Skeleton-Fahrer gibt Kindern Hoffnung
21. Februar 2023Noch einmal fokussiert Vladyslav Heraskevych die Eisbahn in Sigulda in Lettland. Sein Blick ist starr, er wippt angespannt von einem Bein auf das andere. Neben ihm steht sein Vater und Trainer Mychajlo und spricht ihm noch einmal Mut zu. Es ist das letzte Rennen in dieser Weltcup-Saison für den ukrainischen Skeleton-Piloten. Dann holt Heraskevych noch einmal tief Luft und zieht sich den Helm über den Kopf. In großen Buchstaben prangt dort das Wort "Ukraine" auf der Seite seines Helms, den ein Freund designt hat.
Für den 1999 in Kiew geborenen Athleten ist es eine besondere Saison, denn seit rund einem Jahr herrscht Krieg in seiner Heimat. "Im Vergleich zum vergangenen Jahr ist es sehr schwer für mich", sagt Heraskevych der DW. "Ich bin einfach erschöpft. Es ist sehr schwer, sich auf die Wettkämpfe zu konzentrieren, wenn in deiner Heimat Krieg herrscht und Menschen, die ich kenne, an der Front kämpfen und sterben."
Heraskevych: "Wir sind immer noch hier"
Mit lauten Anfeuerungsrufen seines Vaters wirft sich der 24-Jährige in den Eiskanal. Der Start gelingt, Heraskevych geht mit wenigen Zehntelsekunden Rückstand auf die Spitze in die ersten Kurven der Bahn. Im Gegensatz zu vielen seiner Freunde darf der Skeletoni die Ukraine für seinen Sport verlassen. Er besitzt eine Ausnahmegenehmigung und kann so seinem Sport weiter nachgehen. Und bei Sportevents für sein Land kämpfen.
"Es ist eine Plattform, wo wir über die Ukraine sprechen können", sagt er. "Wir können zeigen, dass die Ukraine immer noch existiert. Wir sind immer noch hier." Und das, so Heraskevych, motiviere ihn, immer wieder an den Start zu gehen.
Das Pfeifen der Raketen
Der Skeleton-Fahrer rast mit über 100 km/h durch die engen Kurven des lettischen Eiskanals, arbeitet viel mit dem Körper, doch in der vorletzten Kurve verpasst er die Ideallinie. Er driftet leicht und landet am Ende nur auf dem 16. Platz im ersten Lauf. "Im Sommer bereitest du dich normalerweise auf die Saison vor. Du arbeitest an deinem Equipment und trainierst sehr viel", sagt Heraskevych. "Doch dieses Mal bin ich für meine Stiftung quer durch die Ukraine gereist." Und wenn er dann mit seinem Vater mal Zeit zum Trainieren hatte, wurden diese Einheiten oft durch Luftalarm unterbrochen.
"Wir musste in den Bunker und warten. Dann sind wir wieder in die Trainingshalle gegangen und haben uns warm gemacht", sagt er. Oft wurden seine Übungseinheiten dann aber wieder durch die lauten Sirenen unterbrochen, die ihn und seinen Vater zurück in den Bunker zwangen. "Das war nicht gut für die Vorbereitung." Er sei oft nervös gewesen, wenn er in Kiew trainiert habe, berichtet Heraskevych. "Es macht dich verrückt, wenn du das Pfeifen der Raketen hörst. Du kannst dann nur hoffen, dass diese Rakete nicht in deinem zu Hause einschlägt."
Heraskevych macht eine kurze Pause und holt noch einmal tief Luft. Es fällt ihm schwer, über die Situation in der Ukraine zu sprechen. "Der Krieg hat mich natürlich verändert. Ich bin jetzt eine andere Person", sagt er. "Ich bin zynisch geworden. Wenn du zu emotional bist, ist es nicht auszuhalten." Er habe viele Menschen verloren, die er kannte. "Ich war früher viel emotionaler, jetzt bin ich nur noch geschockt." Es sei unmöglich, sich an den Krieg zu gewöhnen. "Es ist wie eine andere Welt, eine Welt, die ich nicht mag."
