Aktuell: Krieg könnte weltweit Hungersnöte auslösen
15. Mai 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Welthungerhilfe sieht Gefahr von Hungersnöten in aller Welt
- Ukrainische Band gewinnt European Song Contest
- Gasversorgung in Deutschland weiter stabil
- NATO hält militärischen Sieg der Ukraine für möglich
- Ukrainischer Außenminister appelliert an Deutsche
"Länder wie Ägypten, Kenia, der Südsudan, der Libanon und viele andere Staaten waren bislang direkt oder indirekt stark von russischen und ukrainischen Exporten abhängig", sagte der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge. "Diese Länder erhalten jetzt nicht die bestellten Mengen oder müssen dafür sehr viel mehr bezahlen." Zudem seien die Lebensmittelpreise bereits vor dem Krieg durch Klimawandel, Konflikte, Corona-Pandemie und Spekulationen auf den Weltmärkten auf ein Allzeithoch gestiegen, so der Generalsekretär der Hilfsorganisation im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Auch die Lage für die Menschen in der Ukraine selbst sei "hochdramatisch" und vergleichbar mit der im Bürgerkriegsland Syrien, sagte Mogge. Syrien sei vor Ausbruch des Krieges ein Land mit mittlerem Einkommen gewesen. Die Welthungerhilfe sei deshalb dort nicht aktiv gewesen. Heute aber zähle Syrien zu den Ländern, in denen seine Organisation in großem Umfang helfe. "Die Ukraine konnte sich bis zum Ausbruch des Krieges sehr gut selbst ernähren", konstatierte der Generalsekretär. Sie sei sogar ein wichtiger Exporteur von Grundnahrungsmitteln wie Getreide und Speiseöl gewesen. "Aber der Krieg ändert jetzt alles."
NATO: "Ukraine kann den Krieg gewinnen"
Die NATO hat der Ukraine noch einmal die volle Unterstützung des Westens im Kampf gegen die russischen Truppen zugesichert. "Dank des Muts der ukrainischen Armee und unserer Hilfe kann die Ukraine diesen Krieg gewinnen", erklärte der stellvertretende NATO-Generalsekretär Mircea Geoana am Rande des informellen NATO-Außenministertreffens am Sonntag in Berlin. Die russische Offensive in der Ukraine verliere bereits "an Schwung".
Bereits am Freitag hatte eine Delegation von US-Parlamentariern der Ukraine direkt vor Ort ihre Unterstützung zugesagt. Die Gruppe unter Leitung des Anführers der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, wurde vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Kiew empfangen. Das Staatsoberhaupt dankte den Gästen für die Führungsrolle der USA bei der Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland, forderte aber zugleich weitere Strafmaßnahmen gegen Moskau.
"Ich warte mit Ungeduld auf die US-Unterstützung neuer Sanktionen", erklärte der ukrainische Staatschef. "Unter anderem sind wir der Ansicht, dass Russland offiziell als staatlicher Förderer von Terrorismus eingestuft werden sollte." Mit ihrer Unterstützung der Ukraine bei der Abwehr des russischen Angriffs schützten die USA nicht nur sein Land, "sondern auch die demokratischen Werte und Freiheiten, das Recht der Nationen, ihre Zukunft frei zu wählen".
Auf seiner Instagram-Seite veröffentlichte Selenskyj ein Video von der US-Delegation im ukrainischen Präsidentenpalast. Die demokratische Präsidentin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, war bereits Ende April zu einem Überraschungsbesuch nach Kiew gereist. Am Dienstag hatte das Repräsentantenhaus in Washington für eine Unterstützung der Ukraine mit fast 40 Milliarden Dollar (38,5 Milliarden Euro) gestimmt. Bevor US-Präsident Joe Biden den Beschluss in Kraft setzen kann, muss auch der Senat noch zustimmen.
Ukraine siegt bei ESC
Beim Eurovision Song Contest (ESC) konnte sich das favorisierte Kalush Orchestra aus der Ukraine in der Nacht zu Sonntag mit seinem Lied "Stefania" dank der Punkte des Publikums durchsetzen. Der Sänger der ukrainischen Band, Oleh Psiuk, widmete den Sieg der Bevölkerung der von Russland angegriffenen Ukraine. "Dieser Sieg ist für alle Ukrainer", sagte Psiuk in seiner ersten Reaktion. Der Sieg der Ukrainer war erwartet worden. In der Jury-Wertung hatte noch Großbritannien vorne gelegen. Am Ende konnte die Ukraine aber in fast allen Ländern die Zuschauerwertung gewinnen und die maximale Punktzahl von jeweils zwölf Punkten holen. Sie gewannen beim Publikum 439 Punkte - maximal wären 468 Punkte vom Fernsehpublikum möglich gewesen.
