Olympische Fackel beklagt sich
10. April 2008Ich will nicht mehr. Auch Fackeln haben Rechte. Und die werden mit Füßen getreten. Denkt eigentlich auch mal einer an mich?
Nicht genug damit, dass ich mich alle vier Jahre durch die Weltgeschichte schleppen lassen muss. Jeder neue Ausrichter meint, er müsse sich etwas ganz Besonderes für die olympische Fackel einfallen lassen. Ich war in der Arktis, unter Wasser, bin mit dem Fallschirm abgesprungen, mit dem Kamel geritten und sogar im Weltall gewesen. Insofern hat es mich nicht sonderlich überrascht, als die Pekinger ankündigten, sie wollten mich auf den Mount Everest schicken. Zunächst fanden alle die Idee ja auch ganz toll. Erst als die Chinesen die Proteste der Tibeter unter Ausschluss der Öffentlichkeit erstickten, dämmerte es einigen, dass man mich durch ein besetztes Land zum Everest tragen muss. Ach wirklich? Schön, dass es jemand nach fast einem halben Jahrhundert auffällt!
Aber jetzt soll plötzlich ich an allem schuld sein. Demonstranten bespucken mich, grapschen nach mir, versuchen Tibet-Fahnen über mich zu werfen, gehen mit dem Feuerlöscher auf mich los.
Ich werde geschützt wie ein Diktator! Von Privatsphäre keine Spur, selbst nachts habe ich keine Ruhe. Drei Bodyguards bewachen mich im Hotelzimmer, damit ich ja nicht verlösche.
"Ich bin eine Fackel, kein Sprengsatz!"
Hat mich eigentlich jemals einer gefragt, ob ich diese komische sogenannte Schutztruppe mit ihren blau-weißen Trainingsanzügen überhaupt will? Die kommen aus einer Eliteeinheit der chinesischen Militärpolizei. Hallo? Ich bin doch nur eine Fackel, kein Sprengsatz! Und wie die sich in der Öffentlichkeit aufführen! Sie rempeln, boxen, schreien herum und wenn sie schießen dürften, würden sie wahrscheinlich keine Sekunde zögern.
Ich habe es auch satt, mir ständig diese Heuchelei anhören zu müssen. Die einen tun so, als wäre ich auch noch dann ein Symbol für Frieden und Verständigung, wenn ich im gepanzerten Wagen durch die Straßen gekarrt werde. Die anderen beschimpfen mich, wollen mich am liebsten killen; wenn nicht jetzt, dann vielleicht bei den nächsten Spielen.
Sollen sie doch! Ich habe sowieso die Fackel gestrichen voll.