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Unvergessen – 10 Jahre 9/11

11. September 2011

Allen Terrorwarnungen zum Trotz sollen an diesem Sonntag die Feiern zum Gedenken an die Anschläge vom 11. September 2001 wie geplant stattfinden. Die Menschen, die Ground Zero besuchen, lassen sich nicht einschüchtern.

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9/11 (Foto: Dirk Eusterbrock)
New York, 11. September 2001, 9:59 Uhr Ortszeit: Der Südturm des WTC stürzt einBild: Dirk Eusterbrock

Es gebe "glaubwürdige", aber "noch nicht bestätigte" Hinweise auf einen geplanten Terroranschlag auf Washington oder New York, hatte die US-Regierung am Donnerstag öffentlich gewarnt. Das bedeutet: Die Sicherheitsvorkehrungen für die beiden Städte wurden – zusätzlich zu den ohnehin für den Jahrestag geplanten Maßnahmen – noch einmal verstärkt. So sind in New York Straßen und U-Bahn-Stationen gesperrt, herrscht rund um Ground Zero Parkverbot. Polizisten mit Spürhunden patrouillieren in Bahnen und Straßen, Sicherheitsbeamte stehen vor vielen Gebäuden.

Baustelle des 'One World Trade Center' (Foto: dapd)
Soll 2013 fertiggestellt werden: Das neue "One World Trade Center"Bild: dapd

Dennoch herrscht am Samstag um die riesige Baustelle herum Betriebsamkeit. Die Menschen gehen einkaufen oder sitzen auf den Bänken vor dem Millenium Hilton, wo man direkt auf die Baustelle schaut und sieht, wie weit das neue "One World Trade Center" schon in den Himmel gewachsen ist. Eine Straßenecke weiter gibt es Holzrosen in den Nationalfarben rot-weiß-blau zu kaufen; der Erlös kommt den Hinterbliebenen der getöteten Feuerwehrmänner zugute. "Das Geschäft geht gut", sagt Verkäuferin Stacy.

Freude und Trauer nebeneinander

Zwei hübsche junge Mädchen, die eine in knappen pinken Shorts, fotografieren sich lachend gegenseitig vor einem Banner mit den Namen aller fast 3000 Opfer. Zwei Meter neben ihnen kreist ein junger Mann wie so viele vor ihm einen Namen auf dem Banner ein. "Du hast so viele gerettet", schreibt er dazu und wischt sich Tränen aus den Augen. Überhaupt sieht man hier viele gestandene Männer, deren T-Shirts sie oft als Polizisten oder Feuerwehrleute ausweisen, mit rotgeweinten Augen.

In der Trinity Church eine Straßenecke weiter findet am Nachmittag eine Gedichtlesung zur Erinnerung an die Opfer des Anschlags statt. Und im Garten der kleinen Kirche, die 1766 erbaut wurde, und die den Einsturz der Türme unbeschadet überstanden hat, treffen sich viele der Ersthelfer von damals zum Grillfest. Sie tauschen Erinnerungen aus daran, wie die Kirche zu einer Oase der Erholung wurde. Hier konnten sie Kraft schöpfen, einen Kaffee trinken, erhielten freundliche Worte des Zuspruchs, bevor sie wieder "hinaus in die Hölle" mussten, wie Charles Kaczorowski erzählt. Zehn Monate hat er in den Trümmern der Türme gearbeitet und jetzt will er sich bei den Helfern in der Kirche bedanken.

9/11 Memorial (Foto: dapd)
Zehn Jahre danach: Wo einst die Zwillingstürme standen, befindet sich nun das 9/11 MemorialBild: dapd

Vertrauen in die Polizei

"Charlie K", wie man ihn hier kennt, arbeitet wie damals für die Stadt New York als Manager im Ministerium für Design und Bauwesen. "Ich sehe das so: Ich habe Vietnam überstanden, den ersten Anschlag auf das World Trade Center", zählt er auf, "9/11, Ground Zero – ich bin auf alles vorbereitet, aber ich vertraue der New Yorker Polizei voll und ganz, dass sie hier in New York City einen hervorragenden Job macht und fühle mich sicher." Seine einzige Sorge sei höchstens, "dass mir eine Taube auf den Kopf macht".