Gasversorgung in Deutschland weiter stabil
Die Gasversorgung in Deutschland ist nach Angaben der Bundesnetzagentur weiter stabil. Die Versorgungssicherheit sei derzeit weiter gewährleistet, heißt es im aktuellen Lagebericht. "Die durch die Sanktionsmaßnahmen ausbleibenden Gasmengen werden aktuell in vollem Umfang über den europäischen Gasmarkt beschafft, um Lieferverpflichtungen gegenüber Kunden nachzukommen." Die aktuellen Füllstände der Speicher in Deutschland lägen bei 40,19 Prozent. Das ist ein knapper Prozentpunkt mehr als im letzten Lagebericht.
Außenminister Kuleba appelliert an Deutsche
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat die Menschen in Deutschland aufgerufen, die Folgen der Sanktionen gegen Russland in Kauf zu nehmen. "Manchmal ist es günstiger, einem anderen zu helfen und eine kurze Zeit die Entbehrung auszuhalten, anstatt zuhause zu sitzen, Fernsehen zu gucken und nichts zu machen, einfach zuzulassen, dass das Problem letztendlich an die eigene Tür klopft", sagte Kuleba am Samstagabend bei "Bild TV".
Er betonte, die Ukraine habe dazu einen fairen Deal vorgeschlagen: "Gebt uns alles, was wir brauchen, und wir werden Russland einhegen und in der Ukraine besiegen, damit sie niemals bei euch an die Tür klopfen." Kuleba bekräftigte, dass sein Land nicht zu Vereinbarungen mit Russland bereit sei, bei denen ukrainisches Territorium in der Hand der Angreifer bleibe. "Es gibt nicht Schlechtes an einem Waffenstillstand, wenn er der erste Schritt hin zu einer Lösung wäre, bei der das ukrainische Staatsgebiet befreit wird", sagte er. "Wir werden uns aber nicht damit abfinden, dass es eine Teil-Abtrennung von Territorium gibt."
Konvoi mit Geflohenen aus Mariupol eingetroffen
Ein großer Konvoi aus Autos und Lieferwagen ist sicher mit Flüchtlingen aus Mariupol in der ukrainisch kontrollierten Stadt Saporischschja angekommen. Die Flüchtlinge mussten Mariupol zuvor auf eigene Faust verlassen und sich allein bis nach Berdjansk, etwa 80 Kilometer weiter westlich, durchschlagen. Von dort aus konnten sie mit den Rettungsfahrzeugen ins 200 Kilometer entfernte Saporischschja in Sicherheit gebracht werden. Ein Berater des Bürgermeisters von Mariupol hatte zuvor gesagt, dass der Konvoi zwischen 500 und 1000 Autos umfasste und damit die größte Evakuierungsmaßnahme in der Stadt seit dem Einmarsch der Russen am 24. Februar war.
Selenskyj hält Lage im Donbass für schwierig
Die Situation in der ostukrainischen Region Donbass bleibt für die Ukraine nach Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj "sehr schwierig". Die russischen Truppen versuchten, dort "wenigstens einen gewissen Sieg" vorweisen zu können, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache in der Nacht zum Sonntag. Das wirke am 80. Tag nach dem Einmarsch "besonders verrückt". Die russischen Truppen konzentrieren ihre Angriffe auf die Ostukraine, nachdem sie mit ihrem Vormarsch auf Kiew scheiterten. Selenskyj zeigte sich zuversichtlich: "Schritt um Schritt zwingen wir die Besatzer, unser Land zu verlassen."
Heftige Kämpfe werden vor allem aus den Regionen Luhansk und Donezk gemeldet. Nach Angaben des ukrainischen Militärs sei die Situation dort schwierig, jedoch unter Kontrolle. Soldatinnen und Soldaten hätten bis in den späten Samstagabend hinein 12 Angriffe zurückgeschlagen und dabei acht Panzer, fünf Artilleriesysteme, neun gepanzerte Kampffahrzeuge sowie sechs Drohnen zerstört.
Britische Militärgeheimdienste sehen die russische Offensive im Donbass weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan. "Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist es unwahrscheinlich, dass Russland seinen Vorstoß in den kommenden 30 Tagen dramatisch beschleunigen kann", erklärt das britische Militär in seinem aktuellen Lagebericht auf Twitter.
Der Gouverneur der im Westen der Ukraine gelegenen Region Lwiw meldete am frühen Sonntagmorgen den Beschuss militärischer Infrastruktur durch russische Raketen. In der Nachrichten-App Telegram schrieb Maxim Kosyzkyj, er habe keine Informationen über Tote oder Verletzte. Das Ausmaß der Zerstörung werde noch untersucht. Lwiw liegt nur rund 80 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt und hat bislang nur wenige Angriffe erlebt. Die Stadt ist aber voller Flüchtlinge aus anderen Teilen der Ukraine.
