UN-Kommission sieht "Kriegsverbrechen" Israels
28. Februar 2019Israelische Soldaten haben nach Überzeugung unabhängiger UN-Experten bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen an der Grenze zum Gazastreifen 2018 Menschenrechte verletzt. "Einige der Menschenrechtsverletzungen könnten Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen sein, die Israel umgehend untersuchen muss", sagte Santiago Canton, der Vorsitzende einer Untersuchungskommission, die der UN-Menschenrechtsrat vor einem Jahr eingesetzt hatte, bei der Vorstellung des Berichts.
Der Tatbestand des Kriegsverbrechens betreffe Fälle, in denen israelische Scharfschützen gezielt auf Journalisten, Sanitäter, Kinder und Behinderte geschossen hätten, die "klar als solche erkennbar" gewesen seien, erklärte Canton. Es gebe hinreichenden Grund zu der Annahme, dass die Soldaten Palästinenser erschossen oder durch Schüsse verletzt hätten, "die weder direkt an Feindseligkeiten beteiligt waren noch eine unmittelbare Bedrohung darstellten".
"Besonders alarmierend ist es, dass Kinder und Menschen mit Behinderungen absichtlich zur Zielscheibe wurden", sagte Kommissionsmitglied Sara Hossain. Minderjährige mit komplizierten Verletzungen hätten von Israel teils keine Ausreisegenehmigung zur Behandlung in spezialisierten Krankenhäusern erhalten. Ein 14-Jähriger sei an einer Blutvergiftung gestorben, weil er in Gaza nicht behandelt werden konnte und nicht ausreisen durfte.
Israels Außenminister Israel Katz wies den Bericht als "feindselig, verlogen und einseitig" zurück. "Niemand kann Israel das Recht auf Selbstverteidigung absprechen sowie die Pflicht, seine Einwohner und seine Grenzen vor gewalttätigen Attacken zu schützen", teilte er mit. "Die Hamas-Organisation, deren erklärtes Ziel die Zerstörung des Staates Israel ist, drängt die Einwohner des Gazastreifens an die Grenze, darunter auch Frauen und Kinder, und sie trägt die Verantwortung."
Auf mehr als 6000 Demonstranten geschossen
Die Kommission bezieht sich nur auf den Zeitraum bis Ende 2018. In der Zeit hätten israelische Scharfschützen am Grenzzaun auf mehr als 6000 unbewaffnete Demonstranten geschossen. 189 Menschen seien getötet worden, 35 davon Minderjährige. Drei hätten Sanitäter-Westen getragen, zwei seien klar als Journalisten zu erkennen gewesen. 122 Menschen hätten Gliedmaßen amputiert werden müssen. Ein israelischer Soldat sei getötet worden, vier seien verletzt worden.
Die Kommission wies israelische Argumente zurück, die Proteste seien ein Vorwand für "Terroraktivitäten". Zwar seien bei den Palästinenser-Demonstrationen "einige erhebliche Gewaltakte" begangen worden. Dabei habe es sich aber "nicht um Kampfhandlungen oder einen Militäreinsatz" gehandelt. Es seien vielmehr zivile Demonstrationen "mit klar erkennbaren politischen Zielen" gewesen.
Der von der radikal-islamischen Hamas beherrschte Gazastreifen ist ein größtenteils von Israel umgebenes Gebiet am Mittelmeer. Seit dem 30. März 2018 protestieren Einwohner am Grenzzaun für eine Aufhebung der seit Jahren bestehenden Gaza-Blockade sowie die Erlaubnis zur Rückkehr für palästinensische Flüchtlinge in Gebiete, die heute zu Israel gehören. Sie schicken unter anderem fliegende Brandbomben Richtung Israel. Nach Angaben der Gesundheitsministeriums in Gaza wurden von Ende März 2018 bis Ende Februar 2019 insgesamt 259 Palästinenser getötet und Tausende verletzt.
Die weitgehende Absperrung besteht seit mehr als zehn Jahren und wird von Ägypten mitgetragen. Beide Staaten begründen dies mit Sicherheitsinteressen. Israel, die EU und die USA betrachten die Hamas als Terrororganisation. Der Gazastreifen ist nicht viel größer als der Stadtstaat Bremen, aber dort leben rund zwei Millionen Menschen unter schwierigsten Bedingungen.
stu/pg (dpa, afp)