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UNHCR hilft auf Lesbos

Wolfgang Dick20. September 2016

Die genauen Umstände des Brandes im Lager Moria sind noch ungeklärt. Doch Asylsuchende auf den griechischen Inseln benötigen schneller Klarheit über ihre Zukunft, sagt UNHCR-Sprecher Roland Schönbauer im DW-Interview.

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Syrische Flüchtlinge kommen auf einer griechischen Insel an (Foto: Petros Giannakouris, AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo/P. Giannakouris

DW: Sie sind vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in dem Flüchtlings und Migrantenzentrum "Moria" auf Lesbos und auch in den anderen Zentren mit einem Team präsent. Wie erleben Sie die Situation derzeit vor Ort?

Roland Schönbauer: Es gibt einfach nicht genug Kapazitäten für die Zahl von Flüchtlingen, die in diesen Zentren untergebracht sind und dort auch auf ihre Verfahren warten. Auf Lesbos zum Beispiel sind 5300 Leute. Die Insel hat aber nur eine Kapazität für 3.500 von ihnen. Das hat Auswirkungen – von den sanitären Anlagen bis zu den wirklich sehr gedrängten Schlafräumlichkeiten. Umso bedauerlicher ist das Feuer von Montagabend, das 800 bis 900 Menschen mindestens um ihre Unterkunft gebracht hat. Einige haben nur ein Zelt verloren, aber viele auch kleine vorgefertigte Häuschen, die das UNHCR zur Verfügung gestellt hat. Die sind niedergebrannt. Wir schätzen nach derzeitiger Analyse, dass ungefähr die Hälfte der Bewohner von "Moria" betroffen ist.

Im Lager "Moria" soll bei dem Feuer Brandstiftung im Spiel gewesen sein. Welche Anzeichen dafür und die zunehmende Gewalt in den Aufnahmelagern haben Sie mit ihrem Team machen können?

Wir als UNHCR-Mitarbeiter haben keine Beobachtungen gemacht, die zur Klärung dieser Frage beitragen können. Aber es ist ganz sicher so, dass man sich die Ursachen für den Vorfall ganz genau ansehen muss. Das Thema Sicherheit der Flüchtlingslager ist ein besonders wichtiges Thema.

Wie geht es derzeit auf Lesbos und den anderen ägäischen Inseln weiter?

Jetzt gerade läuft eine Notsitzung, in der definiert wird, welche Organisationen welchen Beitrag leisten können, um diese für die Leute sehr schwierige Lage zu verbessern. Das UNHCR wird Familienzelte aufstellen und hat ein multidisziplinäres Team vor Ort, das die individuellen Bedürfnisse der Leute näher ansieht. Sie müssen sich vorstellen, es geht um Menschen, die haben ein Asylverfahren begonnen und womöglich haben sie jetzt all ihre Dokumente in dem Feuer verloren. Es geht aber auch um die psychische Belastung. Zum Glück ist niemand physisch zu Schaden gekommen. Zur Zeit helfen viele Organisationen mit Decken, Zelten und Schlafgelegenheiten oder sie stellen Wasser zur Verfügung. Aber das alleine wird nicht reichen.

Porträt Roland Schönbauer (Foto: UNHCR)
Roland Schönbauer: "Mehr Flüchtlings-Transfers auf das Festland sind notwendig"Bild: UNHCR

Wird das UNHCR Personal vor Ort aufstocken?

Das UNHCR unterstützt jetzt bereits griechische Behörden , die dieses Zentrum wie alle anderen Zentren führen, indem wir die Asylbewerber informieren und helfen, die besonders verletzlichen Gruppen zu identifizieren, wie zum Beispiel unbegleitete minderjährige Mädchen und Buben, die ohne Eltern in der Situation sind. Wir versuchen alternative Unterkünfte zu finden. Ungefähr 100 Flüchtlinge sind im PIKPA-Dorf, einer privaten Initiative untergekommen. Das UNHCR wird die Regierung noch stärker unterstützen, Menschen von den Inseln in Camps auf dem griechischen Festland zu transferieren. Das UNHCR bezahlt Bootstickets und organisiert Busse. Wir haben den Behörden bei der Vorregistrierung von Asylsuchenden geholfen und binnen Monaten 28.000 Asylsuchende registrieren können. Das wurde sehr gut angenommen. Wir haben eine Million Hilfsgüter verteilt. Aber es bleibt noch viel zu tun.

Warum ändert sich die Situation der Flüchtlinge in Griechenland nicht schneller?

