Aktuell - London: Krieg belastet Russlands Staatshaushalt
11. Dezember 2022Das Wichtigste in Kürze:
- Medwedew: Russland verstärkt Produktion von "mächtigsten" Vernichtungswaffen
- London: Kreml hat beim Staatshaushalt 2023 zu optimistisch kalkuliert
- Ukraine hofft auf deutsche Panzer
- Odessa drohen Monate ohne Strom
- Russisches Militär ändert seine Taktik
Russland verstärkt nach den Worten des ehemaligen Präsidenten Dmitri Medwedew die Produktion von Waffen der neuen Generation, die potenziell auch gegen den Westen eingesetzt werden könnten. Der Feind habe sich nicht nur im "Gouvernement Kiew verschanzt", schrieb Medwedew im Messengerdienst Telegram und bezeichnete damit Gebiete in der heutigen Ukraine, die unter dem Zaren zum Russischen Reich gehörten. „Es gibt ihn auch in Europa, Nordamerika, Japan, Australien, Neuseeland und einer ganzen Reihe anderer Orte, die den Nazis von heute die Treue geschworen haben", fügte der stellvertretende Vorsitzende des nationalen Sicherheitsrats hinzu. Deshalb erhöhe Russland die "Produktion der mächtigsten Vernichtungsmittel, einschließlicher derer, die auf neuen Grundlagen beruhen".
Vermutlich bezieht sich Medwedew mit diesen Aussagen auf die neue Generation von Hyperschallwaffen, deren Entwicklung Moskau nach eigenen Angaben seit Jahren vorantreibt. Seit der Entsendung russischer Truppen im Februar in die Ukraine veröffentlicht Medwedew in den Online-Netzwerken häufiger anti-westliche und pathetische Beiträge. Die militärischen Rückschläge Russlands in den vergangenen Monaten haben die Sorge ausgelöst, dass Russland auf sein Atomwaffenarsenal zurückgreifen könnte, um den Trend umzukehren. Staatschef Wladimir Putin hatte zuletzt angedeutet, dass der Kreml über eine Änderung seiner Militärdoktrin nachdenke, um die Möglichkeit von atomaren Präventivschlägen gegen andere Länder aufzunehmen.
London: Kreml hat beim Staatshaushalt 2023 zu optimistisch kalkuliert
Nach Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums könnte sich die russische Regierung Angesichts der Kosten des Angriffskriegs in der Ukraine bei ihrem Staatshaushalt fürs kommende Jahr verkalkuliert haben. Der von Präsident Wladimir Putin abgesegnete Haushalt 2023 sei wahrscheinlich zu optimistisch berechnet, urteilte das Ministerium. Andere Bereiche des Budgets dürften zunehmend unter Druck geraten, um die Kosten des Kriegs zu decken. Nach britischen Erkenntnissen werden mehr als neun Billionen Rubel (etwa 137 Milliarden Euro) für Verteidigung, Sicherheit und Strafverfolgung bereitgestellt - ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren sowie rund 30 Prozent des gesamten Haushalts.
Insgesamt beläuft sich der Etat auf 29,4 Billionen Rubel (rund 450 Milliarden Euro). Die Einnahmen werden mit 26,1 Billionen Rubel (zirka 400 Milliarden Euro) angegeben. Das Defizit liegt damit bei mehr als drei Billionen Rubel. Der Haushalt wurde für die Jahre 2023 bis 2025 verabschiedet; er ist massiv von den Rohstoffverkäufen abhängig, darunter vor allem Öl. Berechnet worden seien die Einnahmen unter der Annahme eines sinkenden Ölpreises und einer mäßigen Abschwächung des Rubels, hieß es in Moskau.
Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Moskau wirft London eine Desinformationskampagne vor.
Neue Beratungen über Getreidelieferungen
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nach Angaben seines Büros ein weiteres Telefonat mit Russlands Staatschef Wladimir Putin geführt. In dem Gespräch sei es unter anderem darum gegangen, über den für ukrainische Getreideexporte eingerichteten Schiffskorridor im Schwarzen Meer auch andere Lebensmittelprodukte und Rohstoffe zu transportieren. Außerdem seien das Thema Energie, der Kampf gegen den Terrorismus und die bilateralen türkisch-russischen Beziehungen angesprochen worden.
