Aktuell - Selenskyj: Irans Hilfe verlängert Krieg
7. November 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Selenskyj sieht in iranischen Drohnen-Lieferungen eine Kriegsverlängerung
- Britischer Geheimdienstbericht: Russlands Luftwaffe geschwächt
- Steinmeier: Kiew muss selbst über Gespräche mit Russland entscheiden
- Ukraine verstaatlicht strategisch wichtige Energie- und Produktionsunternehmen
- Getreideexport aus der Ukraine um fast ein Drittel eingebrochen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die iranischen Waffenlieferungen an Russland scharf verurteilt. "Der Iran (...) hilft, den Krieg zu verlängern und daher auch die Bedrohungen für die Welt zu verlängern, die durch den russischen Angriffskrieg entstanden sind", sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. Ohne die Unterstützung Teherans für Moskau "wären wir schon näher an einem Frieden", erklärte er weiter und fügte hinzu: "Ohne die Einmischung Teherans wäre auch eine Lösung für die weltweite Nahrungsmittelkrise oder die Energiekrise greifbarer."
Im Laufe des Sonntags seien von russischer Seite erneut iranische Angriffsdrohnen eingesetzt worden. "Es gab Abschüsse, aber leider auch Treffer", sagte Selenskyj. Es sei erkennbar, dass der "terroristische Staat", wie er Russland nannte, Kräfte und Mittel für neue Massenangriffe auf die Infrastruktur der Ukraine bündele. Knapp 4,5 Millionen Ukrainer litten bereits unter Stromausfällen, so der Präsident.
Die Führung in Teheran hat am Samstag eingeräumt, Drohnen an Russland geliefert zu haben - sprach aber nur von wenigen Exemplaren. Selenskyj bezichtigte den Iran daraufhin der Lüge.
Britischer Geheimdienstbericht: Russlands Luftwaffe geschwächt
Die russischen Streitkräfte können nach Einschätzung britischer Geheimdienst-Experten ihre Ausfälle bei der Luftwaffe durch den Angriff auf die Ukraine nicht wettmachen. "Russlands Verluste an Flugzeugen übersteigen wahrscheinlich bei Weitem die Kapazität des Landes, neue Flugzeuge herzustellen", heißt es im täglichen Update des britischen Verteidigungsministeriums zum Ukraine-Krieg. Auch die lange Zeit, die zur Ausbildung kompetenter Piloten notwendig sei, mindere Russlands Möglichkeiten, die Kampfkraft seiner Luftwaffe zu erneuern.
Das Verteidigungsministerium in London meldet mit Verweis auf den Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, dass die russischen Streitkräfte seit Beginn der Invasion bereits 278 Flugzeuge verloren hätten - doppelt so viele wie in Afghanistan, so die Briten. "Wir können diese Zahlen nicht verifizieren, aber das anhaltende Fehlen russischer Lufthoheit wird wahrscheinlich verstärkt durch schlechtes Training, den Verlust erfahrener Crews und erhöhte Risiken durch enge Luftunterstützung in mit engmaschiger Luftabwehr ausgestatteten Zonen", heißt es in der Mitteilung aus London weiter. Das werde sich wohl in den kommenden Monaten nicht ändern.
Weitere Luftabwehrsysteme für die Ukraine - aus Norwegen, Spanien und USA
Die Ukraine hat nach eigenen Angaben weitere Luftabwehrsysteme von westlichen Staaten erhalten. Die Luftabwehrsysteme Nasams und Aspide würden die ukrainische Armee "erheblich verstärken und unseren Luftraum sicherer machen", erklärte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow in Online-Netzwerken. Er bedankte sich bei "unseren Partnern - Norwegen, Spanien und den USA". Auch andere Länder haben bereits Luftabwehrsysteme an die Ukraine geliefert. Deutschland unterstützt Kiew mit dem Luftabwehrsystem vom Typ Iris-T.
Ukraine verstaatlicht strategisch wichtige Energie- und Produktionsunternehmen
Die Ukraine will nach eigenen Angaben die Kontrolle von fünf "strategisch wichtigen" Unternehmen übernehmen. Die Vermögenswerte sollten enteignet und in Staatseigentum gebracht werde, sagte der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats, Oleksij Danilow, auf einer Pressekonferenz. Damit solle eine ausreichende Versorgung des Militärs zur Abwehr der russischen Invasion gewährleistet werden.
Dabei soll es sich um den Öl- und Gaskonzern Ukrnafta, den Flugzeughersteller Motor Sitsch, den Reaktorhersteller Saporoschtransformator, den Lkw-Hersteller Awtokras und das Ölraffinerieunternehmen Ukrtatnafta handeln. Ihre Vermögenswerte sollen künftig vom Verteidigungsministerium verwaltet werden, "um den dringenden Bedarf der Streitkräfte zu sichern", erklärte Resnikow. Dazu gehörten die Bereitstellung von Treibstoff und Schmiermitteln sowie die Reparatur von militärischer Ausrüstung und Waffen.