"Ihnen wird die Kindheit gestohlen"
Neben dem Training und den Wettkämpfen organisiert der Ukrainer Hilfslieferungen für die am schlimmsten betroffenen Gebiete. Im März 2022 hat er gemeinsam mit seinem Vater eine Stiftung für Kinder gegründet. "In dieser Zeit ist es wichtig, Kinder glücklich zu machen, weil ihnen gerade die Kindheit gestohlen wird", sagt Heraskevych: "Unsere Kinder können am Geräusch erkennen, welche Rakete gerade fliegt. Sie können unterscheiden, ob es Raketen sind oder Schüsse von Maschinengewehren. Das ist sehr erschreckend."
Der Sportler reist quer durch die Ukraine und organisiert kleine Sportevents für Kinder. Teilweise finden diese in Stadien statt, die bei den Kämpfen zerstört wurden. Heraskevych möchte die Werte des Sports vermitteln und vom Kriegsalltag ablenken. Ihm geht es um Freundschaft, Respekt und Gemeinsamkeit. "Wir versuchen, den Kindern ein wenig Freude zu geben. Das ist es, was der Sport leisten kann." Der 24-Jährige erinnert sich an die erste Trainingseinheit in Kiew, bei dem auch Kinder aus Mariupol vor Ort waren. "Ihre Augen haben gestrahlt. Das war großartig", freut sich der Skeleton-Pilot.
"Nicht mit einem Mörder gemeinsam antreten"
Der zweite Lauf in Sigulda steht an. Noch einmal sammelt Heraskevych seine Kräfte, konzentriert sich und stürzt sich den Eiskanal hinunter. Der zweite Durchgang gelingt ihm besser, und der Skeletoni kann Zeit gut machen. Am Ende verpasst er aber die Top Ten und wird Zwölfter. Gegen die internationale Konkurrenz hat es dieses Mal nicht gereicht. Dennoch war es ein guter Wettkampf, denn er konnte zeigen, dass die Ukraine noch lebt.
Nicht am Start waren russische und belarussische Athletinnen und Athleten, denn in der Sportwelt sind Belarus und Russland nahezu vollständig isoliert. Und wenn es nach Heraskevych geht, soll das auch so bleiben. "Ich bin sehr dankbar, dass viele Organisationen russische Sportlerinnen und Sportler suspendiert haben. Denn so können sie Wettkämpfe nicht mehr für Propaganda nutzen." Die Idee von IOC-Präsident Thomas Bach, der in Zukunft auch russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler wieder bei internationalen Wettkämpfen zulassen möchte, stößt bei Heraskevych auf Unverständnis.
"Heute können russische Athleten in der Ukraine Zivilisten ermorden, und morgen begrüßen wir sie dann bei einem Wettkampf", sagt der Ukrainer und macht deutlich: "Ich möchte nicht mit einem Mörder gemeinsam zum Wettkampf antreten."
Unterstützung von Rennrodler Felix Loch
Nach dem Rennen in Lettland ist die Weltcup-Saison für den Skeleton-Profi vorbei. Heraskevych landet in der Gesamtwertung auf dem 13. Platz. Doch für ihn ist das momentan nebensächlich. Denn neben einigen anderen Wettkämpfen in Südkorea und den USA wird Heraskevych gemeinsam mit seinem Vater ukrainische Jugendteams im Skeleton trainieren und sie auch zu Wettkämpfen begleiten.
Unterstützt wird er dabei von Rennrodler und Olympiasieger Felix Loch und seiner Frau Lisa. Loch, Mitgründer der Organisation "Athletes for Ukraine e.V.", und Heraskevych haben sich in den vergangenen Monaten angefreundet und auch das Weihnachtsfest gemeinsam verbracht.
Wenn es geht, ist Loch auch bei den Trainingseinheiten vor Ort, die Heraskevych für ukrainische Kinder organisiert. Es sei wichtig sie zu unterstützen, sagt der ukrainische Skeleton-Profi: "Wenn ich diese neue Generation sehe, habe ich Hoffnung. Sie sind unsere Zukunft. Und das Leuchten in ihren Augen zu sehen, macht mich glücklich."