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"Unser Wasser ist unser Gold"

Anna Bianca Roach
11. September 2019

In Armeniens Bergen, nahe des Kurorts Dschermuk, sorgt eine Goldmine für Proteste. Anwohner blockieren die Inbetriebnahme, weil sie sie als Gefahr für ihr Trinkwasser sehen. Die Quelle entspringt in der Nähe der Mine.

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Proteste gegen die Goldmine Amulsar in Armenien
Bild: Tehmine Yenoqyan 

Dschermuk im Südwesten Armeniens ist bekannt für seine heißen Quellen, wohltuenden Wasser-Anwendungen und beeindruckenden Wasserfällen. Doch seit das Bergbauunternehmen Lydian International anrückte, um die Goldvorkommen oberhalb des Kurortes am Berg Amulsar abzuschöpfen, ist er für etwas anderes berühmt geworden.

Seit Juni 2018 versammeln sich Demonstranten aus ganz Armenien, um sich einer Mine in den Weg zu stellen, die, wie sie sagen, ihr Land und ihr Wasser verschmutzt. Tag und Nacht bewacht, ist es ihnen durch die Blockade der Zufahrtswege gelungen, den Ausbau der Mine zu stoppen.

Ein Jahr später ist der armenische Premierminister Nikol Paschinjan unter Druck geraten, sich für eine Seite zu entscheiden. Er war erst durch die "Samtene Revolution" im Jahr 2018 an die Macht gekommen. Auf der einen Seite steht eine populäre öffentliche Protestbewegung, die die Mine als Symbol für das korrupte, gerade gestürzte Regime sieht. Auf der anderen steht ein Unternehmen mit Sitz in der britischen Steueroase Jersey, das verantwortlich für Armeniens größte Auslandsinvestitionen ist.

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Verschmutzung von Seen und Weideland

Schon bevor der Bau der Amulsar-Mine begann, verließ sich das Bergbauunternehmen Lydian auf die damals bekannterweise korrupte Regierung, um Land zu erwerben. Die dort ansässigen Landwirte sagen, sie hatten die Wahl zwischen dem Verkauf ihrer Weideflächen und einer Enteignung.

Landschaft um den Berg Amulsar in Armenien
Die Menschen, die um den Berg Amulsar leben, sorgen sich vor Umweltverschmutzungen durch eine Goldmine Bild: DW/V. Sargsyan

"Die Dorfbewohner wissen nicht, wohin sie ihre Kühe oder Schafe jetzt bringen sollen. Sie werden die Landwirtschaft aufgeben müssen", sagte Aharon Arsenjan, der in Dschermuk wohnt und seit 2012 Widerstand gegen das Unternehmen leistet, gegenüber der DW.

Seit die Bagger im Jahr 2017 eintrafen, so berichten die Anwohner, habe sich die Lage verschlechtert. Immer wenn Wind aufkam, "war Staub da", sagt Arsenjan. "Jedes Mal. Wir haben nie - wirklich nie! - solche Mengen Staub gesehen."

Während der Bauarbeiten kam dunkles, schlammiges Wasser aus ihren Wasserhähnen, erzählen die Bewohner von Dschermuk und des nahe gelegenen Dorfes Gndevaz. Eine lokale Fischfarm berichtete vom ungewöhnlichen Tod Hunderter Fische.

Andere erzählen, dass sie das übrig gebliebene Ackerland auch nicht mehr bewirtschaften konnten, denn das Vieh weigerte sich, das staubbedeckte Gras zu fressen und verunreinigtes Wasser zu trinken.

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Widersprüchliche Einschätzungen

Die größte Kontroverse findet jedoch darüber statt, was passiert, wenn die Mine tatsächlich in Betrieb geht. Die große Frage ist, ob Armeniens größte Trinkwasserquelle ausreichend geschützt ist.

Arsenyan nennt seine Heimatstadt "die Hauptstadt des Wassers". Dschermuk und die Mine liegen nahe der Quelle der Flüsse Arpa und Vorotan, die den Sewansee speisen, und so den Großteil der armenischen Bevölkerung mit Trinkwasser und auch Fisch versorgen.

Zwei kleine Mädchen spielen an einem Springbrunnen
In ganz Armenien gibt es kleine Brunnen, die Pulpulak genannt werden. Die Menschen verlassen sich auf das frische, saubere Trinkwasser. Besonders beliebt sind sie während des armenischen Wasserfests Wardawar Bild: Tehmine Yenoqyan 

"Das gesamte Ökosystem des Landes hängt davon ab", sagte Arpine Galfayan, ein Mitglied der Umwelt-Aktivistengruppe Armenian Environmental Front (AEF), die sich von der Hauptstadt Jerewan aus organisiert und gegen die Mine kämpft, gegenüber der DW.

Die erste Umweltverträglichkeitsprüfung, die Lydian im Jahr 2016 veröffentlichte, kam zu dem Schluss, dass nur eine geringe Menge an Abwasser eingeleitet und dann entsprechend der Vorgaben aufbereitet würde. Andere störende Faktoren wie Lärm, Staub und Verschmutzung sollten laut Bericht auf ein überschaubares Maß begrenzt bleiben. Das Unternehmen kündigte außerdem an, vorhandene Umweltschäden durch die Finanzierung eines neuen Nationalparks auszugleichen.

Als das Unternehmen sich jedoch an den armenisch-amerikanischen Geochemiker Harout Bronozian als potenziellen Investor des Projekts wandte, hatte dieser Zweifel. Er veranlasste eine neue Untersuchung. Die Berater von Bronozian kamen zu dem Ergebnis, dass Lydian die Umweltbelastung des Projekts stark unterschätzt habe. Das Projekt würde mit ziemlicher Sicherheit den Sewansee und andere Wasservorkommen mit Chemikalien wie Arsen und Zyanid über mehrere Jahrhunderte kontaminieren - mit ernsten Folgen für die Lebewesen im Wasser und die Gesundheit der Menschen.

