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Große Fußballkunst: Die Tschutti Heftli

10. Juni 2018

Surferboys, Renaissance-Figuren, Comichelden, QR-Codes: 32 Künstler haben für ein Stickeralbum die Spieler von 32 WM-Teams porträtiert. Das Tschutti Heftli ist ein Gesamtkunstwerk, das Sammler süchtig machen kann.

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Tschuttiheft.li Karikaturen Fußballspieler | Original & Fälschung | Thomas Müller
Bild: Imago/Nordphoto & Tschuttiheft.li

Vor jedem großen Fußballturnier bricht die Sammelleidenschaft aus. Und zwar für die kleinen selbstklebenden Bilder - die Porträts von den Spielern der teilnehmenden Mannschaften. Das berühmteste Stickeralbum kommt von den Panini-Brüdern aus Italien - die fingen 1961 mit einem Sammelabum für die Fans der italienischen Liga an und weiteten ihr Angebot in den folgenden Jahrzehnten mit wachsendem Erfolg aus. Ernsthafte Konkurrenz gab es kaum.

Seit zehn Jahren aber bietet sich für Sammler eine Alternative: Aus der Schweiz hat das Sticker-Album Tschutti Heftli einen Siegeszug angetreten; immer mehr Fußbalfans und Sammler lassen sich anstecken. Denn die Bilder im Tschutti Heftli sind keine normalen Fußballsticker mit den Porträts lächelnder oder cool aussehender Spieler. Es sind kleine Kunstwerke, Zeichnungen, Karikaturen, Illustrationen von Künstlern, die so vielseitig und unterschiedlich sind wie die Teilnehmerländer bei den Turnieren.

Zur WM 2018 ist das mittlerweile sechste Sammelheft erschienen - und die Auflage steigt und steigt. Silvan Glanzmann ist Initiator des Tschutti-Heftli: "Mit den Bildern schaffen wir eine Symbiose aus Fußballkultur und Kunst. Die Sammler bekommen somit nicht nur einen Überblick über die teilnehmenden Mannschaften und Spieler, sondern auch über verschiedene Gestaltungsstile der zeitgenössischen Portrait-Illustration."

Paolo Guerrero als QR-Code.
Hier unbedingt den QR-Code scannen! Paolo Guerrero "DEPREDADOR"Bild: Tschuttiheft.li

Mehr Leidenschaft, weniger Profit

Das Magazin kommt aus der Schweiz - das schwyzerdütsche Wort für Kicken oder Fußball spielen heißt "tschutten" -  und die Idee kam den Machern, weil ihnen die immer gleichen Fußballerporträts von Panini & Co. zu langweilig waren. Etwas Besonderes musste her, sagt Glanzmann: "Uns geht es nicht um den Profit. Wir möchten ein Stück weit der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs entgegentreten und den Sport wieder mehr mit Leidenschaft und Kultur in Verbindung bringen." 

Das Heft arbeitet mit dem Schweizer Ableger der Hilfsorganisation Terres des Hommes zusammen. 9 Cent pro verkauftes Sticker-Päckchen gehen an die NGO, die das Geld an Hilfsprojekte in der ganzen Welt verteilt. Der Schwerpunkt liegt diesmal auf Brasilien, wo zur WM 2014 Hunderte Familien zwangsumgesiedelt wurden. Auch die Kampagne "Viva con Aqua", die sich für frei zugängliches und sauberes Trinkwasser für alle Regionen einsetzt, wird von Tschutti Heftli unterstützt.

Für die Umsetzung des Projektes wurden keine namhaften Künstler gesucht. Stattdessen wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich alle Zeichner, Grafiker, Designer und Illustratoren beteiligen konnten. Die Aufgabe war: ein Porträt des argentinischen "Fußballgottes" Diego Maradona.

Im Atelier von Ronny Heimann

Tschutti Künstler - Der Kölner Grafikdesigner Ronny Heimann vor seinen Fußballer-Porträts
Ronny Heimann vor seinen PorträtsBild: DW/S. Wünsch

Aus den 500 Einsendungen wurden in diesem Jahr 32 Zeichner ausgewählt. Unter ihnen ist auch der Kölner Grafikdesigner Ronny Heimann. Er ist selbst Fan des 1. FC Köln und hat sich sehr über seine Aufgabe, das deutsche Team zu zeichnen, gefreut; das sei nämlich auch sein Wunschteam gewesen. Er hat Maradona mit einer seiner typischen Gesten gezeichnet, mit wie zum Gebet gefalteten Händen und einem unschuldigen Blick nach schräg oben. An diesen Stil hat er sich bei seinen Spielerporträts auch gehalten: Die Hände spielen eine große Rolle und die Blicke gehen am Betrachter vorbei. Wenn alle Bilder im Tschutti-Heft kleben, scheinen die Spieler so miteinander zu kommunizieren. 

