1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die große Kluft bleibt

Richard A. Fuchs19. November 2013

Gut einen Monat verhandeln Union und SPD über die Bildung einer großen Koalition. Auf der sechsten großen Runde ging es um Arbeit und Soziales. Doch mancher Kompromiss bleibt ein Scheinerfolg, solange Details offen sind.

https://p.dw.com/p/1AKph
Koalitionsverhandlungen am 19.11.2013 in Berlin (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

[No title]

Noch ist sie groß, die Kluft zwischen den drei Parteien CDU, CSU und SPD. Daran konnte auch das insgesamt sechste Aufeinandertreffen nichts ändern, bei dem die drei Parteien Gemeinsamkeiten auf dem Weg zu einer großen Regierungskoalition ausloten wollten. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles zeigte sich mit dem Stand der Koalitionsverhandlungen zufrieden. "Wir haben sehr viel Strecke gemacht", sagte sie am Dienstag zu den Beratungen der 75 Unterhändler, die sich im SPD-Hauptquartier des Willy-Brandt-Hauses in Berlin getroffen hatten. Sichtlich unzufrieden dagegen, die CSU. Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte, die Verhandlungen müssten "an Dynamik gewinnen", um erfolgreich zu sein.
Bei Mindestlohn steht nicht mehr als die Hülle
Sechs Stunden wurde hinter verschlossenen Türen gesprochen, dann traten die drei Generalsekretäre der Parteien vor die Presse. Besonders im Fokus, die Themen Arbeit und Soziales und damit die bisherigen Dauerstreitthemen Mindestlohn, Mütterrente und Frauenquote. Bei der Frage, ob Deutschland einen flächendeckenden Mindestlohn branchenübergreifend einführen sollte, gab es Fortschritte.
Die SPD-Spitze: ihre Parteibasis erwartet Verhandlungserfolge (Foto: rtr)
Die SPD-Spitze: ihre Parteibasis erwartet VerhandlungserfolgeBild: Reuters
Die möglichen Koalitionspartner in spe verständigten sich darauf, dass zukünftig ein gesetzlich gültiger Mindestlohn von einer Kommission festgelegt werden soll. Diese soll aus aus Vertretern der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und Experten gebildet werden. "Wir haben einen wichtige Schritt auf dem Weg zum gesetzlichen Mindestlohn gemacht", sagte darauf SPD-Generalsekretärin Nahles. Wohl wissend, dass auf Druck der konservativen Verhandlungspartner weder die Höhe einer solchen flächendeckenden Lohnuntergrenze bislang bestimmt wurde, noch ein Einführungstermin benannt werden kann.

Die SPD hatte bis zuletzt 8,50 Euro als bundesweit einheitliche Lohnuntergrenze gefordert, was von der Union und von führenden Wirtschaftsvertretern abgelehnt wird. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe betonte, dass keine Regulierung dazu führen dürfe, dass die Flexibilität am Arbeitsmarkt abnehme. Es müsse aber eine Lösung gefunden werden, die "Beschäftigung nicht gefährdet", sagte Gröhe. "Ein Arbeitsloser kriegt keinen Mindestlohn." Etwas verbindlicher als beim Mindestlohn, die Vereinbarungen bei den Maßnahmen gegen den Missbrauch von Werksverträgen und der Leiharbeit. Um Arbeitnehmer besser vor Lohndumping durch Werksverträge zu schützen, sollen die Informationsrechte der Betriebsräte ausgebaut werden.

