Ukraine aktuell: Waren Drohnenangriffe auf Kreml inszeniert?
4. Mai 2023Das Wichtigste in Kürze:
- US-Institut: Angebliche Drohnenangriffe auf Kreml selbst inszeniert
- Präsident Selenskyj verlangt strafrechtliche Verfolgung Russlands
- Moskau sieht sich ukrainischer "Sabotage"-Welle ausgesetzt
- Berliner Polizei ermittelt wegen Geheimnisverrats
- Öl-Raffinerie im Süden Russlands in Brand geschossen
Nach Einschätzung von Militärexperten der USA hat Russland zwei angebliche ukrainische Drohnenangriffe auf den Kreml wahrscheinlich selbst inszeniert. Mit der spektakulären Aktion sollten der russischen Öffentlichkeit der Krieg näher gebracht und die Voraussetzungen für eine breitere gesellschaftliche Mobilisierung geschaffen werden, schreibt das Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington in einem Bericht. Mehrere Indizien deuteten darauf hin, dass der Angriff von innen geführt und gezielt ins Werk gesetzt worden sei.
Das Präsidialamt in Moskau hatte mitgeteilt, in der Nacht zu Mittwoch seien zwei Drohnen zum Absturz gebracht worden, die auf das Gelände des Kremls zugeflogen seien. Russland warf der Ukraine daraufhin einen versuchten Anschlag auf Kremlchef Wladimir Putin vor und drohte mit Gegenmaßnahmen. Die Ukraine wies jede Beteiligung an dem Vorfall zurück.
Nach Angaben des ISW haben die russischen Behörden in letzter Zeit Schritte unternommen, um die Luftverteidigung zu verstärken, auch innerhalb Moskaus. Geolokalisierte Bilder vom Januar 2023 zeigten demnach, dass Panzir-Luftabwehrsysteme in der Nähe von Moskau stationiert worden seien, um Luftverteidigungskreise um die Stadt zu schaffen.
Es sei daher äußerst unwahrscheinlich, dass zwei feindliche Drohnen mehrere Luftverteidigungsringe hätten durchdringen können, so die US-Denkfabrik. Zudem sei der Abschuss so erfolgt, dass von einer Kamera spektakuläre Bilder eingefangen werden konnten.
Moskau: Ukrainische "Sabotage"-Welle
Russland sieht sich nach Angaben des Außenministeriums in Moskau von einer einzigartigen "Sabotage"-Welle der Ukraine betroffen. "Die terroristischen Aktivitäten und die Sabotage durch die ukrainischen bewaffneten Kräfte erreichen ein beispielloses Ausmaß", so das Ministerium in Moskau.
Nach dem Abschuss der beiden Drohnen über Moskau warf der Kreml auch den USA vor, hinter der angeblichen Attacke zu stecken. "Die Entscheidungen über solche Angriffe werden nicht in Kiew, sondern in Washington getroffen. Kiew setzt nur um, was von ihm verlangt wird", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die Bemühungen der Regierungen in Kiew und Washington, jegliche Verantwortung für den Angriff "zu leugnen", seien "völlig lächerlich." Die russische Führung hat der Regierung der Ukraine wiederholt die Legitimität abgesprochen und sie als Marionette der USA bezeichnet.
Präsident Putin arbeite am diesem Donnerstag in seinem Büro im Kreml, sagte Peskow weiter. Die Sicherheitsvorkehrungen würden auch mit Blick auf die Militärparade am 9. Mai zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges verstärkt.
Öl-Raffinerie im Süden Russlands in Brand geschossen
Im Süden Russlands ist zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit ein Großbrand in einem Tanklager nahe der Halbinsel Krim ausgebrochen. Das Feuer sei durch einen Drohnenangriff ausgelöst worden, meldet die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf Rettungskräfte. Getroffen wurde demnach das Tanklager einer Ölraffinerie in der Ortschaft Ilski in der Region Krasnodar. Der Regionalgouverneur Wenjamin Kondratjew teilte mit, der Brand habe sich auf einer Fläche von 400 Quadratmetern ausgebreitet, sei aber von Einsatzkräften rasch gelöscht worden.
In der Nacht zuvor war in der rund 50 Kilometer entfernten Siedlung Wolna im Kreis Taman ein Treibstoffreservoir in Flammen aufgegangen. Auch dort nannten russische Stellen einen Drohnenangriff als Ursache. Am Rande von Wolna liegt ein großes Umschlagterminal für Öl und Ölprodukte, die über das Schwarze Meer verschifft werden.
Zuletzt häuften sich in Russland Anschläge auf strategisch wichtige Infrastruktur. Am Wochenende wurde mit einer Drohne ein Treibstofflager auf der 2014 von Russland annektierten Krim in Brand gesetzt. In der westrussischen Region Brjansk entgleisten kurz nacheinander zwei Güterzüge nach Explosionen. Auch in diesen Fällen war die Rede von Drohnenangriffen. Die betroffenen Regionen liegen alle in der Nähe zur Ukraine. Eine Gegenoffensive zur Befreiung der von Russland besetzten Gebiete wird in naher Zukunft erwartet. Die Anschläge könnten Teil der Vorbereitung sein.
