Umstrittenes Museum für Jack the Ripper
23. August 2015Trotz all der renovierten und hübsch anzusehenden Fassaden kommen die Touristen vor allem wegen Jack the Ripper ins Londoner East End. Der berüchtigte Serienmörder, der Ende des 19. Jahrhunderts Prostituierte aufgeschlitzt und ihre Eingeweide entnommen haben soll, wurde vielfach in Büchern und Filmen verewigt. Bis heute strahlt er eine morbide Faszination aus, und so trifft man jeden Tag auf Besuchergruppen, die sich im Stadtteil Whitechapel unter kundiger Führung an die Tatorte des Rippers herantasten.
Ein gebrochenes Versprechen
Als aber Anfang August das Jack the Ripper Museum seine Pforten öffnete, gab es überraschend viel Ärger. Denn eigentlich sollte das neue Museum in der Cable Street die Geschichte der Frauenbewegung in den Fokus rücken. Doch es kam anders als geplant: Die einzigen Frauen, um die es auf einmal ging, waren die Opfer der geheimnisvollen Morde, die die prüde Fassade des viktorianischen Zeitalters über Nacht ins Wanken gebracht hatten.
Feministinnen, die sich auf eine "Institution der Frauenbewegung" gefreut hatten, organisierten spontane Proteste vor dem Museum. "Wir missbilligen alles, was Gewalt an Frauen verherrlicht, vor allem an Prostituierten. Nach unserem Verständnis sollte hier ein Museum entstehen, das den Frauen im East End, den Arbeiterinnen und Suffragetten, ein Denkmal setzt. Von daher ist es doch verständlich, dass das bei vielen für Verärgerung sorgt", meint eine Vertreterin der britischen Hilfsorganisation EAVES, die Gewalt gegenüber Frauen bekämpft. Sie zog es vor, anonym mit der DW zu reden.
Mäßiger Andrang und noch weniger Gruselfaktor
Ein Blick ins Gästebuch des neuen Museums zeigt mäßigen Besucherverkehr aus aller Welt, von Neuseeland bis zu den USA, darunter viele Deutsche. Auch Leute aus der Nachbarschaft waren schon da - neugierig darauf zu sehen, was nach den ganzen Kontroversen hier entstanden ist. "Zur Zeit sieht der Laden ganz nach einem Flop aus", meint der Betreiber des Tante-Emma-Ladens von nebenan. "Wir haben hier ja immer noch Schulferien, und da kommen bei denen bestenfalls drei oder vier Besucher täglich durch die Tür. Aber ich wünsche ihnen viel Glück. Falls das Ganze doch noch ein Erfolg werden sollte, wäre es natürlich für mich und mein Geschäft nebenan auch von Vorteil."
Ob dieser Wunsch sich erfüllt, ist unklar. Beim Vorbeifahren der Londoner U-Bahn wackelt der alte Bau, während Besucher sich über fünf Stockwerke von Raum zu Raum vorantasten. Im ersten Stock wird einer der Tatorte nachgestellt, im zweiten dann das Wohnzimmer des Rippers, während im Hintergrund unheimliche Gesänge die Besucher bis zum nachgestellten Leichenhaus im Keller begleiten. Allerdings fehlt eindeutig der Gruselfaktor. Wer den puren Horror in London sucht, ist beim Tower of London, wo jahrhundertelang Gefangene gefoltert und hingerichtet wurden, viel besser aufgehoben.
East End: Heimat gescheiterter Existenzen
Doch ist es überhaupt ethisch akzeptabel, aus menschlichen Abgründen Profit zu schlagen? In Hollywood mag das ja durchaus gut ankommen, aber Russell Edwards, der Autor von "Naming Jack the Ripper," sieht das ganz anders.
Bei der Eröffnung des makabren Museums seien viel zu viele Faktoren ignoriert worden, findet Edwards, der 2014 forensisches Beweismaterial vorlegte, das auf den Barbier Aaron Kosminski als Täter hinweist. "Die Geschichte von Jack the Ripper ist ja lediglich die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs", so der Experte. "Das viktorianische Zeitalter ist voller Geschichten gescheiterter Existenzen, vor allem im East End von London. Diese Gegend um Whitechapel herum war das Zuhause unzähliger Leute, deren Leben nichts als reine Tragödien waren. Und all diese Schicksale werden durch Jack the Ripper verherrlicht. Seine Geschichte basiert auf dem Tod und stigmatisiert die armen Frauen, denen zu Lebzeiten nichts anderes übrig blieb, als sich als Prostituierte zu verkaufen."
Stadtverwaltung verlangt eine Erklärung
Die Diskrepanz zwischen den ursprünglichen Museumsplänen und der tatsächlichen Umsetzung sind auch Bürgermeister John Biggs im Stadtrat von Tower Hamlets, der zuständigen Behörde, aufgefallen. Er sei sehr enttäuscht über die Entscheidung, ein Jack the Ripper Museum anstelle eines Frauenmuseums zu öffnen, sagte er. "Es wird mir mittlerweile klar, dass unsere Abteilung bei der Antragsstellung reingelegt wurde." Und so kündigte der Bürgermeister an, dass er eine Erklärung von Seiten des Museums hinsichtlich der geänderten Pläne verlangen werde.
Auch Russell Edwards hätte da ein paar Fragen: "Es bricht mir fast das Herz, denn durch meine eigenen Recherchen kenne ich ja die Nachkommen der Opfer des Rippers persönlich. Ich weiß genau, wie sehr ihre Vorfahren zu Lebzeiten leiden mussten - lange bevor sie auf so furchtbare Art ermordet wurden. Diese Frauen kannten kein menschenwürdiges Dasein und keine Perspektiven. Sie lebten von der Hand in den Mund, und dann nahm dieser Mörder ihnen auch noch das Leben und verstümmelte ihre Körper", so Edwards.
Das Rätsel des East Ends geht weiter
Andrew Waugh, der Architekt, der die Baupläne für das Museum angefertigt hatte, behauptete in einem Interview auf der Homepage von "Building Design," dass die Auftraggeber ihn betrogen hätten. Wenn er gewusst hätte, dass am Ende ein Jack the Ripper Museum entstehen solle, hätte er das Projekt nicht einmal mit Handschuhen angefasst. Was hier entstanden sei, sei skandalöser, frauenfeindlicher Müll.
Der Inhaber des Ripper-Museums äußerte sich nicht zu den Vorwürfen. Und somit stellt sich die Frage, warum an dieser Stelle eines Serienmörders und nicht der Frauenbewegung gedacht wird. Es bleibt ein Rätsel – ganz wie die Geschichte von Jack the Ripper.