Ukraine-Krieg: Russland hebt Einberufungsalter an
25. Juli 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Anhebung des Einberufungsalters um drei Jahre beschlossen
- EU-Kommissar: Weitere Getreide-Verhandlungen folgen
- Ukraine beklagt Streubombeneinsatz in Kostjantyniwka
- Antipersonen-Minen am AKW Saporischschja
- EU zahlt neuen Milliardenkredit an Kiew aus
Das russische Parlament hat eine Erhöhung der Alters-Obergrenze für die Einberufung zum Wehrdienst beschlossen. "Ab dem 1. Januar 2024 werden Bürger im Alter von 18 bis 30 für den Militärdienst einberufen", heißt es in dem von der Duma in zweiter und dritter Lesung beschlossenen Gesetz. Zuvor waren Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren in Russland zu einem einjährigen Wehrdienst verpflichtet.
Wehrpflichtige Russen dürfen zudem das Land nach der Zustellung des Einberufungsbescheids nicht mehr verlassen. Aufgrund früherer Gesetzesänderungen müssen die Bescheide dabei nicht mehr persönlich überreicht werden - es reicht, wenn die Person in einem Online-Register erfasst wird. Bei Nichterscheinen sollen Wehrpflichtigen außerdem erhöhte Geldstrafen von bis zu 30.000 Rubel (rund 300 Euro) drohen. Im Herbst 2022 waren bei einer ersten Mobilisierungswelle Hunderttausende Männer ins Ausland geflohen. Andere Russen entgingen der Einberufung dadurch, dass sie nicht an ihrer Meldeanschrift wohnten, so dass der nur in Briefform gültige Einberufungsbescheid nicht zugestellt werden konnte. Dieses legale Schlupfloch hat Moskau im Frühjahr geschlossen.
Ex-Offizier unter Korruptionsverdacht
In der Ukraine ist ein früherer hochrangiger Offizier wegen Korruptionsverdachts festgenommen worden. Medienberichten zufolge wird dem Ende Juni entlassenen Ex-Offizier vorgeworfen, Bestechungsgeld angenommen zu haben, um Bürger von der Einberufung in die Armee auszunehmen. Jewgen Borissow werde unter anderem "illegale Bereicherung" zur Last gelegt, erklärte die mit Korruptionsfällen betraute staatliche Ermittlungsbehörde DBR.
Borissow habe versucht, sich der Festnahme zu entziehen. Einem vergangene Woche in der Ukraine erschienenen Medienbericht zufolge soll Borissow mit dem Schmiergeld Immobilien im Wert von umgerechnet mehreren Millionen Euro in der südspanischen Küstenstadt Marbella gekauft haben. Der Offizier war bis zu seiner Entlassung für die Einberufung von Soldaten in der südukrainischen Region Odessa zuständig.
Die Korruptionsermittlungen gegen Borissow hatten bereits im Mai begonnen. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Der Kampf gegen die Korruption ist eine der Bedingungen der EU für den von der Ukraine angestrebten Beitritt. In den vergangenen Monaten hatte es im Land mehrere aufsehenerregende Razzien wegen Korruptionsvorwürfen gegeben.
EU-Kommissar: Weitere Getreide-Verhandlungen
Ein vorübergehendes Importverbot für Getreide aus der Ukraine in deren Nachbarstaaten Polen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und die Slowakei wird zunächst nicht über den 15. September hinaus verlängert, wie es die fünf EU-Staaten verlangt hatten. Das teilte der zuständige EU-Kommissar Janusz Wojciechowski im Anschluss an ein Treffen der Landwirtschaftsminister in Brüssel mit. "Ich bin aber überzeugt, dass wir die Lage im September neu bewerten müssen", ergänzte Wojciechowski.
Nachdem Russland das Getreideabkommen mit der Ukraine aufgekündigt hat, berät die Europäische Union über alternativen Exportrouten. Polen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und die Slowakei wehren sich gegen Agrarimporte aus der Ukraine, weil sie einen erneuten Preisverfall für die heimische Landwirtschaft fürchten. Ukrainisches Getreide, das eigentlich nur durch Polen transportiert werden sollte, sorgte etwa im Juni für Probleme, weil es dennoch auf den polnischen Markt gelangte und einen Preisverfall auslöste. Aus Protest blockierten polnische Bauern den Grenzübergang zum östlichen Nachbarland.
