Tunesien wirbt um ausländisches Kapital
28. November 2016Für Robert Dornheim, Vertreter des deutsch-japanischen Pharmakonzerns Otsuka, ist Tunesien noch ein grauer Fleck auf der Karte. In vielen anderen Ländern der Region ist der Konzern bereits tätig, und für Tunesien sprächen, so Dornheim, zwei entscheidende Argumente: junge, qualifizierte Fachkräfte und die Nähe zu Europa: "50 Minuten Flugzeit nach Rom, zwei Stunden nach München, das ist ein Standortvorteil."
Der Münchner ist Teilnehmer einer Wirtschaftsdelegation unter Leitung des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Der würde es gerne sehen, wenn sich Tunesien zur "Schweiz Afrikas" entwickeln würde.
Tunesien als konkurrenzfähiger Standort
Mehr als 2000 Teilnehmer aus rund vierzig Ländern werden zu der Konferenz erwartet, die am 29. und 30. November 2016 in Tunis stattfindet. Neben dem Emir von Qatar nimmt unter anderem auch der französische Premierminister Valls an der "Tunisia 2020" getauften Veranstaltung teil. Auf der anderen Seite stehen mehr als 140 Projekte mit einem Volumen von rund 68 Milliarden tunesischer Dinar (knapp 28 Milliarden Euro).
Neben privaten Projekte und "Public-Private Partnerships" (PPP) sucht Tunesien Finanzierung für fast 70 öffentliche Infrastrukturprojekte, insbesondere für den Ausbau von Straßen und den Schienenverkehr. Mit ihrer Hilfe sollen die verarmten, oft von wirtschaftlicher Entwicklung abgeschnittenen Regionen des Landesinneren an die reichen Küstenregionen angebunden werden. Damit würden auch sie mittelfristig für Investoren interessant.
Tatsächlich hat der 11-Millionen-Einwohner-Staat am südlichen Rande des Mittelmeers einiges, was ihn für europäische Unternehmen attraktiv macht. Der tunesische Investitionsminister Fadhel Abdelkefi spricht gar vom "konkurrenzfähigsten Standort der Region". In einigen Wirtschaftszweigen könne man es mit den Asiaten aufnehmen. "Unser Land kann Ergebnisse erzielen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können", ist er überzeugt.
An jungen, vergleichsweise gut ausgebildeten Fachkräften mangelt es in Tunesien nicht, das Lohnniveau ist deutlich niedriger als in Europa, die Transportwege dorthin sind kurz. Gerade mal zwei bis drei Tage brauche man in Tunesien, um eine Firma zu eröffnen, beteuert Mourad Fradi, einer der Organisatoren der Konferenz.
Bürokratische Hürden abbauen
Doch tatsächlich mahlen die Mühlen der tunesischen Verwaltung oft langsam. Tunesische und ausländische Unternehmer können gleichermaßen ein Lied davon singen, wie mühsam der Umgang mit den Behörden im Alltag manchmal ist. Auch in der internationalen Zusammenarbeit dauern Programme oft länger als geplant und Gelder werden nicht ausgegeben, weil es auf der tunesischen Seite hakt.
Fradi, selbst Vorsitzender der italienisch-tunesischen Handelskammer, ist sich dieser Hürden durchaus bewusst. "400 ausländische Berater sind dabei, die tunesische Verwaltung zu reformieren, aber das dauert vier bis fünf Jahre", sagte er dem tunesischen Radiosender Mosaique FM. "Wir werden aber nicht so lange warten und in der Zwischenzeit einfach die Hände in den Schoß legen."
"Die einzige Lösung sind Investitionen"
Das könnte sich Tunesien auch gar nicht leisten. Mit dem politischen Umbruch 2011 haben die Bürger zwar an Demokratie und Meinungsfreiheit gewonnen, die Arbeitslosigkeit ist aber unverändert hoch und wichtige Wirtschaftszweige wie der Tourismus und der Phosphatsektor sind eingebrochen. Das Wirtschaftswachstum für 2016 wird auf rund 1,5 Prozent geschätzt und erst vor wenigen Tagen hat die Rating-Agentur Moody's Tunesien einen negativen Ausblick beschieden. Am Vortag der Konferenz hat außerdem der tunesische Gewerkschaftsverband wegen stockender Gehaltsverhandlungen für Anfang Dezember einen eintägigen Generalstreik im öffentlichen Dienst ausgerufen.
"Die einzige Lösung für unser Land sind Investitionen, in erster Linie tunesische, aber auch ausländische", gibt Investitionsminister Abdelkefi unumwunden zu. Auch, um das Land langfristig aus der Abhängigkeit von internationalen Krediten von Weltbank und internationalem Währungsfond zu lösen.
Ein neues Investitionsgesetz, das die Abläufe für Unternehmer vereinfachen soll, tritt im Januar 2017 in Kraft. Bereits Ende September hatte die Europäische Union beschlossen, ihre finanzielle Unterstützung für Tunesien im kommenden Jahr auf 300 Millionen Euro zu verdoppeln. Insbesondere von Qatar erhoffen sich die Tunesier auf der Konferenz weitere Unterstützung.
Politische Stabilität als Schlüsselfaktor
Christian Wullf plädiert vor allem für private Investitionen, um das Land voranzubringen. Keinen klassischen Marschallplan mit staatlicher ausländischer Finanzierung also, wie in die tunesische Regierung seit 2011 mehrfach gefordert hatte, sondern engere Zusammenarbeit von Unternehmen. "Man hat vielleicht früher zu häufig solche Pläne entwickelt für Afrika, über die Köpfe hinweg. Und das ganze in Afrika, mit Afrika für Afrika zu entwickeln, das ist die Entwicklung, die nottut," sagte Wulff am Montagabend am Rande einer Veranstaltung mit deutschen und tunesischen Unternehmern.
Nachdem in Tunesien 2015 Anhänger des sogenannten Islamischen Staates drei blutige Anschläge mit mehr als 70 Toten verübt hatten, hat sich die Sicherheitssituation in diesem Jahr deutlich stabilisiert. Eine sogenannte Nationale Einheitsregierung unter der Führung des jungen Premierministers Youssef Chahed (Artikelbild), die Ende August ihr Amt angetreten hat, soll nun auch für politische Stabilität sorgen.
Die ist auch für Robert Dornheim ein entscheidendes Kriterium in der Frage, ob sein Konzern in Tunesien investieren wird oder nicht. Unlösbare Probleme oder Sicherheitsrisiken sieht er nicht: "Aber es hängt auch davon ab, wie stabil die Regierung ist." Wenn diese die angekündigten Investitionsförderungsprogramme und die Infrastrukturmaßnahmen umsetze, dann stünde einer Investition kaum etwas im Wege.