Putzfrau (Foto: dpa/picture alliance))
Mehr Geld für Geringverdiener: eine Kommission soll in Zukunft Lohnuntergrenzen bestimmenBild: picture-alliance/dpa

Frauenquote, Fachkräfteoffensive und Frauenrechte

Einigkeit zeigte die Runde vor allem dort, wo bereits zuvor Konsens bestand. So bekräftigten Union und Sozialdemokraten ihren Willen, ab 2016 eine Frauenquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen ab einer bestimmten Größe vorzuschreiben. Zudem kündigte SPD-Generalsekretärin Nahles an, dass eine schwarz-rote Regierungskoalition eine Fachkräfteoffensive starten wolle, die vor allem jenen Jugendlichen eine zweite Chance am Arbeitsmarkt gebe, die bei schulischer und beruflicher Bildung im ersten Anlauf gescheitert sind. Weiterhin unversöhnlich dagegen die Haltung der Koalitionspartner in spe bei der Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften und ihrem Recht auf die Adoption von Kindern. Während für die SPD dies ein Kernpunkt eines zukünftigen Koalitionsvertrages ist, lehnen CDU und CSU eine Öffnung der Familienpolitik strikt ab. Dissens auch in Fragen der Rentenpolitik. Während die Unionsparteien unter dem Schlagwort der "Mütterrente" eine Gerechtigkeitslücke für alle jene Frauen schließen wollen, die vor 1992 ihre Kinder geboren haben und dadurch heute weniger Rentenansprüche besitzen, ist dies für die Sozialdemokraten keine Priorität. CSU-Generalsekretär Dobrindt sagte, Mütter aus dieser Zeit "dürften nicht bestraft werden." Und er kritisierte vor allem die SPD, die nach seiner Ansicht nach finanzielle Hürden aufbaue, um das Vorhaben zu kippen. Auch der CDU-Vertreter Gröhe betonte: "Die Mütterrente kommt."

Am Ende sollen es die Parteichefs richten - hier Horst Seehofer und Angela Merkel (Foto: rtr)
Am Ende sollen es die Parteichefs richten - hier Horst Seehofer und Angela MerkelBild: Reuters

Bei Rüstung, Außenpolitik und Menschenrechten herrscht Einigkeit

Dissens hier, ein Bild der Harmonie dort. Bereits am Vormittag traten die Verhandlungsführer der Arbeitsgruppe zur Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik vor die Presse. Statt scheinbar unüberbrückbarer Meinungsdifferenzen, wie sie der Öffentlichkeit abends präsentiert wurden, hatten die Verhandlungsführer Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Thomas de Maizière hier Lob füreinander parat. Inhaltlich gebe es "keinen offenen Punkt", sagte der geschäftsführende Bundesverteidigungsminister de Maizière. Und Sozialdemokrat Steinmeier zeigte sich besonders über die Verständigung beim Streitthema Rüstungsexporte zufrieden. Man sei gemeinsam der Überzeugung, sie aus dem "dunkel der Geheimniskrämerei" herauszuholen. Entscheidungen des Bundessicherheitsrates über Waffengeschäfte mit Drittstatten sollen künftig dem Parlament "und damit der Öffentlichkeit" zugänglich gemacht werden. Einen Kompromiss haben Union und SPD auch beim Umgang mit unbemannten Luftfahrzeugen, sogenannten Drohnen, gefunden. "Die Bundeswehr werde auch künftig auf derartige Fähigkeiten angewiesen sein", betonte de Maizière. Eine Bewaffnung der Drohnen sei nicht ausgeschlossen. "Völkerrechtswidrige Tötungen mit unbenannten Luftfahrzeugen lehnen wir kategorisch ab", ergänzte der Christdemokrat. Die SPD hatte sich vor Beginn der Koalitionsverhandlungen gegen die Entwicklung und Anschaffung von Drohnen ausgesprochen.

Am Ende kommt, was bezahlbar ist

Die besonders strittigen Fragen wurden allesamt auf die bevorstehende Schlusswoche der Verhandlungen vertagt. Damit wird das Gelingen der Verhandlungen zur Chefsache der Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD). Die bisher vereinbarten Kompromisse bleiben unter "Finanzierungsvorbehalt", was nichts anderes bedeutet, als dass die Parteichefs am Ende das Wünschenswerte mit dem Finanzierbaren in Einklang bringen werden müssen. Bis zum 27. November haben sich Union und SPD Zeit eingeräumt, einen gemeinsamen Koalitionsvertrag auszuhandeln. Dieser Kompromiss soll dann bis Mitte Dezember von einer SPD-Mitgliederbefragung bestätigt werden.