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Schafft Deutschland die Integration von Ukrainern?

Mathis Richtmann
31. März 2022

Deutschland erlebt derzeit die größte Flüchtlingsbewegung seit 2015. Experten warnen: Vor allem bei Bildung und Arbeitsmarktintegration könnte es Probleme geben.

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Deutschland Bremen Protest gegen den Krieg in der Ukraine
Protest gegen den Krieg in der Ukraine in BremenBild: Mohssen Assanimoghaddam/dpa/picture-alliance

Ihor Bielozorov will arbeiten. Der ukrainische Zahnarzt war im Urlaub, als er vom Krieg in seiner Heimat überrascht wurde. Um nicht ewig bei seinen Bekannten in der Nähe von Osnabrück im Nordwesten Deutschlands zu Gast zu sein, sucht er schnell ein eigenes Einkommen. Doch so einfach ist das nicht.

Am Mittwoch besprach sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, wie Geflüchtete aus der Ukraine in den deutschen Arbeitsmarkt finden können. Die Zeichen dafür stehen eigentlich gut, denn das Bildungsniveau in der Ukraine gilt als hoch im internationalen Vergleich.

Infografik Flüchtlingsbewegungen Ukraine (Stand: 29.03.22) DE
Vor allem über Polen sind viele Flüchtlinge weiter nach Deutschland gezogen

Etwa 280.000 Geflüchtete aus der Ukraine wurden seit Kriegsbeginn in Deutschland registriert. Entsprechend einer neuen EU-Richtlinie dürfen sie sofort in Deutschland arbeiten.

Integration scheitert an Anerkennung von Abschlüssen

Es ist vor allem das deutsche Anerkennungsverfahren für ausländische Berufsabschlüsse, das Ihor Bielozorov bisher von einer Arbeit in seinem erlernten Beruf abhält. Ein bis zwei Jahre, berichten ihm Bekannte, wird es dauern, bis er in Deutschland offiziell als Zahnarzt arbeiten kann. Bis dahin muss er neben einer Sprach- auch eine Fachprüfung ablegen -­– obwohl Bielozorov in der Ukraine bereits zwei Jahre als Zahnarzt gearbeitet hat.

"Die Anerkennungsverfahren sind teuer, langwierig und komplex", sagt Martina Müller-Wacker im DW-Gespräch. Die Expertin für Berufsintegration fordert daher, dass der Bund die Verfahren kostenlos anbietet und mit einem Stipendium die häufig nötigen Weiterbildungsmaßnahmen fördert. Denn oft versuchen Migrantinnen und Migranten wegen der hohen Hürden erst gar nicht, die Anerkennung zu bekommen, und bleiben in schlechter bezahlten Jobs.

Deutschland | Ankunft ukrainischer Flüchtlinge in Berlin
Helfer nehmen Flüchtende aus der Ukraine in Berlin in EmpfangBild: Hannibal Hanschke/Getty Images

Zum Verhängnis wird vor allem die Komplexität der Verfahren. Laut Müller-Wacker sind etwa 1500 unterschiedliche Stellen in Deutschland für Berufsanerkennung zuständig, Bundes- und Landesrecht unterscheidet sich mitunter, und Behörden sind überfordert. Es gibt Berufe, für die eine Anerkennung notwendig ist, und welche, die keine offizielle Zulassung brauchen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung empfiehlt Betroffenen eine Broschüre, die auch in ukrainischer Sprache vorliegt.

Wer im Ausland einen Beruf erlernt hat, muss zur Anerkennung oft ordnerweise Unterlagen einreichen: Zeugnisse, Studienlisten und Gutachten. Müller-Wacker schlägt daher vor, auf Bundesebene zu deckeln, welche Unterlagen gefordert werden können.

Nach dem Gespräch von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit Spitzenvertretern von Arbeitgeber, Wirtschafts- und Sozialverbänden sowie Gewerkschaften nannte der SPD-Politiker die Anerkennung ausländischer Abschlüsse eine "Herkulesaufgabe".