Es geht nicht nur um mehr Personal, sondern darum, dass die Dinge schneller laufen seitens der griechischen Behörden. Sie müssen die Verfahren beschleunigen und den Menschen diese nagende Ungewissheit über die Zukunft nehmen, indem es klare Entscheidungen gibt. Aber auch, indem Menschen, die in Griechenland kein Asyl brauchen, zügiger in Sicherheit und Würde weitergeleitet werden, auch das würde die Inseln entlasten. Es ist einfach eine Tatsache, dass die Kapazitäten der Behörden begrenzt sind. Sie würden sich helfen, wenn sie mehr Menschen auf das griechische Festland verlagern würden.

Zwei Kinder nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos . (Foto: Reuters/G. Moutafis)
Vor allem minderjährigen Flüchtlingen ohne Eltern möchte die Flüchtlingshilfe der UN helfen - wie hier im Lager "Moria"Bild: Reuters/G. Moutafis

Es sollen auch im Flüchtlingslager "Moria" Gerüchte über drohende Abschiebungen zu der Eskalation geführt haben. Was hat es mit diesen Abschiebungen auf sich ?

Ich kann leider zu Gerüchten nicht wirklich Stellung beziehen. Aber ich kann sagen, dass die Gerüchte leider sehr zunehmen. Und es gibt ein Grundproblem der griechischen Situation, dass sie die Gerüchte sehr fördert. Es warten seit Monaten Menschen zu Tausenden auf Entscheidungen der Behörden und auf Klarheit für ihr Leben. Sie haben sich Hoffnungen gemacht, in Europa ein neues Leben beginnen zu können, und jetzt sind diese Hoffnungen durch die Bedingungen auf Eis gelegt.

Je länger diese Situation andauert, desto leichter können Gerüchte kursieren, und umso leichter haben es Menschen mit bestimmten Interessen, Gerüchte streuen.

Welchen Anteil an den Gerüchten über Abschiebungen und an der Zuspitzung der Situation hat die rechtsextreme Partei "Goldene Morgenröte"?

Zu parteipolitischen Fragen möchte ich mich eigentlich nicht äußern. Aber es stimmt, dass die traditionell sehr große griechische Gastfreundschaft auch gegenüber Schutzsuchenden da und dort nicht mehr ungebremst die Menschen willkommen heißt und dass es stellenweise Unzufriedenheit in der lokalen Bevölkerung gibt, die vielleicht politisch ausgenutzt wird, was auch mit der mangelnden Sicherheit zu tun hat. Wenn in den Lagern wie "Moria" nicht für mehr Sicherheit gesorgt wird, wenn Polizei und andere Behörden ihren Job nicht gut genug tun, dann wird es weiter Zwischenfälle geben wie den am Montagabend und dann wird es weiter in der Bevölkerung eine Erosion des Verständnisses für die Flüchtlinge geben, weil Unsicherheit in den Aufnahmezentren in den umliegenden Gemeinden wahrgenommen wird.

Was wäre jetzt die wichtigste Maßnahme?

Es braucht schnellere Verfahren und ein Europa, das Griechenland stärker mit Transfers oder Relocation unterstützt. Da wurde einiges versprochen. Wir sind froh, dass Deutschland zugesagt hat, Griechenland mehrere hundert Asylbewerber abzunehmen. Aber insgesamt haben die europäischen Länder Griechenland 66.000 Fälle versprochen abzunehmen. Nur davon sind wir weit entfernt. Nur 4000 Asylbewerber sind in andere europäische Länder gekommen. Wenn das hier so weitergeht, werden wir Jahre benötigen mit allen Belastungen für die Menschen.

Wie schätzt das UNHCR die Chancen ein, von Griechenland weiter zu kommen, nach Deutschland Frankreich oder die Nordländer?

Wir haben wiederholt gefordert, dass es mehr reguläre Wege für Schutzsuchende gibt, um in verschiedene Länder zu kommen. Wenn man Humanitäre Visa, Familienzusammenführung oder die Transfers von Asylsuchenden nur stärker anwenden würde, dann würde man das Schlepperwesen am effizientesten bekämpfen. Viel besser als mit irgendwelchen Zäunen. Da ist noch Luft nach oben.

Roland Schönbauer ist Sprecher des UNHCR in Griechenland. Zuvor war er für das Flüchtlingshilfswerk in 13 anderen Ländern wie etwa Kolumbien.

Das Gespräch führte Wolfgang Dick.