrechtler.
"Freispruch wäre utopisch"
Am 27. Oktober hatte die Verteidigung das Schlussplädoyer eröffnet. Chodorkowskij ergriff als erster das Wort und sprach rund drei Stunden. Abschließend bat er das Gericht nicht um Gnade, sondern, bei seinem Urteil klaren Kopf zu behalten. Allerdings, wie er sagte, wäre ein Freispruch im Moskauer Gericht fast schon ein utopisches Ereignis.
Im Falle eines Schuldspruchs wäre Chodorkowskij erst 2017 ein freier Mann. Das Urteil wird für den 15. Dezember erwartet. Michail Chodorkowskij hat schon jetzt angekündigt, gegen den möglichen Schuldspruch vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg zu klagen.
Autoren: Jegor Winogradow, Artjom Maksimenko (dpa)
Redaktion: Markian Ostaptschuk / Fabian Schmidt