Unterwegs mit dem Spaziergangsforscher
3. September 2010Der Stannebeinplatz in Leipzig-Schönefeld gehört definitiv nicht zu den touristischen Brennpunkten der Messemetropole. Wer hier am Freitagabend kurz vor 18 Uhr vorbei kommt, will entweder einfach nur schnell nach Hause oder hat vielleicht eine besondere Verabredung mit Bertram Weisshaar. Dutzende rennen in weniger als 20 Minuten vorbei, doch zwölf bleiben tatsächlich vor dem unscheinbaren Eingang zum Mariannenpark stehen, dem heutigen Treffpunkt für die Erkundungstour mit dem Spaziergangsforscher.
Es ist eine bunte Truppe, die sich da im Halbkreis um den Mann im weißen Trenchcoat versammelt, die Jüngsten sind Anfang 30, die älteste Teilnehmerin ist über 70. Auf einem alten Leipziger Stadtplan skizziert Bertram Weisshaar die heutige Spazierroute, knapp vier Kilometer entlang des kleinen Flüsschens Parthe. "Die entspringt bei Glasten in der Nähe von Bad Lausick im Wald als ganz kleines Bächlein", erzählt der 48-Jährige noch, bevor es quer durch den Mariannenpark in Richtung Parthe geht. Und da Wissenschaftler immer auch einer Frage nachgehen müssen, stellt er gleich noch die für den heutigen Abend: "Wie kommt der Fluss in die Stadt und wie kommt er von da wieder in die Landschaft?"
Abseits der Touristen
Nach ein paar Minuten beginnt es leicht zu regnen, doch die Spaziergänger stört das nicht, die meisten haben vorsorglich einen Regenschirm dabei. Immer wieder bleibt Bertram Weisshaar stehen, erklärt Details der Wegstrecke und zum Mariannenpark, später zu den Kleingärten am Wegesrand und am Flusslauf der Parthe. Es dauert nicht lange, bis ihn eine Teilnehmerin danach fragt, wie er eigentlich Spaziergangsforscher geworden sei. "Ich habe Landschaftsplanung studiert und in diesem Zusammenhang die Spaziergangswissenschaft kennen gelernt."
Seit 2001 lebt Weisshaar in Leipzig, bietet als Spaziergangsforscher immer wieder Touren an, hat so schon Gruppen durch stillgelegte Tagebauanlagen und über Baustellen in Halle an der Saale geführt. Er ist bereits von Leipzig nach Köln spaziert und quer durch Mazedonien. Dabei würden ihn weniger die Orte interessieren, "die als touristisch sehenswürdig anerkannt sind, sondern vor allem die Räume, die daneben liegen." Mit der Parthe hat er da einen Volltreffer gelandet, weit und breit ist kein einziger Tourist zu sehen.
Unbekannte Heimat
Spannend sei die Tour trotzdem - oder womöglich gerade deswegen, meint Ulla Marx. Die Mittfünfzigerin geht gern und oft spazieren, mindestens dreimal die Woche, meist jedoch nur in ihrem eigenen Wohnviertel weit im Leipziger Osten. Hier an der Parthe sei sie noch nie gewesen, findet es aber "höchst interessant, die Heimatstadt mal aus einer anderen Perspektive zu erkunden". Immer weiter geht der Spaziergang in Richtung Innenstadt, einziger Wegweiser ist das kleine Flüsschen, das immer wieder links und rechts der Wegstrecke auftaucht.
Bertram Weisshaar führt seine Gruppe entlang zweispuriger Bundesstraßen, durch wildes Gestrüpp hinter dem großen Leipziger Hauptbahnhof und an Wohnsiedlungen vorbei. Ab und an kramt er in seiner Umhängetasche, holt ein paar Notizen hervor und hält einen kurzen Vortrag. Dann erfahren die Teilnehmer, dass sie gerade in der "Fliederhofsiedlung" stehen, die vom Leipziger Architekten Johannes Koppe erbaut wurde. Oder dass manche Kleingärtner sich zur Erholung extra eine kleine Bank an den Fluss stellen, andere hingegen die Parthe nur als Müllkippe benutzen. Egal ob Architekt, Stadtplaner oder Gartenfreund, Weisshaar hat für alle und jeden ein paar Informationen dabei.
Nach gut zwei Stunden taucht die Gruppe langsam wieder ins Getöse der Stadt ein. Der Spaziergang endet am Zoologischen Garten, mitten im Leipziger Zentrum. Denn hier, so erklärt der Spaziergangsforscher am Ende noch, verschwindet die Parthe wieder in der Landschaft.
Autor: Ronny Arnold
Redaktion: Conny Paul