"Kein militärischer Ausweg"
24. Februar 2012In dem zweiten Bericht der Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates, der am Donnerstag (23.02.2012) im Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen in Genf abgegeben wurde, heißt es: "Die syrische Regierung hat die Verantwortung, ihr Volk zu schützen, missachtet." Die Aufständischen hätten zwar ebenfalls Verbrechen begangen - "jedoch nicht vergleichbar mit dem Ausmaß der Verbrechen der Regierung".
DW: Die Kommission ist zum Schluss gekommen, dass nur Gespräche die Gewalt in Syrien beenden können. Gibt es keine Alternative?
Paulo Pinheiro: Es gibt keinen militärischen Ausweg. Wenn es einen gäbe, wäre der Konflikt bereits beendet. Die erste Demonstration ist fast ein Jahr her. Wir müssen uns von der Illusion einer no fly zone und anderen Dingen, die in Libyen funktioniert haben, verabschieden. Syrien ist nicht Libyen.
Was die Staaten nun tun müssen, ist die verschiedenen Parteien an einem virtuellen Tisch zu versammeln. Wir haben aus Süd- und Zentralamerika umfangreiche Erfahrungen damit, wie man verhandelt. Wir müssen damit also nicht bei Null anfangen. Wir sollten nicht vergessen, dass die Franzosen im Algerienkrieg verhandelt haben, ohne den Konflikt zu unterbrechen, und Nord-Vietnam hat mit den USA ebenfalls ohne Waffenstillstand verhandelt.
Nicht, dass ich vorschlagen würde, die Gewalt in Syrien solle nicht gestoppt werden, das sollte sie. Besonders jetzt, wo wir sehen, was in Homs geschieht. Es ist eine Illusion zu glauben, dass es eine andere Lösung als den Dialog gibt, oder die Schaffung humanitärer Korridore in Syrien zu fordern. Das wird nicht funktionieren. Humanitäre Hilfe wird es nur geben, wenn zuvor darüber verhandelt wird, wie es das Internationale Rote Kreuz bereits auf sehr professionelle Weise versucht. Es gibt keinen anderen Ausweg. Das machen wir im Bericht ganz deutlich.
Würde ein Ende der Gewalt in Syrien auch das Ende der Regierung Assad bedeuten?
Man kann keine Verhandlung beginnen mit der Forderung nach dem Ende des Assad-Regimes. So können Verhandlungen nicht ablaufen. Wenn das möglich wäre, wäre der zweite Vorschlag der Arabischen Liga umgesetzt worden.
Es ist offensichtlich, dass man zuerst einmal mit Gesprächen beginnen muss, um zu sehen, was passiert. Ich habe kein Rezept dafür, wie dieses Gespräch oder diese Debatte verlaufen wird. Das einzige, was die Kommission ganz deutlich sagt, ist, dass es keinen militärischen Ausweg aus dieser Krise gibt.
Es scheint aber, dass Gespräche mit der Regierung bisher sehr schwierig sind. Auch die Kommission, die Sie geleitet haben, wurde in Syrien nicht empfangen.
Wir haben den Auftrag, zu verhandeln. Um ehrlich zu sein, hatten wir dieses Jahr steten Kontakt mit der Regierung. Nicht nur anhand von Daten, Korrespondenz, sondern auch über die Mission in Genf. Das hatten wir beim letzten Bericht, der im November 2011 veröffentlicht wurde, nicht. Und es besteht immer die Hoffnung, dass die Regierung ihre Perspektive ändert.
Wie ging das Sammeln von Informationen vor sich, ohne dass Sie in Syrien waren?
Das ist kein leichtes Unterfangen. Wenn wir ins Land gekonnt hätten, wäre es ein wenig einfacher gewesen. Selbst bei Untersuchungen in Situationen dieser Art würde man die Opfer nicht einem Risiko aussetzen. Wir haben regimekritische und regimefreundliche Syrer außerhalb des Landes interviewt. Wir haben Deserteure und Mitglieder der Opposition interviewt – im Ausland und in Syrien. Diese Interviews wurden über Skype geführt - sie unterliegen keiner Zensur, was mich bis heute überrascht.
Wir benutzen außerdem Informationen von internationalen Organisationen sowie Videoaufzeichnungen. Und wir haben Satellitenbilder einbezogen, werden von militärischen Beratern unterstützt, um uns zu orientieren. Der Bericht hat also einen soliden Kern an Informationen, aus dem wir unsere Schlussfolgerungen abgeleitet haben.
Wer steht auf der von Ihnen erstellten Liste der Personen, die die Menschenrechte in Syrien verletzen?
Wir haben dem Menschenrechtskommissariat eine Liste mit Namen und Institutionen vorgelegt, von denen wir meinen, dass sie schwere Verbrechen gegen die Menschenrechte begehen. Die Liste ist vertraulich. Die syrische Regierung wird sie einsehen können, wenn sie eine Untersuchung durchführen will. Denn die primäre Verantwortung zur Untersuchung dieser Verbrechen liegt bei der syrischen Regierung.
Interview: Nádia Pontes/ Julia Maas
Redaktion: Thomas Kohlmann