Selenskyj unterzeichnet Gesetz für Verbot prorussischer Parteien
Parteien, die den russischen Angriffskrieg unterstützen, sollen in der Ukraine bald verboten werden können. Selenskyj unterzeichnete ein Anfang Mai beschlossenes Gesetz, wie das ukrainische Parlament auf seiner Website mitteilte. Das Gesetz tritt einen Tag nach der offiziellen Veröffentlichung in Kraft. Das Verbot soll zum Beispiel Parteien treffen, die Russlands Krieg gegen die Ukraine rechtfertigen oder leugnen. Bereits im März stoppten ukrainische Behörden die Aktivitäten von fast einem Dutzend Parteien, die Verbindungen zu Russland haben sollen.
Kiew: Praktisch keine russischen Geländegewinne
Die russischen Streitkräfte haben nach ukrainischen Angaben ihre Angriffe im Osten des Landes fortgesetzt, ohne nennenswerte Geländegewinne erzielen zu können. "Die größte Aktivität halten die Okkupanten im Raum Sloboschanske und Donezk aufrecht", teilte der Generalstab in seinem abendlichen Lagebericht mit. Demnach bereiten die russischen Truppen Angriffe auf die Städte Sjewjerodonezk, Soledar und Bachmut vor und haben dazu zwei weitere taktische Bataillone an die Front verlegt.
Im Gebiet Charkiw in der Nordostukraine, wo zuletzt ukrainische Truppen teilweise bis an die Grenze vorstoßen konnten, konzentrierten die Russen nun ihre Bemühungen darauf, eigene Verteidigungsstellungen zu halten und die wichtigsten Verbindungswege zu kontrollieren, heißt es weiter. Im Süden des Landes hingegen versuchen russische Truppen demnach, sich auf der strategisch wichtigen Schlangeninsel festzusetzen. Dort hätten sie die Luftabwehr verstärkt, meldete der ukrainische Generalstab. Die Insel vor der Mündung des Donaudeltas war in den letzten Tagen schwer umkämpft.
G7-Staaten wollen Ukraine notfalls jahrelang Waffen liefern
Deutschland und die anderen G7-Staaten wollen den ukrainischen Streitkräften notfalls noch jahrelang Waffen und andere militärische Ausrüstung für den Kampf gegen die Angreifer aus Russland liefern. "Wir werden unsere laufende Militär- und Verteidigungshilfe für die Ukraine so lange wie nötig fortsetzen", heißt es in einer Erklärung der Außenministern der Gruppe der führenden demokratischen Industrienationen (G7). Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock betonte am Samstag zum Abschluss von Beratungen nahe dem Weißenhäuser Strand an der Ostsee in Schleswig-Holstein auch die politische Unterstützung durch die G7-Staaten. "Grenzveränderungen, die Russland mit militärischer Gewalt erzwingen will, werden wir niemals anerkennen", sagte sie.
Medwedew kritisiert G7-Erklärung
Der frühere russische Staatschef Dmitri Medwedew hat mit Sarkasmus auf die Unterstützung der Ukraine durch die führenden Industrienationen (G7) reagiert. "Sanft ausgedrückt: Unser Land pfeift auf die Nichtanerkennung der neuen Grenzen durch die G7", sagte er in seinem Telegram-Kanal zur Erklärung der G7-Staaten, Grenzveränderungen, die Russland mit militärischer Gewalt erzwingen wolle, "niemals" anerkennen zu wollen. Wichtig sei in dem Fall nur der Wille der dort lebenden Menschen, so Medwedew. Seit einigen Wochen gibt es Spekulationen über Referenden in den von moskautreuen Truppen besetzten Teilen der Ukraine für einen Anschluss an Russland.
Das Versprechen der G7 an Kiew, der Ukraine weiter Waffen zu liefern, bezeichnete der 56-Jährige als Fortführung eines "verdeckten Kriegs gegen Russland" und die geplante Verringerung der Abhängigkeit von russischen Energieträgern als "Plünderung" der Bürger in den G7-Staaten, die nun höhere Preise zahlen müssten, um das "korrupte Regime in der Ukraine" zu unterstützen. Insgesamt kritisierte Medwedew die Erklärungen beim G7-Treffen als verlogen.
Auszeichnung für Film über Ukraine-Krieg
Ein Film über den Krieg in der Ostukraine hat den Hauptpreis des renommierten Dok.fests in München gewonnen. Für den Dokumentarfilm "Trenches" habe der französische Regisseur Loup Bureau ukrainische Soldaten und Soldatinnen in der Region Donbass beim Kampf gegen von Russland unterstützte Separatisten begleitet, teilte das Filmfestival mit. Er zeige, wie diese zwischen Explosionen und feindlichen Angriffen versuchten, einen halbwegs normalen Alltag zu führen. Allein der Einsatz von Loup Bureau sei preiswürdig, hieß es in der Begründung der Jury. "Trenches" sei aber auch ein wunderschöner Film, der ohne Effekthascherei und mit viel Respekt den Alltag in den Schützengräben dokumentiere. Der Hauptpreis des Festivals ist nach Angaben der Veranstalter mit 10.000 Euro dotiert.
nob/haz/kle/wa (dpa, afp, rtr, epd)
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