Auch Nancy Scales Tarascio hat keine Angst. Sie ist eine von den 334 Angehörigen, die an diesem Sonntag (11.09.2011) an Ground Zero die Namen der Opfer der Terroranschläge verlesen werden, nicht nur der in New York, sondern auch der Menschen, die im Pentagon und beim Absturz von Flug 93 in Shanksville/Pennsylvania ums Leben kamen. Die Zeremonie beginnt um 8:35 Uhr Ortszeit. Nancys Bruder, Oberst David Scales, kam im Pentagon ums Leben. Er war 44 Jahre alt.

"Niemals vergessen"

Nancy Scales Tarascio (Foto: dapd)
Nancy Scales TarascioBild: DW

"Wir dürfen niemals vergessen", sagt Nancy Tarascio, "denn es ist sehr schmerzlich zu wissen, dass es dort draußen Menschen gibt, die uns den Tod wünschen". Das ganze Land sei angegriffen worden, und daran müsse man sich jeden Tag erinnern, fordert sie. Viele Menschen würden sagen, man solle die Ereignisse von damals endlich hinter sich lassen, das kann sie nicht verstehen. "Die haben offensichtlich nicht die Schmerzen gespürt." Außerdem, gibt sie zu bedenken, habe sich das Land seit dem Anschlag verändert: "Alles ist anders nach 9/11, wir müssen an so viel denken, nehmen Sie nur die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen."

Doch es gibt auch New Yorker, die aus der Stadt geflüchtet sind – und Ersthelfer, die lieber zuhause bleiben. Captain Scott Fried ist einer von ihnen. Der 52-jährige Rettungssanitäter war damals Einsatzleiter auf einer Wache der New Yorker Feuerwehr in Brooklyn, er hat am 11. September 2001 den Einsatz von 120 Kollegen koordiniert. Erst einen Tag später kam er zum ersten Mal nach Ground Zero, war später für die Bergung, Aufbewahrung und Identifizierung der Leichenteile zuständig. "Das war sehr anstrengend und wir waren alle sehr angespannt damals", erinnert er sich. Nach 1500 Arbeitsstunden an Ground Zero hat er aufgehört zu zählen.

Schmerzliche Erinnerungen

Scott Fried (Foto: Scott Fried)
Scott Fried, Rettungssanitäter der New Yorker FeuerwehrBild: Scott Fried

Scott Fried wird an diesem Wochenende nicht in der Stadt sein, er bleibt bei seiner Familie auf Long Island. Er meidet Ground Zero auch sonst. 2005 hat er dienstlich in der Nähe zu tun gehabt, da seien die ganzen Emotionen wieder hochgekommen: "Da überkam mich plötzlich Angst, Wut, ich fühlte mich verloren." 30 Jahre war er Rettungssanitäter, 9/11 hat sein Leben verändert. Inzwischen ist er pensioniert und konzentriert sich auf seine Familie.

Auch das Land, sagt Scott Fried, habe sich verändert, und es ärgert ihn. "Wir haben viele Freiheiten aufgegeben." Er könne auch nicht verstehen, wieso manche Leute den Bau einer Moschee in der Nähe von Ground Zero verbieten wollen. "Das war ein Haufen Fanatiker, damals", es gebe keinen Grund die Religions- und Meinungsfreiheit aufzugeben.

Für ein paar Stunden am Sonntag sollen Kontroversen wie die um den Bau der Moschee vergessen sein. Sechs Schweigeminuten wird es bei der zentralen Gedenkfeier am Ground Zero geben – zwei für die Einschläge der Flugzeuge in den Türmen, zwei für den Einsturz der Türme und je einen für das Attentat auf das Pentagon und den Absturz von Flug 93 in Shanksville. US-Präsident Barack Obama wird während der Zeremonie anwesend sein, genauso wie der damalige Präsident George W. Bush. Beide werden Texte verlesen, allerdings keine Reden halten. Es soll ein Tag der Erinnerung und des Gedenkens werden, an dem die Nation näher zusammen rückt, an dem die erbitterten politischen Debatten, die tiefen Gräben zwischen Republikanern und Demokraten vergessen sein sollen. Wenigstens für einen Tag.

Autorin: Christina Bergmann, New York
Redaktion: Christian Walz