Laut einer Studie der Umweltschutzorganisation Balkani Wildlife Society könnte durch das Projekt der Lebensraum gefährdeter Arten verloren gehen, wie des stark bedrohten Kaukasusleoparden. Sie bezeichnete den von Lydian versprochenen Nationalpark als "ein sehr negatives Beispiel für eine Kompensation von Artenvielfalt" und konstatierte, dass die Mine weder armenische noch europäische Umweltstandards einhalte.

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Eine Nahaufnahme des Kaukasusleoparden, auch als Persischer Leopard bekannt
Die Mine könnte in den Lebensraum des seltenen Kaukasusleoparden eingreifenBild: Imago Images/E. Giesbers

"Unser Wasser ist unser Gold"

Obwohl die Anwohner besorgt waren, als das Unternehmen vor mehr als einem Jahrzehnt auftauchte, wagten es nur wenige, sich öffentlich zu äußern, berichtet Galfayan der DW. Nach Angaben der AEF gehörten Regierungsmitglieder zu den Aktionären von Lydian. Und nachdem armenische Streitkräfte im Jahr 2008 auf Demonstranten schossen, die gegen umstrittene Wahlen protestiert hatten, herrschte eine Atmosphäre der Angst und Unterdrückung.

Im April 2018 änderte sich dann alles. Die Armenier gingen auf die Straße, nachdem der damalige Präsident Sersch Sarkisjan versucht hatte, sich eine weitere Amtszeit zu sichern. Mit dem Versprechen der Korruption ein Ende zu setzen, gewann der Oppositionsführer Nikol Paschinjan die ersten demokratischen Wahlen des Landes und wurde im Mai 2018 Premierminister.

Angespornt durch den Sieg der Protestbewegung begannen die Einwohner von Dschermuk und der umliegenden Dörfer mit der Blockade der Mine. "Unser Wasser ist unser Gold" wurde landesweit zum Slogan für den Kampf gegen die Korruption. Jedes Mal, wenn sich Lydian eine neue Strategie überlegte, um die Regierung zum Abbruch der Blockade zu drängen, traf ein neuer Konvoi aus Fahrzeugen mit Verstärkung aus dem ganzen Land ein.

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Ein Spiel mit hohem Einsatz

Paschinjans Regierung schaffte es jedoch weder, die von seinen Vorgängern erteilte Lizenz für Lydian zu widerrufen, noch die Blockaden wirksam zu beseitigen. Stattdessen sagte sie, dass eine erneute Prüfung erforderlich sei, um zu entscheiden, ob die Mine in Betrieb genommen werden dürfe.

All das traf Lydian hart. Für das Jahr 2018 meldete das Unternehmen "Blockadekosten" von mehr als 37 Millionen Euro und einen Gesamtverlust von rund 123 Millionen Euro. Die Aktionäre wurden informiert, dass das Risiko bestehe, "dass das Unternehmen bezüglich der Vereinbarungen in Verzug geraten wird."

Mann spricht durch ein Megaphon zu einer Gruppe Menschen
Umweltschützer Aharon Arsenjan spricht bei einer Anti-Minen-KundgebungBild: Tehmine Yenoqyan 

Im März teilte Lydian schriftlich mit, dass sie die Regierung vor einem Schiedsgericht verklagen würde, falls die Situation nicht geklärt werde. Es kursierten Gerüchte, dass das Unternehmen versuchen könnte, Verluste in Höhe von rund 1,8 Milliarden Euro geltend zu machen - eine Summe, die knapp zwei Drittel des Staatshaushalts von Armenien entspricht.

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Im Juli wurde schließlich die Umweltverträglichkeitsprüfung der Regierung veröffentlicht. Sie ergab, dass die Mine sicher sei. In den Wochen danach änderte Paschinjan jedoch mehrmals seine Meinung: Einmal bestätigte er das Ergebnis der Prüfung.  Dann äußerte er wieder Zweifel an den selbst in Auftrag gegebenen positiven Prüfergebnissen. 

Am 7. September berief der Premierminister ein Treffen mit den Umweltaktivisten und dem Interims-CEO von Lydian, Edward Sellers, ein. Dieser sagte, dass die Firma eine unabhängige Prüfung des Standorts zulassen werde.  Zwei Tage später forderte Paschinjan die Demonstranten in den sozialen Medien auf, die Blockade aufzugeben.

Daraufhin erwiderte die Umweltaktivistin Arpine Galfajan, dass die Demonstranten nicht nur die Blockade fortsetzen, sondern auch eine größere Kampagne des zivilen Ungehorsams planen würden, einschließlich eines Marsches auf die Hauptstadt. "Das ist eine Frage des Überlebens und der Gerechtigkeit für uns", sagte sie. "Wir schlagen definitiv zurück."

Jean Blaylock von der Kampagnen-Organisation Global Justice Now sagte der DW, dass die Prozesse vor einem internationalen Schiedsgericht so geheim gehalten werden, dass es gut möglich sei, dass Lydian seinen Fall bereits vorgelegt habe.

"Schiedsgerichte sind ein perfektes Instrument für international tätige Unternehmen, um Regierungen einzuschüchtern", sagte Blaylock. "Die Summen können riesig sein. Die Richter betrachten Fälle aus einer eingeschränkten Perspektive. Insgesamt wird so massiver Druck auf Regierungen ausgeübt, damit sie nachgeben."

Die DW hat Lydian um eine Stellungnahme gebeten zu der Kritik an ihre Geschäftspraktik und gefragt, ob es ein Gerichtsverfahren geben werde - doch das Unternehmen hat nicht geantwortet.