Selenskyj will Russland wegen Kriegsverbrechen zur Rechenschaft ziehen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine strafrechtliche Verfolgung Russlands wegen des Aggressionskrieges und aller Kriegsverbrechen gefordert. Ohne Gerechtigkeit sei kein Friede möglich, sagte Selenskyj in Den Haag.
Als Vorbild eines Tribunals nannte er die Nürnberger Prozesse gegen die deutschen Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg. "Ein dauerhafter Frieden ist nur möglich, wenn wir die Aggressoren auch zur Verantwortung ziehen", sagte Selenskyj. "Natürlich hätten wir alle heute lieber einen anderen Wladimir hier in Den Haag gesehen", sagte er zu Beginn seiner Rede und verwies damit auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Selenskyjs Vorname ist die ukrainische Form des Namens.
Selenskyj lobte den Einsatz des Internationalen Strafgerichtshofs mit Sitz in Den Haag. Dieser hatte bereits kurz nach der russischen Invasion Ermittlungen eingeleitet und auch im März einen internationalen Haftbefehl gegen Putin wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen erlassen. Selenskyj zeigte sich überzeugt, dass Putin tatsächlich auch nach Den Haag vor das Gericht gebracht werde. Der Präsident hatte zuvor bei diesem ersten offiziellen Besuch in den Niederlanden auch den Strafgerichtshof besucht.
Dass Putin tatsächlich in Den Haag der Prozess gemacht wird, gilt zur Zeit als ausgeschlossen. Dazu müsste der russische Präsident ausgeliefert werden. Russland erkennt das Gericht in Den Haag nicht an. Auch die Ukraine ist zwar kein Vertragsstaat des Strafgerichtshofes. Aber die Regierung in Kiew hat die Befugnis des Gerichts für seit 2014 auf ukrainischem Staatsgebiet verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen anerkannt. 2022 wurden die ukrainischen Gesetze angepasst, damit die Ankläger aus Den Haag auf ukrainischem Staatsgebiet ermitteln können.
Geheimnisverrat vor möglichem Selenskyj-Besuch?
Die Berliner Polizei hat Ermittlungen in den eigenen Reihen begonnen wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat im Zusammenhang mit einem möglichen Besuch des ukrainischen Präsidenten in Deutschland. Grund sind Medienberichte vom Mittwoch, in denen von einem möglichen Besuch die Rede war. Zudem wurden unter Berufung auf einen Berliner Polizeivertreter vertrauliche Details zu einem in Planung befindlichen Einsatz wiedergegeben.
Die Polizei habe offiziell "zu keiner Zeit Auskünfte erteilt, welche den Staatsbesuch gefährdet" hätten, sagte Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik. "Lediglich auf Anfragen aufgrund der vorangegangenen medialen Berichterstattung wurde seitens der Pressestelle der Polizei Berlin der bevorstehende Einsatz bestätigt."
Dies ist ein ungewöhnlicher Schritt, weil Auslandsreisen Selenskyjs aus Sicherheitsgründen in der Regel bis zur letzten Minute geheim gehalten werden. Weder vom Kanzleramt noch von der ukrainischen Botschaft gab es am Mittwoch eine Bestätigung für den Berlin-Besuch Selenskyjs. Für den 14. Mai ist zudem die Verleihung des Karlspreises an Selenskyj in Aachen geplant. Bislang wurde nicht bestätigt, dass der ukrainische Präsident persönlich dabei sein wird.
Festnahme wegen Korruptionsvorwürfen
Der Bürgermeister von Odessa, Hennadij Truchanow, ist ukrainischen Behörden zufolge festgenommen worden. Der Schritt stehe im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen des Verdachts der Korruption, teilte die mit solchen Fällen betraute Staatsanwaltschaft mit.
Truchanow war 2014 zum Bürgermeister der Hafenstadt am Schwarzen Meer gewählt worden. Seit 2017 wird gegen ihn wegen des Vorwurfs der Untreue ermittelt. Truchanow weist die Anschuldigungen zurück.
Mitten im Krieg gegen Russland hatten in den vergangenen Monaten bereits einige Korruptionsaffären für Aufsehen gesorgt. Der Druck auf Präsident Selenskyj, den Kampf gegen das weitverbreitete Problem zu forcieren, war nicht zuletzt dadurch gewachsen. Ein schärferes Vorgehen gegen Korruption ist eine der Bedingungen für einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union.
USA gewähren der Ukraine erneut Militärhilfe
Die US-Regierung hat neue militärische Hilfe für die Ukraine im Wert von 300 Millionen US-Dollar (gut 271 Millionen Euro) angekündigt. Wie das US-Verteidigungsministerium mitteilte, umfasst das jüngste Militärhilfspaket unter anderem Munition für Mehrfachraketenwerfer vom Typ HIMARS, Haubitzen, Artilleriemunition und Waffen, die gegen Panzerfahrzeuge eingesetzt werden können. In dem Paket seien außerdem Lastwagen und Anhänger zum Transport von schwerem Gerät sowie Ersatzteile und andere wichtige Feldausrüstung enthalten.