Bis ein solches Porträt fertig ist, braucht Heimann mehrere Arbeitsschritte. Erst sichtet er Fotos der Spieler, dann erstellt er eine Bleistiftzeichnung. Diese zieht er mit Tusche nach, fotografiert sie ab und lädt sie in ein Zeichenprogramm. Ab da wird digital weitergearbeitet, mit einem speziellen Stift auf einem Zeichenpad. Im Programm werden mehrere Ebenen hinzugefügt bis das Bild fertig ist. So hat Heimann die Spielerporträts, ein Porträt von Bundestrainer Jogi Löw und ein Selbstporträt gezeichnet - mit FC-Schal und Stift.

Manche Zeichnungen seien in wenigen Stunden fertig, sagt Heimann, aber bei anderen habe er sich auch schwerer getan. "Anfangs habe ich gedacht, Müller wäre am einfachsten. Aber er hat manchmal so übertriebene Mimiken, dass jeder Versuch, dies zeichnerisch umzusetzen, daneben geht. Das sieht dann immer so aus als hättest du dich vermalt." Sechs Versuche habe er allein für den Bayern-Stürmer gebraucht.

Tschutti Künstler - Diego Maradona, gezeichnet von Ronny Heimann
Diego Maradona, gezeichnet von Ronny HeimannBild: DW/S. Wünsch

Das Tauschgeschäft floriert

Jede Seite im Tschutti-Heft hat ein besonderes Erscheinungsbild, das auch niemand, der ernsthaft sammelt, unvollständig lassen würde. Und so gibt es auch unter der wachsenden Zahl von Tschutti-Sammlern Tauschbörsen, im Netz, privat - oder auch an einigen wenigen offiziellen Tausch- und Verkaufsstellen.

In einer Bonner Buchhandlung hat sich Sebastian, Mitte 30, gerade zehn Tütchen gekauft - mit jeweils zehn Bildern. Er sammelt mit seiner Frau zusammen. Seit vier Jahren sind sie dabei. "Man hat erstens das positive Gefühl, dass man was Gutes tut. Und zweitens sind in jedem Heft immer neue Künstler dabei, neue Gestaltungsarten. Es ist immer wieder interessant, auch Neues dort zu entdecken." Den beiden fehlen noch etwa 200 Bilder zum kompletten Album. Wenn es fertig ist, hat man 100 bis 150 Euro ausgegeben - nicht ganz wenig, aber auch nicht so viel wie ein Panini-Sammler. Ein komplettes Panini-Album kann schonmal bis zu 800 Euro kosten. Den finalen Preis kann man selbst beeinflussen: Einfach indem man oft und gut tauscht.

Ralf Sachen ist seit gut 25 Jahren Mitarbeiter der Buchhandlung und inzwischen Tschutti-Spezialist. Seine Hefte von 2012 und 2016 sind vollständig - und auch das aktuelle Album für 2018 ist bereits vollständig. Nicht von ungefähr. Denn Sachen veranstaltet in der Buchhandlung regelmäßig Tschutti-Tauschbörsen. "Um ein Heft vollzukriegen, ist man auf die Tauschbörsen schon angewiesen. Nur mit den Tütchen bekommt man das Heft nicht voll, es sei denn, man gibt sehr viel Geld aus und hat dann am Ende sehr viele doppelte Sticker übrig."

Tschutti Künstler - Das australische WM-Team im "Tschutti Heftli"
Schick, so eine vollständige Seite. Hier: AustralienBild: DW/S. Wünsch

Regelmäßig stellt Sachen in der Buchhandlung Biertischgarnituren auf, wo sich die Sammler treffen und ihre Bilder hin und herschieben. Es kommen immer um die 16 bis 18 Leute, auch aus einem weiteren Umkreis, nach Bonn. Oft sind es gar keine reinen Fußballfans, die da kommen. Sondern Leute, die allgemein gerne sammeln - und im Fall der Tschutti-Bilder auch noch Interesse an Kunst haben. Ein besonderes Bonbon im diesjährigen Heft sind elf Kinderzeichnungen - Jungen und Mädchen im Alter von 5 bis 13 haben ihre Lieblingsspieler gezeichnet. Einer der Kinderzeichner ist der 12-jährige Sohn eines professionellen Illustrators, der sich auch für das Heft beworben hatte - und nicht genommen wurde.

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Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online