"Tunesien ist nicht Ägypten"
14. August 2013Das Mutterland des "Arabischen Frühlings" steckt ähnlich wie Ägypten in einer tiefen politischen Krise. Bundesaußenminister Guido Westerwelle appellierte deshalb zum Auftakt seines zweitägigen Besuchs in Tunesien an Regierung und Opposition, sich um Kompromisse zu bemühen, um eine gewaltsame Eskalation der Lage zu vermeiden.
"Natürlich ist Tunesien nicht Ägypten und Ägypten nicht Tunesien", stellte Westerwelle nach einem Gespräch mit Präsident Moncef Marzouki (Artikelbild) in Tunis klar. "Aber das, was gerade in Ägypten stattfindet, darf in Tunesien nicht passieren", fügte er hinzu. "Deswegen ist es wichtig, dass Brücken gebaut werden, dass Ausgleich stattfindet." Der Gast aus Berlin bot dem nordafrikanischen Land weitere Unterstützung auf dem Weg zu mehr Demokratie und Stabilität an.
Marzouki zeigte sich wie Westerwelle besorgt über die Entwicklung in Ägypten. Obwohl auch er die Situation in beiden Ländern unterschiedlich sieht, meinte Marzouki, man müsse vorsichtig vorgehen.
Seit am 25. Juli in Tunesien der säkulare Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi vermutlich von Islamisten ermordet wurde, gibt es in Tunis und anderen Städten täglich Demonstrationen, bei denen ein Machtverzicht der islamistischen Regierungspartei Ennahda gefordert wird. Erst am Dienstagabend hatten in der Hauptstadt 40.000 Menschen den Rücktritt des von Islamisten dominierten Kabinetts verlangt. Viele weltlich orientierte Tunesier sind empört, weil innerhalb von sechs Monaten zwei prominente Politiker aus ihrem Lager ermordet wurden. Auch tausende Islamisten versammelten sich am Dienstag auf den Straßen, um ihre Unterstützung für die Ennahda zu bekunden.
Ennahda für "unpolitische Regierung"
Der Generalsekretär der Ennahda-Partei, Hanmadi Jebali, ging jetzt auf die Opposition zu und sprach sich für die Bildung einer Regierung aus Experten aus. Eine "unpolitische Regierung" solle das Land bis zu Wahlen führen, die innerhalb von sechs Monaten abgehalten werden sollten, erläuterte Jebali. Unklar blieb, ob Ministerpräsident Ali Larayedh dann seinen Posten zur Verfügung stellen wird. Bislang lehnte die Ennahda einen Rücktritt des Regierungschefs ab. Vertreter der Ennahda werfen der Opposition vor, ähnlich wie in Ägypten mit ihren Protesten einen Putsch des Militärs vorbereiten zu wollen.
Die Ennahda hatte im Herbst 2011 die erste Wahl nach dem Sturz von Präsident Zine el Abidine Ben Ali klar gewonnen. Seitdem steht sie einer Koalition vor, der noch die Mitte-Links-Partei CPR und die sozialdemokratisch orientierte Partei Ettakatol angehören.
Westerwelle wird in Tunis auch Regierungschef Larayedh, die Führung der einflussreichen Gewerkschaft UGTT und Vertreter der Opposition treffen. Deutschland unterstützt den Demokratisierungsprozess in Tunesien mit deutlich mehr Geld als in anderen arabischen Ländern.
se/wl (afp, dpa, rtr)