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Umstrittene Paralympics-Regeln

19. März 2010

Die Regel im Sport bei einem Rennen ist einfach: Sieger ist derjenige, der als Erster die Ziellinie überquert. Nicht so bei den Paralympics. Da entscheidet ein komplexes und umstrittenes Bewertungssystem, wer gewinnt.

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Monoskifahrer bei den Paralympics in Vancouver (Foto: AP)
Spektakuläre Bilder, unübersichtliche RegelnBild: AP

Das ist doch nicht fair! Der Laie auf der Zuschauertribüne kann es kaum glauben. Beim Biathlon-Wettkampf ziehen die Konkurrenten an Josef Giesen mühelos vorbei. Der Deutsche hat keine Arme und kann deshalb auch keine Stöcke einsetzten, um sich abzustemmen. Viele seiner Konkurrenten dagegen haben mindestens einen Arm, mit dem sie arbeiten können. "Das ist immer so, dass ich überholt werde. Da habe ich kein Problem mit. Mit den Wettkampfklassen dagegen habe ich eins – da muss daran gearbeitet werden", meint der Bronze-Medaillengewinner in der Verfolgung.

Unterschiedliche Armlänge – gleicher Prozentsatz

Der deutsche Biathlet Josef Giesen freut sich am Mittwoch über den Gewinn der Bronzemedaille im 12,5 km Biathlon (Stehend) bei den Paralympics 2010 in Whistler, Kanada. (Foto:dpa)
Biathlet Josef GiesenBild: picture alliance / dpa

Beim Biathlon gibt es beispielsweise drei Schadens- beziehungsweise Wettkampf-Klassen: Stehend, sitzend und die sehbehinderten Athleten. Innerhalb dieser Klassen gibt es allerdings noch Unterkategorien. Je nachdem, welcher Kategorien der Sportler zugeordnet ist, wird seine Zeit mit einem bestimmten Prozentsatz zusammengerechnet. Josef Giesen gehört der Schadensklasse LW 5/7 an, das heißt: "Mir werden 87 Prozent zugestanden. Von meiner Endzeit werden mir damit 13 Prozent abgezogen."

Athleten, die nur wenig in ihrer Ausübung eingeschränkt sind, haben einen niedrigen Prozentsatz. Diejenigen, die beispielsweise beide Beine nicht einsetzen können, bekommen dagegen hundert Prozent. Ein ausgeklügeltes System, das auch in vielen anderen zeitorientierten Sportarten eingesetzt wird, das aber eben auch Schwächen hat, wie Bronze-Medaillengewinner Josef Giesen betont. "Ich bin in der Wettkampfklasse LW 5/7, da gibt es unterschiedliche Armlängen, aber wir haben alle die gleiche Prozentzahl. Es gibt zum Beispiel einen Russen, der hat - in Anführungszeichen - nur die Hände ab. Der kann halt bei jedem Schritt mitschwingen und ist damit deutlich schneller."

Bentele bringt das System durcheinander

Biathletin Verena Bentele und Begleitläufer Thomas Friedrich feiern den Sieg in der 3-km-Verfolgung der sehbehinderten Biathleten bei den Paralympics in Vancouver (Foto: dpa)
Seriensiegerin Bentele und ihr Begleitläufer FriedrichBild: picture alliance/dpa

Auch Giesens Teamkollege Frank Höfle, der zusammen mit der Universität Freiburg das Prozentsystem mit erfunden und entwickelt hat, gibt zu: "Ich behaupte nicht, dass das Prozentsystem vollkommen ausgereift ist." Ein großes Problem dabei ist: Bei der Methodik werden Durchschnittswerte ermittelt. Doch Athleten, wie die blinde Verena Bentele, die im Biathlon und Langlauf mit großem Abstand eine Goldmedaille nach der anderen gewinnt, bringt das System durcheinander. "Da kommt eine wie die Verena, die hat Talent und verschiebt die Grenze plötzlich ganz woanders hin", erläutert Höfle. Das Ganze sei halt ein in sich bewegendes System. "Aber eine Alternative dazu gibt es einfach nicht", glaubt Höfle, der nach diesen Paralympics seine Karriere beendet und sich diesem Problem verstärkt widmen will.

Verständlicher – aber nicht unbedingt fair

Wenn es dieses Prozentsystem nicht gäbe, müsste es – so wie früher - wieder deutlich mehr Klassen geben. Gab es in der Vergangenheit im Ski nordisch bei einem Wettkampf noch zwölf Paralympicsieger, sind es seit acht Jahren nur noch drei. Das macht das Geschehen – vor allem für die Zuschauer - verständlicher. Andererseits haben dadurch nicht alle Sportler faire Wettkampfbedingungen. Ein Problem, für das es derzeit noch keine Lösung gibt.

Autor: Sarah Faupel
Redaktion: Arnulf Boettcher