1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikNahost

Tunesier: Arbeitsuche in Subsahara-Afrika

Tarak Guizani
11. August 2022

Der Weg nach Europa ist weitgehend versperrt, der in den afrikanischen Süden offen. So wandern immer mehr Tunesier in Subsahara-Länder aus. Dort sind die Chancen auf eine Zukunft günstig. Aus Tunesien Tarak Guizani.

https://p.dw.com/p/4Ey1f
Migration nach Afrika - Insaf Boughdiri
Gut angekommen in Ruanda: Insaf Boughdiri (vorne links im Bild)Bild: Insaf Boughdiri

An der einmal im Monat stattfindenden öffentlichen Säuberungs- und Putzkampagne Umuganda nimmt Insaf Boughdiri gerne und regelmäßig teil. Die Aktion sei beeindruckend, findet die in der ruandischen Hauptstadt Kigali lebende Tunesierin.

"Die Kampagne entspringt einer Tradition, durch die die Bürger Ruandas ihr Land sauber halten und zugleich für Freiwilligenarbeit zur Stärkung der Gemeinschaft werben", so erlebt es die Tunesierin. "Sie fördert Disziplin, den Sinn für Sauberkeit und Arbeit und den gemeinsamen Willen, das Land aufzubauen und zu fördern", sagt sie im DW-Gespräch. Es seien diese Tugenden, die sie am meisten beeindruckten, so die Tunesierin.

Elektrische Motorradtaxis in Kigali

Boughdiri ist erst vor kurzem aus Tunis nach Ruanda gekommen. Sie hat einen Master in Rechtswissenschaften und bringt rund zwei Jahrzehnte Erfahrung in der französischsprachigen Presse und beim Fernsehen in Tunesien mit. In Kigali arbeitet sie für die Afrikanische Organisation für Landwirtschaft, deren Team für Kommunikation und Information sie verstärkt. Nach einer dreimonatigen Probezeit hält sie nun einen Zweijahresvertrag in den Händen.

Bewusste Entscheidung für den Süden

Die Entscheidung für ein fremdes Land habe sie ganz bewusst getroffen, sagt Boughdiri. Zwar habe sie sich wie zahlreiche andere Bewohner für die Revolution des Jahres 2010 begeistert. Nun aber suche sie eine neue Erfahrung. Warum, habe sie sich gefragt, nicht in Subsahara-Afrika?

Insaf Boughdiri an ihrem Schreibtisch
Entscheidung für Afrika statt Europa: Insaf BoughdiriBild: Insaf Boughdiri

Insaf ist eine von Tausenden Tunesierinnen und Tunesiern, die meisten von ihnen am Beginn ihres Berufslebens, die ihre Chance angesichts der wirtschaftlichen und politischen Krise des Landes nicht mehr in Europa oder den Golfstaaten suchen, sondern auf dem eigenen Kontinent. Rund 226.000 Arbeitslose mit Hochschulabschluss gibt es in Tunesien. Und viele von ihnen betrachten die Auswanderung mit neuen Augen.

Mehr als 70 Prozent der befragten Hochschulabsolventen trügen sich mit dem Gedanken, ins Ausland auszuwandern, ergab eine kürzlich erschienene Studie eines arbeitgebernahen Instituts in Tunesien. Besonders wichtig sei den Absolventen dabei, das richtige Ziel zu finden.

Europa heißt Migranten nicht willkommen

Sie selbst habe nie erwogen, nach Europa auszuwandern, sagt Insaf. "Denn das setzt eine rechtlich einwandfreie Regelung voraus, etwa einen Arbeitsvertrag. Fehlt der, muss man sich auf viele Schwierigkeiten und Probleme einstellen." Das habe sie vermeiden wollen.

Über Ruanda konnte sich Insaf vor der Ausreise nur sehr rudimentär informieren. Seit ihrer Ankunft vor einigen Monaten hat sich ihr Wissen allerdings erweitert. "Ich habe ein Land der Solidarität entdeckt", sagt sie der DW. "Die Menschen haben Bürgerkrieg und Völkermord hinter sich gelassen und begonnen, ihr Land aufzubauen. Inzwischen ist es hier sauber und organisiert, und das Land hat eine gute digitale Infrastruktur. Man lebt sehr gut hier."

