Zwischen Machtkampf und Wirtschaftskrise
7. Dezember 2013Der Arabische Frühling begann in der tunesischen Provinz. Mohammed Bouazizi war verzweifelt. Immer wieder hatten die Behörden im Städtchen Sidi Bouzid seinen kleinen Gemüsestand geschlossen, seine Waren beschlagnahmt. Als er sich beschwerte, wurde der junge Mann auf der Polizeiwache misshandelt.
Bouazizi griff zu einer radikalen Form des Protests. Am 17. Dezember 2010 zündete er sich selbst an. Bouazizis Aktion löste einen Flächenbrand aus. Schnell gingen im ganzen Land Menschen gegen die wirtschaftliche Misere und für mehr Freiheit auf die Straße. Es war der Anfang vom Ende des Diktators Zine el Abidine Ben Ali.
Chancenlos in der Provinz
Badreddine Hamlaoui lebt in Siliana, einer Stadt mit rund 25.000 Einwohnern, nördlich von Sidi Bouzid. Für Hamlaoui hat sich seit Bouazizis Selbstverbrennung nicht viel getan. Noch immer ist Tunesiens Provinz eine Region ohne Jobs und Chancen. "Arbeitslosigkeit, Armut, Misere. Wir leben unter verzweifelten Bedingungen", so der 19-Jährige. "Ich frage mich, warum Siliana vernachlässigt und von der Entwicklung ausgeschlossen wird."
Die Arbeitslosenquote in Tunesien liegt bei knapp 16 Prozent. In der Provinz, in Orten wie Siliana oder Sidi Bouzid, erreicht die Quote sogar bis zu 29 Prozent. Unter den Jugendlichen ist teilweise jeder Zweite arbeitslos. "Die Provinz wird weiter vergessen und marginalisiert", sagt Mohammed Miraoui, Vorsitzender der regionalen Gewerkschaft in Gafsa, im Süden des Landes. "Schuld ist die Politik der Regierung."
Investoren fliehen
Auch in den Küstenregionen ist die wirtschaftliche Lage schwierig. Der Tourismus hat sich seit der Revolution kaum erholt. Auch ausländische Investoren sind skeptisch, was die Entwicklung des Landes betrifft, und ziehen sich zurück.
Mohammad abd el Momen hat bis Juli in einer Fabrik in Bizerte im Norden von Tunis gearbeitet. Momen stellte Sicherheitsschuhe für Bauarbeiter her. Doch dann schlossen seine italienischen Arbeitgeber das Werk. 4500 Menschen verloren ihren Job."Wir haben die Revolution begonnen", beklagt Momen. "Doch dann haben die Politiker die Jobs bekommen. Uns aber bleibt nur die Tragödie." Jetzt habe er noch nicht einmal genug Geld, um Milch für seine Kinder zu kaufen.
Kritik vom Währungsfonds
Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass Tunesiens Wirtschaftswachstum in diesem Jahr bei 2,7 Prozent liegt. Das reicht nicht aus, um genug Jobs für die wachsende Bevölkerung zu schaffen. Die Investoren, erklärte Amine Mati, Leiter der Tunesien-Delegation des IWF, würden weiterhin eine abwartende Haltung einnehmen. Der Grund: stagnierende Reformen und Sicherheitsprobleme.
Auch die internationalen Rating-Agenturen sind skeptisch, was die Aussichten Tunesiens betrifft. Ende November wertete Moody's die Kreditwürdigkeit des Landes auf Ba3 ab - drei Stufen unter dem Investitionsgrad. Fitch hatte Tunesien bereits im Oktober abgewertet.
Tunesien, sagt IWF-Vertreter Mati, müsse handeln. Zu den "dringend notwendigen" Reformen gehörten die Eindämmung des Haushalts- und Außenhandelsdefizits und die Schaffung von mehr Wachstum.
Politische Stagnation in Tunis
Dazu brauche Tunesien eine handlungsfähige Regierung. "Die Transformation ist komplett ins Stocken geraten", sagt Joachim Paul von der Heinrich-Böll-Stiftung in Tunesien. "Wir erleben eine Phase des Übergangs und der Unsicherheit." Deswegen gebe es weder wirtschaftliche Reformen noch Investitionen.
Die politische Krise begann mit dem Mord an dem linken Oppositionellen Mohammed Brahmi Ende Juli dieses Jahres. Angelastet wurde die Tat radikalen Salafisten. Doch die säkulare Opposition machte die Regierung der gemäßigt islamistischen Ennahda mitverantwortlich. Nach dem Mord gingen immer wieder Zehntausende Tunesier gegen die demokratisch gewählte Ennahda-Regierung auf die Straße. Um eine Eskalation zu vermeiden, willigte die Ennahda schließlich ein, die Regierungsverantwortung im Rahmen eines "Nationalen Dialogs" abzugeben. Geplant sind eine neue Verfassung, eine Reform des Wahlrechts und Neuwahlen.
Die Umsetzung der Pläne lässt aber auf sich warten. Bisher konnten sich die Parteien nicht auf einen neuen Premierminister einigen. Regierung und Opposition, glaubt Joachim Paul, befürchteten offenbar, durch einen Kompromiss von der Macht ausgeschlossen zu werden. "Ich denke aber, dass beide Seiten letztlich verhindern wollen, dass das Land und die Gesellschaft in Chaos oder Gewalt abgleiten." Das erklärt auch Ennahda-Chef Rached Ghannouchi: "Wir haben einen Konflikt, aber wir kämpfen mit Wörtern, Gerichten und Gesetzen, nicht mit Geschossen."
Am Mittwoch (04.12.2013) stellte die Gewerkschaft UGTT, einer der Vermittler des "Nationalen Dialogs", Regierung und Opposition ein Ultimatum: Innerhalb von zehn Tagen müssten sie sich auf einen Übergangspremier einigen. Ansonsten würden die Gespräche abgebrochen.
Ein Leben in Würde
Während Regierung und Opposition verhandeln, steigt die Unzufriedenheit der Tunesier. Immer wieder kommt es zu Protesten. In Tozeur, im Süden des Landes, wurde am Mittwoch gestreikt. Tausende Menschen gingen auf die Straße und skandierten Slogans gegen die Ennahda-Regierung.
Bereits Ende November gab es in mehreren tunesischen Städten Generalstreiks. Damals wurde in Gafsa ein Büro der Ennahda verwüstet. In Siliana kam es zu Ausschreitungen zwischen jungen Demonstranten und der Polizei. Die Proteste richten sich gegen die schlechte wirtschaftliche Lage und die Benachteiligung der Provinz gegenüber der Hauptstadt Tunis.
Auch Badreddine Hamlaoui, der junge Mann aus Siliana, war wieder bei den Demonstrationen dabei. Dabei weiß er, wie schnell die Lage eskalieren kann. Vor einem Jahr ging er schon einmal auf die Straße. Damals protestierte der 19-Jährige gegen die Provinzregierung. Die Polizei schoss mit Schrotmunition auf die Demonstranten. Hamlaoui verlor ein Auge. Einschüchtern aber lässt er sich deswegen nicht. "Wir wünschen uns doch nur, in Würde zu leben."