Um die Ukraine zu unterstützen, wurde der Handel zwischen der EU und der Ukraine im Sommer 2022 erleichtert. Für Polen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und die Slowakei wurden im Mai dieses Jahres bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse davon ausgenommen. Diese Regelung läuft am 15. September aus. Der Transit bleibt erlaubt. Alle EU-Staaten wollen ermöglichen, dass der Getreideexport in die Staaten des globalen Südens gewährleistet bleibt.
Özdemir unterstützt "alternative Exportrouten"
Nach dem Auslaufen des Getreideabkommens zwischen der Ukraine und Russland fordert Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, dass die Europäische Union jenseits des Schwarzen Meeres die "alternativen Exportrouten stärken" müsse. Anlässlich des Treffens der EU-Agrarminister sagte Özdemir im deutschen Fernsehen, man brauche eine klare Festlegung, "welche Alternativroute die beste ist". Es sei "nicht akzeptabel", wenn Nachbarstaaten die Grenzen zur Ukraine schließen würden. Befürchtungen osteuropäischer Länder, dass ihre Landwirte durch ukrainische Einfuhren bedroht werden könnten, bezeichnete der Grünen-Politiker als "lösbares Problem". Ukrainische Produkte müssten an europäische Häfen transportiert werden - "und von dort dann weiter verschifft an den globalen Süden".
Das Getreideabkommen war im Juli 2022 in Istanbul unterschrieben und anschließend zwei Mal verlängert worden. Die Übereinkunft ermöglichte es der Ukraine, trotz des russischen Angriffskriegs über das Schwarze Meer Getreide zu exportieren. Vergangene Woche hatte Russland das Getreideabkommen auslaufen lassen.
Ukraine beklagt Streubomben in Kostjantyniwka
Die ukrainischen Behörden haben Russland einen Streubombeneinsatz in der Stadt Kostjantyniwka im ostukrainischen Gebiet Donezk vorgeworfen. Ein Kind wurde dabei am Montagabend getötet, wie der Chef der örtlichen Militärverwaltung, Pawlo Kyrylenko, im Nachrichtenkanal Telegram mitteilte. Es gebe sieben Verletzte.
Die Streumunition sei an einem Gewässer explodiert, wo Menschen Erholung gesucht hätten. Kyrylenko veröffentliche ein Foto, auf dem vermutlich von Blut rot gefärbter Boden zu sehen war. Nach Angaben der örtlichen Staatsanwaltschaft war der getötete Junge zehn Jahre alt. Unter den Verletzten seien vier Kinder, hieß es.
Russland hat in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine immer wieder die international geächtete Streumunition eingesetzt. Kremlchef Wladimir Putin drohte zuletzt auch damit, dass Russland seine Arsenale mit vielen Arten dieser Waffen als Antwort auf den Einsatz von US-Streumunition in der Ukraine nutzen könne. Die Ukraine hatte sich von den USA diese Munition liefern lassen, um bei ihrer Gegenoffensive zur Befreiung ihrer von Russland besetzten Gebiete mehr Erfolge zu erzielen.
Die über dem Boden explodierenden Streubomben verteilen Geschosse über größere Flächen. Weil oft viele davon nicht sofort explodieren, gelten sie wie Minen als Gefahr für Zivilisten auch in der Zeit nach Ende der Kampfhandlungen. Deutschland und 110 andere Staaten haben sie deswegen mit einem internationalen Abkommen geächtet. Mittlerweile soll auch die Ukraine Streubomben einsetzen, die sie von den USA erhalten hat.
Antipersonen-Minen am AKW Saporischschja
Experten der Internationalen Atomenergiebehörde haben am Rand des Geländes des von russischen Truppen besetzten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja Antipersonenminen entdeckt. Bei einer Begehung am Sonntag hätten die Spezialisten einige Minen in einer Pufferzone zwischen der inneren und äußeren Absperrung der Anlage festgestellt, sagte IAEA-Direktor Rafael Grossi.
Zu diesem Bereich habe das Betriebspersonal keinen Zugang. Im inneren Bereich des Geländes seien keine Minen festgestellt worden. Russische Truppen hatten das AKW kurz nach Beginn des von Präsident Wladimir Putin befohlenen Angriffskriegs vor 17 Monaten besetzt. Antipersonenminen explodieren, wenn sie berührt werden. Sie sind oft nur so groß wie ein Handteller und können vom Boden oder aus der Luft mit Raketen über größere Gebiete verteilt werden.
