Tusks schwierige Mission auf der Balkanroute
1. März 2016Sieben Staats- und Regierungschefs in vier Tagen. Mit diesem Reisemarathon, der in Österreich beginnt und in Griechenland endet, will EU-Ratspräsident Donald Tusk das scheinbar Unmögliche noch hinbiegen: eine Kompromisslinie in dem Flüchtlingsdrama entlang der sogenannten Balkanroute.
Die Gräben innerhalb der Europäischen Union im Streit um die Flüchtlingspolitik rissen in den vergangenen Tagen immer tiefer auf. Nach Österreich verkündeten am Freitag auch Slowenien, Kroatien und Serbien, maximal 580 Flüchtlinge täglich einreisen zu lassen. Aufgrund des Drucks aus den nördlich gelegenen Ländern riegelte auch Mazedonien seine Grenze zu Griechenland weitgehend ab. Dort sitzen nun Zehntausende Flüchtlinge fest.
Österreich hält an Abriegelung fest
Am Rande der Gespräche Tusks in Wien stellte Bundeskanzler Werner Faymann klar, ungeachtet aller Kritik werde man an der Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen nicht rütteln. Österreich sei kein Asyl-"Wartezimmer für Deutschland".
Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) gab Deutschland und der EU eine Mitschuld an den Zuständen an der griechisch-mazedonischen Grenze. Das dortige Flüchtlingschaos offenbare die Hilflosigkeit der EU-Kommission, meinte Doskozil weiter. Der SPÖ-Politiker rechnet nach eigenen Angaben nicht damit, dass es rasch eine gemeinsame europäische Lösung geben wird.
Verzweifeltes Werben für Schengen
Der ehemalige polnische Regierungschef will bei der Tour durch die Hauptstädte für die beim letzten EU-Gipfel verlangte Rückkehr zum Schengen-System mit einem funktionierenden Schutz der Außengrenzen werben - was aber eben in Griechenland seit Monaten nicht funktioniert. Und die Türkei, von den Europäern unter Federführung von Bundeskanzlerin Angela Merkel als "Schlüsselpartner" ausgemacht, unternimmt nach wie vor zu wenig, um den Flüchtlingsandrang über die Ostägäis Richtung Griechenland zu stoppen.
Nach den jüngsten Äußerungen aus Wien stellt sich allerdings die Frage, ob Tusk mit seiner Werbetour überhaupt Erfolg haben kann. Judy Dempsey vom Institut Carnegie Europe in Brüssel erklärt, Tusk begebe sich mit seiner Balkanreise viel zu spät ins "Rampenlicht". Dass Österreich in der vergangenen Woche mit neun Balkanländern einen Gipfel veranstaltete, der letztlich die Grenzschließung in Mazedonien vorbereitete, habe die "Schwäche" Brüssels, aber des Ratspräsidenten im Besonderen gezeigt. Und auch davor sei Tusk in der Flüchtlingsfrage "selbst hinter den Kulissen offenbar nicht besonders aktiv gewesen".
Bislang hat der ehemalige polnische Regierungschef in der Flüchtlingskrise eher die Notwendigkeit der Grenzsicherung betont. Im vergangenen Jahr plädierte er zwar für die "faire Verteilung" von "mindestens 100.000 Flüchtlingen", sprach dann aber von "politischer Nötigung", als die EU-Innenminister bei dem Vorhaben mehrere ihrer osteuropäischen Kollegen überstimmten.
Wenig Hoffnung auf Erfolg
Erschwerend kommt hinzu, dass der liberal-konservative Tusk durch den Regierungswechsel in Polen zusätzlich geschwächt ist, wie der Europa-Experte bei der Bertelsmann-Stiftung, Joachim Fritz-Vannahme, deutlich macht. Die neue nationalkonservative Regierung in Warschau sehe in dem 58-Jährigen gar "eine Art Staatsfeind".
Sehr viel mehr als Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, könne Tusk auf seinem Balkan-Trip voraussichtlich nicht, mutmaßt Fritz-Vannahme. Aber darin liegt vielleich auch ein Vorteil. So kann der EU-Ratspräsident laut Fritz-Vannahme ausloten, wo die roten Linien sind und "wo die orangenfarbenen, die man vielleicht noch dehnen kann".
se/rb (afp, dpa, rtr)