Getreide-Export eingebrochen
Die Ukraine, eigentlich eine der größten Getreideexportnationen der Welt, hat angesichts der Folgen des Kriegs deutlich weniger ausgeführt als sonst. Nun hat das Landwirtschaftsministeriums in Kiew aktuelle Zahlen vorgelegt: In der Liefersaison 2022/23 hat fast ein Drittel weniger Getreide das Land verlassen als sonst. Demnach fiel das Exportvolumen binnen Jahresfrist um 30,7 Prozent auf rund 14,3 Millionen Tonnen. In der vorherigen Saison waren es zu diesem Zeitpunkt 20,6 Millionen Tonnen.
Laut Ministerium wurden in der von Juli 2022 bis Juni 2023 laufenden Saison bisher 5,4 Millionen Tonnen Weizen, 7,7 Millionen Tonnen Mais und 1,2 Millionen Tonnen Gerste ausgeführt. Die Regierung rechnet damit, dass die Ukraine in diesem Jahr 50 bis 52 Millionen Tonnen Getreide ernten könnte. Im vergangenen Jahr gab es noch einen Rekordwert von 86 Millionen Tonnen.
"Freie Hand bei Entscheidung über Waffenstillstand"
Die Ukraine muss nach Ansicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier freie Hand bei der Entscheidung über Waffenstillstandsverhandlungen haben. Man könne nicht anstelle der Ukraine entscheiden, bekräftigte Steinmeier im ARD-Fernsehen. Die Ukraine müsse sagen, wann sie solche Verhandlungen wolle und für aussichtsreich halte, sagte er. Zugleich bekräftigte der Bundespräsident, Deutschland wolle die Ukraine auch weiter militärisch unterstützen. "Aber wir sind nicht Kriegspartei und werden es nicht", ergänzte Steinmeier.
Die USA haben der "Washington Post" zufolge die Ukraine hinter den Kulissen gebeten, Aufgeschlossenheit für Verhandlungen mit Russland zu signalisieren.
Scholz telefoniert mit Biden
Bundeskanzler Olaf Scholz hat US-Präsident Joe Biden über seinen China-Besuch vom Freitag informiert. In dem Telefonat würdigten die beiden Politiker "die klare Aussage" des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, der sich gegen den Einsatz von Nuklearwaffen und auch gegen die Androhung von deren Einsatz ausgesprochen hatte. Weiter hieß es in Berlin und Washington, Scholz und Biden hätten darin übereingestimmt, dass die jüngsten Atomdrohungen Russlands im Zuge seines Kriegs gegen die Ukraine "unverantwortlich" seien. Die beiden Politiker versicherten den Angaben zufolge der Ukraine nochmals ihre umfassende Unterstützung.
Ukraine wirft Russland Zerstörung von zivilen Schiffen vor
Schwere Kämpfe haben erneut die Region um die südukrainische Stadt Cherson erschüttert. Nach Darstellung des Generalstabs der ukrainischen Streitkräfte wurde in der Ortschaft Kachowka ein Gebäude zerstört, in dem sich rund 200 russische Soldaten aufhielten. Die Folgen dieses Angriffs würden von russischer Seite "sorgfältig verschleiert", hieß es. Bei Radensk sei eine Kolonne gepanzerter russischer Fahrzeuge zerstört worden. Entlang des Flusses Dnipro begannen die russischen Besatzer nach Angaben des ukrainischen Militärs, Boote der dortigen Zivilbevölkerung zu zerstören. Es warf den russischen Streitkräften zudem vor, Motoren und andere Geräte aus den Schiffen zu beschlagnahmen.
Damit verstoße das russische Militär eklatant gegen Gesetze und die Regeln der Kriegsführung mit Blick auf die Zivilbevölkerung. Vom Verteidigungsministerium in Moskau lag zunächst keine Stellungnahme vor. Die russischen Besatzungstruppen versuchen schon seit Tagen, die Zivilbevölkerung von Cherson zum Verlassen der Region zu bewegen. Die ukrainischen Streitkräfte wollen das Gebiet, das seit März unter russischer Kontrolle steht, möglichst bald zurückerobern.
Ukrainischer EU-Beitritt wird noch dauern
Die EU-Kommission dämpft Erwartungen des offiziellen Beitrittskandidaten Ukraine an einen kurzfristige Aufnahme in die Staatengemeinschaft. "Angesichts der umfangreichen Arbeiten, die zur Vorbereitung der Teilnahme am EU-Binnenmarkt und an vielen anderen wichtigen Politikbereichen erforderlich sind, werden die gesamten Beitrittsvorbereitungen höchstwahrscheinlich länger als ein oder zwei Jahre dauern", teilte EU-Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi der Zeitung "Die Welt" mit.
Die ukrainische Europaministerin Olha Stefanischyna hingegen drängt laut dem Blatt auf ein beschleunigtes Verfahren. "Unsere Nachbarländer und die Balten, Staaten, die zu unseren größten Unterstützern zählen, haben schon signalisiert, dass ein schneller Beitritt möglich ist", wird Stefanischyna zitiert.
qu/kle/AR/se/wa (rtr, dpa, ap, afp)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.