EU zahlt neuen Milliardenkredit an Kiew aus
Die Ukraine hat von der Europäischen Union einen neuen Hilfskredit in Höhe von 1,5 Milliarden Euro erhalten. Wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mitteilte, soll er dem von Russland angegriffenen Land helfen, den Staat am Laufen zu halten und die Infrastruktur zu reparieren. "Während Russland seinen rücksichtslosen Krieg fortsetzt, unterstützen wir weiterhin die Ukraine", erklärte die CDU-Politikerin. Sie verurteile die jüngsten russischen Angriffe auf ukrainische Getreidelager und Exportinfrastruktur aufs Schärfste.
Das Geld ist Teil des bis zu 18 Milliarden Euro umfassenden Darlehensprogramms, das die EU-Mitgliedsstaaten im Dezember für dieses Jahr vereinbart hatten. Die Finanzhilfen soll es dem ukrainischen Staat ermöglichen, weiter Löhne und Renten zu zahlen. Zudem soll der Betrieb von Krankenhäusern, Schulen und Notunterkünften für umgesiedelte Menschen garantiert werden. Darüber hinaus kann das Geld auch genutzt werden, um Infrastruktur wiederherzustellen, die im Krieg zerstört wurde. Die Kredite sind an 20 Reformzusagen und Berichtspflichten geknüpft. Bei ihnen geht es beispielsweise um Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung. Die Zinskosten werden von den Mitgliedsstaaten der EU übernommen.
Kiew meldet Abwehr nächtlicher Drohnenangriffe
Einen Tag nach einem ukrainischen Drohnenangriff auf die russische Hauptstadt Moskau ist die ukrainische Hauptstadt Kiew nach Behördenangaben in der Nacht erneut Ziel russischer Luftangriffe geworden. Russland habe "Kiew mit Kampfdrohnen angegriffen", teilte Militärverwaltungschef Serhij Popko auf Telegram mit. Russland habe Shahed-Drohnen aus iranischer Produktion eingesetzt. Der Luftalarm habe drei Stunden gedauert, alle Geschosse seien entdeckt und zerstört worden. Opfer oder Schäden gebe es nach ersten Informationen nicht. Es handelt sich um den sechsten Drohnenangriff auf Kiew in diesem Monat.
Ende des Munitionsmangels?
Russland hat eigenen Angaben zufolge die Produktion von Munition und militärischem Gerät drastisch erhöht. Seit Beginn des Jahres seien "viele Waffentypen und Militärausrüstung in Mengen weit über denen des vergangenen Jahres" produziert worden, erklärte Russlands Vize-Ministerpräsident Denis Manturow.
"In Sachen Munition erreichen wir ein Niveau, wo die monatlichen Lieferungen die gesamten Bestellungen des vergangenen Jahres übersteigen", behauptete Manturow. Russland hatte zu Beginn der Offensive in der Ukraine im Februar 2022 erwartet, das ukrainische Militär schnell überwältigen zu können.
Munitionsmangel ist im Ukraine-Konflikt für beide Seiten zu einer Herausforderung geworden. An der Front kommt vor allem Artillerie mit großer Reichweite zum Einsatz. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte im Mai erklärt, seine Streitkräfte seien von "zeitigem Nachschub" an Munition abhängig.
Die Sanktionen des Westens sollen Moskau davon abhalten, seine Lager wieder aufzufüllen, indem sie den Export von Maschinenteilen und elektronischer Komponenten verbieten, die auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden könnten. Doch Analysten zufolge hat Russland einige Sanktionen mittels des Imports durch Drittländer umgehen können.
Auf ukrainischer Seite hatte Präsidentenberater Michailo Podoljak vergangene Woche erklärt, sein Land nutze täglich 5000 bis 10.000 Stück eines bestimmten Granatentyps. Die Europäische Union hat im Juli beschlossen, die Munitionsherstellung anzukurbeln, um der Ukraine beim Wiederauffüllen ihrer Lager zu helfen.
sti/uh/haz/wa/kle/gri (dpa, afp, rtr, ap)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus Kriegsgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.