 Bundesminister für Arbeit und Soziales I Hubertus Heil
Arbeitsminister Hubertus Heil setzt sich für die Anerkennung von Berufsabschlüssen ein Bild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Die Vereinfachung des Arbeitsmarktzugangs für Ausländer ist im Ampel-Koalitionsvertrag vorgesehen. Nach dem Termin am Mittwoch verwies Heil auf weitere Treffen, gab aber keine konkreten Entscheidungen bekannt.

In den vergangenen zwei Jahren hat das bundesweite Programm "Integration durch Qualifizierung" (IQ) fast 5000 Ukrainer bei Anerkennungsverfahren beraten; am häufigsten Lehrerinnen. Für sie sind die Hürden jedoch besonders hoch. Denn Bayern lässt Lehrerinnen aus Nicht-EU-Staaten gar nicht zu, in den meisten Bundesländern müssen die Pädagogen ein Referendariat nachholen und häufig nebenbei ein zweites Fach studieren. Aber Expertin Müller-Wacker hat einen Rat: "In Hamburg können Lehrerinnen auch nur mit einem vertieften Fach in den Schuldienst."

Schulen und Kitas schon jetzt am Limit

Überhaupt, der Bildungsbereich. Gut die Hälfte der Geflüchteten aus der Ukraine sind Kinder. Aber: "Fast in allen Bundesländern fehlen Lehrerinnen und Gebäude", sagt Juliane Karakayali von der Evangelischen Hochschule Berlin.

Karakayali ist skeptisch, ob die Integration in den Schulen gelingen wird. Schulen und Kitas seien schlecht vorbereitet.

Wichtig ist der Professorin für Soziologie, geflüchtete Kinder nicht separiert zu unterrichten. Denn so fehle den Kindern der Anschluss, um Deutsch zu lernen. Die Gefahr sei, dass Kinder es dann langfristig schwerer am Arbeitsmarkt haben.

Der rechtliche Anspruch auf Schulbesuch ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Laut Karakayali haben Kinder in Berlin bereits ab dem Tag ihrer Ankunft das Recht auf einen Schulplatz; in Nordrhein-Westfalen und Bayern hänge das vom Aufenthaltsstatus ab und könne auch bis zu sechs Monate dauern. Entscheidend für die Zukunft Geflüchteter aus der Ukraine ist also, wo genau in Deutschland sie landen.

Hingehen, wo es Jobs gibt

Ihor Bielozorov will mit seiner Freundin Oksana dahin in Deutschland ziehen, wo er leicht Arbeit findet. Die Geflüchteten aus der Ukraine, die keine Ersparnisse und keine Kontakte haben, können sich ihren Wohnort jedoch nicht aussuchen.

Ihre Verteilung erfolgt deutschlandweit durch den sogenannten Königsteiner Schlüssel. Demnach müssen die bevölkerungsreichen Bundesländer die meisten Menschen aufnehmen.

Deutschland I Ukraine-Konflikt - Flüchtlinge I Schule
In Köln nehmen Schüler aus der Ukraine schon am Unterricht teilBild: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Die Länder wiederum verteilen intern in der Regel in solche Kommunen, die Platz haben. Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) warnt daher, dass Geflüchtete häufig in strukturschwache Regionen gebracht werden. Dort stehen zwar oft Wohnungen leer, aber es gibt keine Jobs. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat laut IAB gezeigt, dass Geflüchtete, die ihren Wohnort selbst wählen konnten, eher Arbeit finden.

Die Privaten sind flexibler

Unterdessen schießen private Initiativen aus dem Boden, um Geflüchtete aus der Ukraine in Arbeit zu bringen. Internet-Portale wie UATalents oder Imagine Ukraine sind Jobbörsen für alle Berufszweige; die Deutsche Bahn schaltet eine Telefon-Hotline in russischer und ukrainischer Sprache zur Jobvermittlung.

Bei allem Aufwand um die Integration bleibt offen, ob die Menschen aus der Ukraine hierbleiben werden, ob sich also die langwierige Anerkennung von Abschlüssen und die Mühen lohnen. Für Ihor Bielozorov jedoch stellt sich die Frage nicht: "Wir werden bleiben. Unsere Wohnung wurde zerstört, da müssen wir sowieso von Null anfangen", sagt der Zahnarzt aus Kiew.