Umweltschutz ist Luxus
18. September 2006In Lagos, der größten Stadt Nigerias, leben 70 Prozent der Bevölkerung von einem Dollar am Tag. Da werden Umwelt- und Gesundheitsschutz zu einem Luxusproblem. Keiner regt sich deshalb darüber auf, wenn Fäkalien der Metropole ungeklärt ins Wasser gelangen. Die Fischer sind sogar froh darüber und werfen keine 10 Meter weiter ihre Netze aus. "Die Fische kommen her, um die Fäkalien zu fressen", sagen sie. "Und wir fangen dann die Fische."
Krank durch den GroßstadtstressBei dem ständigen Lärm, den Müllbergen und den bei jedem Regenguss überfließenden Gullis liegen die Nerven vieler Städter blank. Umweltmediziner berichten von einer zunehmenden Zahl von Kranken, die Symptome von Social Pollution aufweisen - einer durch Stress und Überbevölkerung verursachten Krankheit. Sie tritt besonders häufig bei Taxi- und Busfahrern auf. Wer mit dem Wagen im Berufsverkehr unterwegs ist, gerät unweigerlich in den notorischen Go-Slow, einen jener stundenlangen Staus, bei denen sich kaum etwas bewegt - bis auf die Klimaanlage oder Kühlung versprechende Handfächer.
Eine Stadt platzt aus den NähtenBesserung ist in der Megastadt nicht in Sicht. Tag für Tag strömen 10.000 Menschen aus den ländlichen Gebieten nach Lagos. Dieser unkontrollierte Zuwachs überfordert die Stadt. Im Jahr 2015 wird Lagos geschätzte 25 Millionen Einwohner haben. Städteplaner argumentieren deshalb, dass Bevölkerungsdruck heute der größte Verursacher von Umweltverschmutzung und der Grund für die explodierende Kriminalitätsrate ist.
Fragt man die Einwohner von Lagos nach dem Grund für Dreck und Müllberge, dann zeigen sie schnell mit dem Finger auf die Politiker. Es gehört zum guten Ton in Nigeria, die Regierung für Missstände verantwortlich zu machen. Daran wird auch das neue Müllkonzept der Verwaltung wenig ändern. Die Regierung will Müllcontainer in Lagos aufstellen und eine Kultur des Müllentsorgens einführen. Statt auf der Straße soll Müll künftig in Säcken entsorgt werden. Doch ob sich damit auch gleich das Umweltbewusstsein der Menschen ändert, ist fraglich.
UmweltpsychologieDie Umweltpsychologin Ibi Agiobu-Kemmere von der Universität von Lagos weiß, dass sich Zuwanderer vor ihrem Umzug in die Megastadt in ihren Dörfern auch um ihre Umwelt gekümmert haben. "Aber in der Stadt haben sie das Gefühl, sie könnten tun und lassen, was sie wollen." Für sie ist die Ursache klar: "Die Umweltverschmutzung ist ein Schlag ins Gesicht der Regierung nach dem Motto: Ihr kümmert euch nicht um uns, also kümmern wir uns auch nicht."
1991 zog die Regierung von Lagos in die auf dem Reißbrett entworfene neue Hauptstadt Abuja um. Doch wer dachte, dass der Umzug den Verkehr in Lagos entzerren und die Umweltverschmutzung verbessern würde, sah sich enttäuscht. Im Gegenteil: Die Landflucht hält unvermindert an, und damit die Belastung durch Autoabgase, Müllberge und verschmutztes Wasser. Und so versinkt das Venedig Afrikas immer tiefer im Müll.
Autoren: Frank Ilogu, Sola Solanke, Idris Waisu und Ludger Schadomsky
Redaktion: Peter Koppen