Der Kreml in Moskau teilte mit, dass das Getreideabkommen komplex sei. Vor allem müssten auch die Einschränkungen für den Export von russischem Getreide und Dünger aufgehoben werden. Unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen hatten Russland und die Ukraine im Juli ein Abkommen zum Export ukrainischen Getreides über einen Korridor im Schwarzen Meer geschlossen. Die Vereinbarung beendete eine monatelange Blockade der ukrainischen Getreideausfuhren infolge des russischen Angriffskriegs
Ukraine hofft auf deutsche Panzer
Nach Angaben des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba gibt es derzeit keine deutschen Zusagen für Panzerlieferungen an die Ukraine. "Eine solche Entscheidung ist noch nicht gefallen. Es gibt da keine Zusagen. Aber wir arbeiten daran, ganz offen", sagte Kuleba in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". Die Ukraine verstehe nicht, warum Deutschland Artillerie liefere, aber keine Panzer. "Mit Stand jetzt gibt es Projekte aus Deutschland, das ist die Lieferung der Iris-T-Systeme, das sind Flugabwehrwaffen." Auch die Gepard-Panzer seien Flugabwehrwaffen. "Aber zum derzeitigen Moment sind nach meiner Kenntnis Panzer nicht in dieser Liste enthalten. Das ist sehr schade."
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, hatte zuvor gesagt, er habe in Berlin Zusagen für weitere Waffenlieferungen erhalten. "Welche, werden wir zu gegebener Zeit gemeinsam bekanntgeben", sagte Makeiev in einem Interview der "Welt am Sonntag". An der Front würden dringend weitere Flugabwehrsysteme, Panzerhaubitzen, Gepard-Panzer und Munition gebraucht. "Außerdem sind wir weiter im Gespräch über die Lieferung von Marder- und Leopard-Panzern. Die Entscheidung darüber liegt aber bei der Bundesregierung", sagte der Botschafter.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Lieferung von Leopard-2-Panzern bislang mit der Begründung abgelehnt, dass noch kein anderes NATO-Land solche Panzer zur Verfügung stellt. Die USA signalisierten zuletzt, dass sie darin kein Hindernis sehen.
Weiter sagte Makeiev der Zeitung, die Bundesregierung habe ihm versichert, dass es ohne Zustimmung Kiews nicht zu Verhandlungen mit Russland kommen werde. Momentan brauche die Ukraine keine Vermittler, sondern Verbündete. "Denn Frieden in der Ukraine kann nicht herbeiverhandelt werden, sondern muss erkämpft werden", so Makeiev. "Wenn der Bundeskanzler sagt, der Ukraine werde geholfen, solange sie uns braucht, dann heißt das, bis der letzte russische Soldat von unserem Boden verschwunden ist, einschließlich Donezk, Luhansk und der Krim, dass Reparationen gezahlt und Kriegsverbrecher verurteilt worden sind."
Odessa wahrscheinlich drei Monate ohne Strom
"Nach dem nächtlichen Angriff iranischer Drohnen liegen Odessa und andere Städte und Dörfer der Region im Dunkeln", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft. Mehr als 1,5 Millionen Menschen in der Region seien derzeit ohne Elektrizität. Nur Einrichtungen wie Krankenhäuser und Entbindungsstationen würden noch mit Strom versorgt, teilte der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialbüros, Kyrylo Tymoschenko, im Messengerdienst Telegram mit. Die Situation sei "schwierig, aber unter Kontrolle".
Nach Angaben von Regionalgouverneur Maksym Martschenko waren fast alle Bezirke und Gemeinden in der Region Odessa infolge des Beschusses von Stromausfällen betroffen. Zwei der Drohnen seien von der ukrainischen Luftabwehr abgeschossen worden, erklärte er. Nach Angaben der Regionalverwaltung kann es zwei bis drei Monate dauern, bis die Stromversorgung wiederhergestellt ist. Den Bewohnern wurde empfohlen, nach Möglichkeit die Stadt vorerst zu verlassen.
Nach einer Reihe von Niederlagen an der Front und mit dem einbrechenden Winter hatte Russland mit den Angriffen auf die Energie-Infrastruktur der Ukraine begonnen. Am vergangenen Montag starteten die russischen Streitkräfte eine erneute Angriffswelle mit Raketen. Am schwersten betroffen sind die Regionen im Süden des Landes, wie die Regierung in Kiew mitteilte. International stoßen die russischen Angriffe auf die zivile Energieversorgung der Ukraine, die Millionen von Menschen bei eisigen Temperaturen ohne Strom und Heizung lassen, auf schärfste Kritik. Kremlchef Wladimir Putin kündigte am Donnerstag an, die Angriffe fortzusetzen.
Todesopfer nach Raketentreffer im russisch besetzten Melitopol
Bei einem Angriff ukrainischer Artillerie auf die von russischen Truppen besetzte Stadt Melitopol im Südosten der Ukraine hat es nach ersten Berichten mindestens zwei Tote und zwei Verletzte gegeben. Die Besatzungsverwaltung erklärte, unter anderem sei eine Gaststätte getroffen worden. Demnach sollen mehrere Projektile aus einem amerikanischen Himars-Raketenwerfer auf die Stadt abgefeuert worden sein. Rund um Melitopol war am Abend die Flugabwehr aktiv geworden. Ob es dabei um die Abwehr ukrainischer Luftangriffe oder einfliegender Raketen ging, kann von unabhängiger Seite nicht geklärt werden.
