Erdogan und die Wut der Frauen
25. November 2014Von Gleichberechtigung hält der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan offenkundig nicht allzu viel. Eine völlige Gleichstellung von Mann und Frau sei "gegen die Natur", sagte das Staatsoberhaupt am Montag ausgerechnet auf einer Konferenz zum Thema Frauenrechte. Das Wesen der Frau und ihre körperlichen Voraussetzungen seien eben anders als bei Männern. "Man kann Frauen nicht die gleiche Arbeit machen lassen, wie es in der Vergangenheit unter kommunistischen Regimen geschehen ist", erklärte Erdogan. Es entspreche nicht ihrer zierlichen Statur, mit einer Schaufel zu arbeiten. Frauenrechtlerinnen und Opposition reagierten empört. Sie warfen dem früheren Vorsitzenden der konservativen Regierungspartei AKP eine rückständige Weltsicht vor. In Istanbul und Ankara riefen Frauenrechtlerinnen zu Protestkundgebungen auf. Aus der Kritik an Erdogan ist eine Debatte über Frauenrechte und Frauenmorde in der Türkei geworden.
"Seine Gedanken sind rückständig und in keiner Weise modern. Als Präsident hat er nicht das Recht, so etwas zu sagen", schimpft Fikriye Yilmaz im DW-Gespräch. Sie gehört einer türkischen Organisation an, die gegen Morde an Frauen ankämpft.
Obwohl Erdogan in seiner Rede Gewalt gegen Frauen klar verurteilt und als unislamisch gebrandmarkt hatte, wird heftig über das Thema debattiert. In der Türkei würden immer wieder Frauen von ihren Männern getötet, beklagt die Koordinatorin der Türkischen Frauenunion, Sevna Somuncuoglu. Die Demokratische Partei der Völker (HDP) forderte jetzt das Parlament auf, sich in einer Sondersitzung mit der Gewalt gegen Frauen zu befassen.
Somuncuoglu verweist darüber hinaus auf die Benachteiligung von Frauen in vielen Bereichen. Nach einem Ranking des Weltwirtschaftsforums zur Ungleichbehandlung der Geschlechter liege die Türkei abgeschlagen auf einem hinteren Platz. "Es gibt eine große Kluft zwischen Männer und Frauen, überall, in den Schulen, auf der Straße, am Arbeitsplatz, im Parlament", zählt Somuncuoglu die Bereiche auf, in denen Frauen schlechter gestellt seien.
Frauenrechte oft nur auf dem Papier
Die Aktivistin der Türkischen Frauenunion beklagt, dass viele Frauenrechte zwar gesetzlich verbrieft seien, aber nicht umgesetzt würden. Das werde durch die jüngsten Äußerungen des Staatschefs eher schlimmer. "Auf dem Papier sind wir in einer guten Position, aber wenn ein Präsident so spricht, dann werden alle, die diese Gesetze umsetzen sollen, sich nicht darum scheren", beklagt Somuncuoglu. "Es geht rückwärts, jeden Tag."
Die oppositionelle Abgeordnete Nur Serter wirft dem früheren Regierungschef Erdogan vor, mit seiner dogmatischen Sichtweise außerhalb der modernen Welt zu verharren. "Um zu verstehen, warum die Lage der Frauen in der Türkei so ist, wie sie ist, muss man nur auf unseren Präsidenten schauen. Das reicht", erklärt die Politikerin der Republikanischen Volkspartei (CHP) in türkischen Medien. Ein Zusammenschluss aus Frauenverbänden wirft Erdogan vor, mit seinen Äußerungen gegen das Verfassungsgebot der Gleichberechtigung und gegen internationale Vereinbarungen verstoßen zu haben. Die Äußerungen des Präsidenten zielten darauf ab, die Errungenschaften der Frauenbewegung rückgängig zu machen.
Kritik an Festlegung der Frau auf Mutterrolle
Auf heftige Kritik stößt auch, dass Erdogan die wichtigste Aufgabe der Frau in ihrer Rolle als Mutter sieht. Die Aufgabe als Mutter entspreche dem Islam, führte das Staatsoberhaupt aus. Feministinnen könnten das nicht verstehen, meinte der vierfache Vater. Diese würden die Idee der Mutterschaft ablehnen. Schon vor einigen Jahren hatte Erdogan mit seiner Forderung für Unmut gesorgt, dass jede türkische Frau mindestens drei Kinder zur Welt bringen solle.
Diese Einschränkung auf die Mutterrolle weist die Vorsitzende des "Vereins Türkischer Frauenbewegungen", Elif Logoglu, zurück. Die türkischen Frauen bräuchten vom Präsidenten keine Belehrungen über die Mutterschaft. "Das ist doch nichts, wovon wir keine Ahnung hätten", empört sie sich. Aber darum gehe es beim Thema Gleichberechtigung nicht. Auch die Frage, ob Frauen die gleiche körperliche Arbeit wie Männer verrichten könnten, sei irrelevant. Natürlich seien Männer und Frauen körperlich verschieden, sagt die Professorin und Organisations-Vorsitzende. "Aber die Gleichberechtigung, um die es geht, ist die vor dem Gesetz, im Bildungs- und Justizsystem. Darum muss es gehen."
Mit seinem traditionellen Frauenbild steht der Präsident nicht allein da. Viele Männer würden genauso denken, sagt Somuncuoglu von der Türkischen Frauenunion. Erdogan habe sie mit seiner Rede ermutigt. Doch die Aktivistin gibt sich kämpferisch. Schon im Osmanischen Reich, vor der Gründung der Türkei, hätten die Frauen ihre Rechte eingefordert. "Wir werden weitermachen", kündigt sie an.