Die USA gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Sie unterstützen die Ukraine seit dem russischen Überfall auf das Nachbarland. Laut Verteidigungsminister Lloyd Austin steuerten die Vereinigten Staaten seit Kriegsbeginn Militärhilfen im Wert von mehr als 35 Milliarden Dollar (knapp 32 Milliarden Euro) bei.
Ukraine schießt 18 russische Kampfdrohnen ab
Russland hat nach ukrainischen Angaben in der Nacht zum Donnerstag bis zu 24 Kampfdrohnen gegen Ziele in der Ukraine eingesetzt. 18 von ihnen seien abgeschossen worden, teilte die ukrainische Luftwaffe mit.
Dabei habe es sich um Schahed-Drohnen vom Typ 131 und 136 aus iranischer Produktion gehandelt. Sie können zwischen 35 und 50 Kilogramm Sprengstoff transportieren. Die Luftwaffe machte keine Angaben zu den sechs Drohnen, die nicht zerstört werden konnten. Die russische Armee setzt derartige Flugobjekte regelmäßig in der Ukraine ein.
Der Leiter der Kiewer Militärverwaltung, Serhij Popko, sagte, "alle feindlichen Raketen" und unbemannten Luftfahrzeuge über der ukrainischen Hauptstadt seien zerstört worden. Trümmer der abgeschossenen Drohnen seien auf verschiedene Teile Kiews gefallen. Es habe aber keine Verletzten gegeben. Es war in diesem Monat bereits der dritte Tag mit versuchten Angriffen aus der Luft auf Kiew.
Nach Angaben des ukrainischen Militärkommandos im Süden des Landes setzte Russland 15 Kamikaze-Drohnen gegen die Stadt Odessa am Schwarzen Meer ein. Die Luftverteidigung zerstörte zwölf von ihnen. Drei weitere trafen ein Universitätsgelände. Es habe keine Verletzten gegeben, hieß es.
Wagner-Chef behauptet, ukrainische Offensive habe begonnen
Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, geht davon aus, dass die erwartete militärische Offensive der Ukraine bereits begonnen hat. Seine Truppen beobachteten an der Front erhöhte Aktivitäten, heißt es in einer Mitteilung von Prigoschin, die auf dessen Telegram-Kanal veröffentlicht wurde. "Sie haben Soldaten und Munition ohne Ende." Für Prigoschins Behauptungen gab es zunächst keine Bestätigung, auch nicht vom russischen Militär.
Der ukrainische Generalstab sprach am Mittwochabend lediglich von schweren Kämpfen in der ostukrainischen Stadt Bachmut. Seit Wochen hält die ukrainische Militärführung das russische Militär mit Berichten über eine bevorstehende Offensive zur Rückeroberung der besetzten Gebiete in Spannung. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow hatte kürzlich gesagt, die Vorbereitungen für die Gegenoffensive seien so gut wie abgeschlossen.
Dänemark erhöht Militärausgaben
Angesichts des Ukraine-Krieges investiert Dänemark in den kommenden zehn Jahren 38 Milliarden Kronen (5,1 Milliarden Euro) zusätzlich in die militärische Verteidigung des Landes. "Die globale Sicherheitspolitik und die wirtschaftlichen Entwicklungen verlangen mehr Ressourcen", teilte das Verteidigungsministerium in Kopenhagen mit.
Mit 27 Milliarden Kronen soll ein Großteil der Summe in Ausrüstung, Gebäude, IT und Personal fließen. Weitere elf Milliarden Kronen sollen in den Personal- und Materialbereich investiert werden. Dänemark ist ein Gründungsmitglied der NATO und hat sich als solches zum Ziel gesetzt, bis 2030 einen Verteidigungshaushalt in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufzustellen.
Finnische Zeitung nutzt Online-Spiel zur Umgehung russischer Zensur
Eine finnische Zeitung versteckt Informationen und Berichte zum Krieg in der Ukraine in dem weltweit beliebten Online-Spiel "Counter-Strike". So habe sie einen Weg gefunden, die Medienzensur in Russland zu umgehen, meldet die Zeitung "Helsingin Sanomat".
Bei "Counter-Strike" können Spieler benutzerdefinierte Karten erstellen, die jeder herunterladen und verwenden kann. "Also bauten wir eine slawische Stadt namens Wojna, was auf russisch Krieg bedeutet", erklärte Antero Mukka, der Chefredakteur der Zeitung.
Im Untergeschoss eines der Gebäude der Stadt versteckten die Techniker von "Helsingin Sanomat" einen Raum, in dem Spieler Berichte in russischer Sprache finden können, die von den Kriegskorrespondenten der Zeitung in der Ukraine erstellt wurden. Die Wände des digitalen Raums bedeckten sie mit Artikeln und Fotos, die Ereignisse wie die Massaker in den ukrainischen Städten Butscha und Irpin dokumentieren. Es handele sich um "Informationen, die im Propaganda-Apparat des russischen Staates nicht verfügbar sind", sagte Mukka.
kle/jj/qu/mak/uh/AR (dpa, afp, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.