Streit um Doppelpass
8. November 2013Martin Jungnickel fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Der stämmige Mann mit der Halbglatze und dem weißen Bart ist Dezernatsleiter im Regierungspräsidium Darmstadt. Eigentlich kümmern sich Jungnickel und seine Mitarbeiter um Migranten, die die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen wollen. In diesem Jahr aber musste der Beamte schon mehr als 40 jungen Menschen den deutschen Pass wegnehmen. Jungen Menschen, die in Deutschland geboren wurden und die ihr ganzes Leben hier verbracht haben. "Ausbürgerungsbescheid" heißt so etwas im Behördendeutsch.
Wer zu spät kommt, den bestraft die Behörde
Hintergrund ist das sogenannte Optionsmodell. Es ist ein Kompromiss zwischen der Union und der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung. Das Modell wurde im Jahr 2000 eingeführt. Seitdem bekommen in Deutschland geborene Kinder von Einwanderern zwei Staatsbürgerschaften: die ihrer Eltern und die deutsche. Der Haken: bis zum 23. Geburtstag müssen sie sich entscheiden, welche sie behalten wollen. Wer den Stichtag versäumt, wird ausgebürgert. Eine dauerhafte doppelte Staatsbürgerschaft ist nicht möglich.
Der Praktiker Jungnickel wünscht sich eine allgemeine Zulassung des Doppelpasses. Das Optionsmodell sei "ein alter Zopf, der abgeschnitten gehört". Die Betroffenen fühlten sich ungerecht behandelt und ausgegrenzt. Der Verwaltungsaufwand sei enorm. Und er könnte in den nächsten Jahren deutlich steigen. Jungnickel ist besorgt: Wenn erst einmal die im Jahr 2000 oder später Geborenen dazu kämen, dann müssten sich pro Jahr 40.000 junge Menschen entscheiden.
Doppelpassverbot - aber nicht für alle
Dabei gibt es schon jetzt zahlreiche Ausnahmen vom Doppelpassverbot: "EU-Bürger sind zum Beispiel nicht von der Optionspflicht betroffen", erklärt Rechtsanwalt Victor Pfaff vom Deutschen Anwaltsverein. Auch bei Marokkanern, Iranern, Algeriern, Syrern und den meisten Lateinamerikanern greife die Regelung nicht, weil ihre Heimat eine Ausbürgerung nicht akzeptiere. Hier geborene Deutsch-Syrer oder Deutsch-Spanier dürfen also beide Pässe behalten. Für die Türkei gilt dies aber nicht. Das Gesetz sei also im Grunde ein Gesetz gegen türkische Staatsangehörige, kritisiert Pfaff.
Die Deutsch-Türken stellen mit rund drei Millionen Menschen die größte Migrantengruppe in Deutschland. Rund eine Million wurde in Deutschland geboren. Kenan Kolat ist Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Er fordert das Ende des Optionsmodells, eine leichtere Einbürgerung und die Möglichkeit der Mehrstaatlichkeit. "Diese ideologische Debatte, dass man nicht zwei Herren dienen darf, muss beendet werden", betont Kolat. Die doppelte Staatsbürgerschaft bedeute auch eine "Anerkennung der Kultur" der Betroffenen.
Verhärtete Fronten beim Doppelpass
Unterstützung bekommen die Gegner des Optionsmodells von den Sozialdemokraten. Die SPD will das Modell abschaffen und die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich zulassen. Diese Ziele werden seine Partei "auf keinen Fall preisgeben", sagte Thomas Oppermann, Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag.
Doch ob die SPD diese Pläne in einer großen Koalition mit der CDU und CSU auch wirklich durchsetzen kann, steht auf einem anderen Blatt. Denn die Union stellt sich in den Koalitionsverhandlungen bei diesem Thema zumindest bisher quer. Hans-Peter Friedrich (CSU) ist Bundesinnenminister und Gegenspieler von Oppermann in der Arbeitsgruppe Innenpolitik. Wer in Deutschland bleiben wolle, erklärte Friedrich, müsse sich die deutsche Staatsbürgerschaft durch Integration verdienen: "Wir müssen die deutsche Staatsbürgerschaft nicht wie Sauerbier anbieten."
Als Kompromiss bot Friedrich den Sozialdemokraten an, die bisherigen Fristen beim Optionsmodell zu verlängern, zum Beispiel bis zum 30. Lebensjahr. "Das wäre eine Verlängerung eines schlechten Zustandes. Darauf können wir uns auf gar keinen Fall einlassen", sagte Oppermann nach den Gesprächen mit der Union am Donnerstag (7.11.2013). Ohne ein Ende des Optionsmodells, mahnte Oppermann, werde es keine Einigung bei den Koalitionsgesprächen geben. Jetzt muss wohl anstatt der Innen-Arbeitsgruppe die große Runde der Koalitionsverhandlungen über das Thema entscheiden. Die tritt am 13. November zusammen.
Während Friedrich die doppelte Staatsbürgerschaft weiterhin strikt ablehnt, hat Horst Seehofer schon ein Hintertürchen geöffnet: Der CSU-Chef schlug das Modell einer ruhenden Staatsbürgerschaft vor. Demnach könnte ein Inhaber von zwei Pässen seine Rechte dort ausüben, wo sein Lebensmittelpunkt ist. Kritiker halten dieses Modell zwar für wenig praktikabel, weil es bilaterale Vereinbarungen mit den jeweiligen Staaten erforderlich machen würde. Trotzdem ist der Vorschlag ein erster Schritt weg von der prinzipiellen Ablehnung des Doppelpasses.