Russisches Militär ändert in der Ostukraine offenbar die Taktik
Russische und ukrainische Truppen liefern sich im Osten der Ukraine schwere Kämpfe. "Der Donbass ist die Hauptfront im Kampf um die Unabhängigkeit der Ukraine", sagte ein Sprecher der ukrainischen Streitkräfte im Fernsehen. Im Mittelpunkt der Kämpfe stehen demnach die Orte Bachmut und Awdijiwka. "Der Feind hat seine Taktik geändert." Anstelle von Angriffen größerer Einheiten würden nun kleinere Gruppen von Soldaten attackieren. Beteiligt sei vor allem der Söldnertruppe Wagner, unterstützt von Rohr- und Raketenartillerie. "Wir analysieren diese Taktik und finden für jedes militärische Gift ein Gegengift", versicherte der Militärsprecher.
Zuvor hatte das russische Militär von seiner Offensive in der Region berichtet. "Im Raum Donezk haben die russischen Einheiten ihre Angriffe fortgesetzt und den Gegner aus seinen befestigten Stellungen vertrieben", erklärte Armeesprecher Igor Konaschenkow in Moskau. Auch im Norden zwischen den Kleinstädten Kreminna und Lyman habe man Stellungen erobert. Unabhängig lassen sich diese Darstellungen nicht überprüfen.
Die ukrainischen Streitkräfte beschossen unterdessen auch die Großstadt Donezk im Donbass nach Angaben der russischen Behörden mehrfach mit Raketenwerfern. Dabei seien unter anderem der Busbahnhof im Stadtzentrum sowie eine Schule getroffen worden, meldete die russische Staatsagentur Tass. Über mögliche Opfer wurden keine Angaben gemacht. Donezk ist die größte Stadt in der gleichnamigen Region, die von prorussischen Separatisten zur unabhängigen Volksrepublik erklärt wurde. Inzwischen hat Moskau das Gebiet völkerrechtswidrig annektiert.
Estland fordert mehr Waffenlieferungen in die Ukraine
Die estnische Regierungschefin Kaja Kallas drängt Deutschland und andere Bündnispartner zu weiteren Waffenlieferungen in die Ukraine. "Ich fordere alle Verbündeten einschließlich Deutschlands dringend auf, alles in die Ukraine zu schicken, das sie braucht, um sich zu verteidigen", sagte die Ministerpräsidentin der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn alle Verbündeten schon im Januar oder Februar Waffen geschickt hätten, wären viele Menschenleben gerettet worden."
Estland, eines der kleinsten EU-Länder, hatte anders als Deutschland bereits vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 23. Februar Waffen in die Ukraine geliefert. Nach einer Statistik des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat das an Russland grenzende baltische Land die Ukraine gemessen am Bruttoinlandsprodukt insgesamt so stark unterstützt wie kein anderes Land der Welt. Bei den Waffenlieferungen liegt es in der Statistik auch in absoluten Zahlen vor viel größeren und finanzstärkeren europäischen Ländern wie Italien oder Spanien.
Präsident Selenskyj würdigt Nobelpreisträgerin
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Verleihung des Friedensnobelpreises unter anderem an die Menschenrechtsorganisation seiner Landsfrau Olexandra Matwijtschuk als besonderes Ereignis gewürdigt. "In diesem Jahr wurde zum ersten Mal die Sprache der Ukraine bei der Zeremonie gehört - dank des Zentrums für bürgerliche Freiheiten und seiner Leiterin, Frau Matwijtschuk, die mit dem Friedenspreis ausgezeichnet wurde", sagte Selenskyj in seiner Videoansprache. Er gratulierte Olexandra, ihren Kollegen und allen ukrainischen Menschenrechtsverteidigern zu der Anerkennung.
Menschenrechtler aus Belarus, Russland und der Ukraine waren am Samstag in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Neben dem ukrainischen Zentrum für bürgerliche Freiheiten (Center for Civil Liberties, CCL) wurden die aufgelöste russische Organisation Memorial und der inhaftierte belarussische Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki mit dem weltweit wichtigsten politischen Preis geehrt. Der Preis wurde am Internationalen Tag der Menschenrechte verliehen. Selenskyj nahm dies zum Anlass, diesen Tag auch für die Ukraine offiziell einzuführen.
ww/rb/kle/ack (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.