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Gleichberechtigung in Tunesien

6. Januar 2014

Die Nationalversammlung in Tunis hat mit großer Mehrheit einen Verfassungsartikel zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen beschlossen. In der arabischen Welt nimmt Tunesien damit eine Vorreiterrolle ein.

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Gleichberechtigungsdebatte in der tunesischen Nationalversammlung (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Fethi Belaid/AFP/Getty Images

"Alle männlichen und weiblichen Staatsbürger haben dieselben Rechte und Pflichten. Vor dem Gesetz sind sie gleich, ohne Benachteiligung", heißt es in Artikel 20 des Verfassungsentwurfs, der von der Nationalversammlung, die zugleich verfassunggebende Versammlung ist, mit 159 von 169 abgegebenen Stimmen verabschiedet wurde. Das Votum über Artikel 45, der ausdrücklich Frauenrechte und Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern garantiert, sollte später erfolgen.

Damit wird erstmals in der Landesgeschichte die Gleichberechtigung von Mann und Frau festgeschrieben. Tunesien gewährte Frauen bereits seit den 1950er Jahren mehr Rechte als andere arabische Staaten, von voller Gleichberechtigung konnte aber keine Rede sein. Grundsätzlich waren Männer bislang immer privilegiert, so etwa im Erbrecht.

Menschenrechtsgruppen hatten vorab kritisiert, dass in der nun verabschiedeten Passage nur von "Staatsbürgern" die Rede sei und das Gleichheitsprinzip damit nicht für Ausländer gelte. Verboten gehöre aber "jede direkte und indirekte Benachteiligung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder anderer Meinungen, nationaler oder sozialer Herkunft, Besitz, Geburt oder anderer Faktoren".

Koran nicht Hauptquelle der Gesetzgebung

Die Abstimmung über die Verfassung hatte am Freitag begonnen. Bis zum dritten Jahrestag des Sturzes des langjährigen Machthabers Zine al-Abidine Ben Ali am 14. Januar soll über alle 146 Artikel der Verfassung und etwa 250 eingereichte Änderungsanträge abgestimmt worden sein.

Bemerkenswert ist die Entscheidung der tunesischen Nationalversammlung, den Koran nicht zur Hauptquelle der Gesetzgebung zu machen. In den am Samstag verabschiedeten ersten beiden Artikeln der neuen Verfassung ist ausdrücklich eine "zivile Republik" festgeschrieben: "Tunesien ist ein freier, unabhängiger und souveräner Staat. Der Islam ist seine Religion, Arabisch ist seine Sprache und die Republik ist seine Staatsform. Es ist nicht möglich, diesen Artikel zu ändern", heißt es im ersten Artikel, der mit 146 der 149 Stimmen angenommen wurde.

Ende der Übergangsphase

Der Verfassungsentwurf ist das Ergebnis mehr als zweijähriger Debatten zwischen der dominierenden islamistischen Ennahda-Partei und der Opposition im Ausgangsland des sogenannten "Arabischen Frühlings". Allein seit vergangenem Sommer wurden noch rund 30 Änderungen zugefügt. Mit der Verabschiedung der Verfassung soll die Übergangsphase beendet werden. Zudem soll sie einen Ausweg aus der Krise weisen, die durch die Ermordung des linken Oppositionellen Mohammed Brahmi im Juli ausgelöst wurde.

Sobald die Verfassung verabschiedet, ein Wahlgesetz erlassen und eine Wahlkommission ernannt worden ist, will die Übergangsregierung von Premierminister Ali Larayedh die Macht an den bisherigen Industrieminister Medhi Jomaâ übergeben. Der parteilose Politiker soll dann Neuwahlen vorbereiten.

qu/kle (afp, dpa)