Attraktive Schwellenländer

Rund 1,7 Millionen Tunesierinnen und Tunesier haben ihr Land auf der Suche nach Arbeit verlassen. Mehr als 80 Prozent von ihnen leben in Europa. Kolonien gibt es aber auch in weit entfernten Ländern wie China, Japan, Singapur, Taiwan und Indien.

Noch existieren keine zuverlässigen Statistiken über die Zahl der Tunesier, die ihr Glück in Subsahara-Afrika versuchen. Fest steht aber, dass einige Länder südlich der Sahara für Arbeitskräfte aus dem Ausland immer attraktiver werden - auch dank Förder- und Investitionsprogrammen, die die Europäische Union finanziert.

Elefanten im Nationalpark Ivindo in Gabun
Landschaftsattraktion: der Nationalpark Ivindo in GabunBild: Amaury Hauchard/AFP/Getty Images

Tatsächlich sei der Norden längst nicht mehr das einzige Ziel, das jungen arbeitssuchenden Tunesiern in den Sinn komme, sagt Ramadan Ben Omar, Migrationsexperte und Mitglied des Tunesischen Forums für wirtschaftliche und soziale Rechte, der DW. "Zugleich gibt es im Süden Afrikas eine wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften, und zwar nicht nur nach Akademikern, sondern auch nach Menschen mit einfacher Ausbildung. So kommen zwei passende Trends zusammen."

Glücklich in Gabun

Diese Entwicklung bestätigt auch Anis Belidi. Der junge Tunesier arbeitet in der gabunischen Hauptstadt Libreville in einem von libanesischen Investoren getragenen Einzelhandelsunternehmen.

Anis entschloss sich 2018 zur Auswanderung nach Gabun. Seine Frau und seine beiden Töchter ließ er in Tunesien zurück. "Es war eine schwierige und für meine Familie überraschende Entscheidung", erzählt er der DW. "Eigentlich hatte ich nach Frankreich gehen wollen, doch das erwies sich als schwierig." Zwar sei es in Gabun zunächst alles andere als leicht gewesen. "Doch nach und nach verbesserte sich die Lage. Jetzt geht es mir hier besser als zuvor in Tunesien - auch finanziell."

Dynamisches Wirtschaftswachstum

Die derzeitige Dynamik gehe vor allem auf das Wachstum mehrerer Volkswirtschaften in Westafrika zurück, sagt Ben Omar. Auch im kommenden Jahrzehnt werde dieser Trend anhalten, insbesondere angesichts der zu erwartenden Fertigstellung des afrikanischen Teils der chinesischen Neuen Seidenstraße. Dieser soll absehbar die bedeutendsten Städte Subsahara-Afrikas mit denen in Nordafrika verbinden. Trotz Schattenwirtschaft und Intransparenz gedeiht die Wirtschaft in einigen Länder des Kontinents.

Porträt Sonya Mounir
Arbeitet in westafrikanischen Ländern: Sonya Mounir Bild: Sonya Mounir

Ähnlich sieht es auch Sonya Mounir. Die Psychotherapeutin arbeitet seit mehr als elf Jahren für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in mehreren westafrikanischen Ländern. Seit 2019 lebt sie in Dakar, der Hauptstadt Senegals, und ist  Regionaldirektorin für reproduktive Gesundheitsprogramme für West- und Zentralafrika.

Zwar hätte sie dank ihrer Qualifikation auch in Europa eine Stelle finden können, sagt sie der DW. "Dennoch habe ich mich entschieden, im Senegal zu leben. Ich arbeite sehr gerne hier. Das Leben ist angenehm, es gibt Studien- und Arbeitsmöglichkeiten und auch gute Freizeitangebote", sagt Sonya Mounir der DW.

Gefördert wird der Trend zur Migration in den Süden auch durch eine ganze Reihe tunesischer Unternehmen, die dort Büros und Repräsentanzen gründen. Der Markt boomt, und diese Chancen wollen sich die tunesischen Unternehmer nicht entgehen lassen. Ihre Niederlassungen wiederum bieten zahlreichen Landsleuten eine Chance.

Aus dem Arabischen adaptiert von Kersten Knipp.

Tarak Guizani Freier Korrespondent Tunesien