Berlin verabschiedet sich von letzten DDR-S-Bahn-Modellen
12. November 2023Die Berliner nannten sie früher "Cola-Dosen": Jahrzehntelang ratterten die Züge der Baureihe 485 zuverlässig über die Gleise der Berliner S-Bahn. Jetzt werden die letzten 22 der alten Modelle ausgemustert - bestellt und gebaut in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).
An diesem Sonntag (12. November) werden die alten 485er zum letzten Mal durch die Stadt fahren. Deutschland modernisiert derzeit das gesamte Schienennetz der Deutschen Bahn, um den Zugverkehr effizienter zu gestalten und die Klimaziele zu erreichen. Die Modernisierung kommt in den Augen vieler leidgeprüfter Kunden der Deutschen Bahn, die sich über Unpünktlichkeit und Ausstattung der Bahn beklagen, zu spät. Zu oft erleben sie Verspätungen und Zugausfälle.
Als die Deutsche Reichsbahn in den 1970er-Jahren die ersten Züge in einem Werk in Hennigsdorf nordwestlich von Berlin bestellte, waren die "Cola-Dosen-Züge" auf dem neuesten Stand der Technik: Die in Ost-Berlin als Baureihe 270 (nach der Übersiedlung in den Westen in 485 umbenannt) zugelassenen Wagen hatten eine leichte Aluminiumhülle und ein hochmodernes Bremssystem, das nicht nur Energie zurückgewinnen, sondern auch Strom für den Antrieb des Zuges erzeugen konnte. Ende der 1980er-Jahre absolvierten die Modelle einige Testfahrten. Eine komplette Flotte war aber erst Anfang des Jahres 1990 einsatzbereit, als die Berliner Mauer gefallen und die deutsche Wiedervereinigung in vollem Gange war. Die frisch lackierten Wagen fuhren nicht nur im Ostteil Berlins, sondern im gesamten Stadtgebiet.
Seither hat die Flotte einige Veränderungen erfahren, darunter auch einen Stilwandel: Ab 2002 wich das leuchtende Karminrot der Wagen dem für die Berliner S-Bahn typischen Burgunderrot und Ocker. Doch abgesehen von den optischen Veränderungen hat sich die Baureihe 485 als bemerkenswert robust erwiesen. Ursprünglich wollte Berlin die Wagen schon früher ausmustern, doch dann wurde erst im vergangenen Jahr damit begonnen, sie durch die neuen Modelle 483 und 484 zu ersetzen.
DDR-Züge litten unter Konstruktionsmängeln
Die alten 485er haben wesentlich schwächere Motoren als die neuen Modelle und weisen einige Konstruktionsmängel auf, wie z.B. ein Lüftungssystem, das anfällig für Schneeflocken ist. Diese können durch die Schlitze rutschen und schmelzen, wodurch die Elektrik Schaden nehmen kann.
Neuere Züge nutzen separate Kanäle, um die Elektronik im Fahrwerk zu kühlen und vor Witterungseinflüssen zu schützen - außerdem sind sie meist barrierefrei. Das endgültige Aus für den 485er kam mit der Einführung eines ferngesteuerten Zugsicherungssystems, das die Geschwindigkeitsüberwachung sowie das Bremsen im Notfall erleichtert. Mit dem neuen System waren die alten Züge nicht kompatibel.
Auch ästhetisch war der 485er in die Jahre gekommen. Die klobige Form und die flachen Schrägscheiben im Führerstand lassen die Züge etwas altbacken wirken im Vergleich zur geschwungenen Hightech-Eleganz der neuen Baureihe 484, die von der Berliner S-Bahn mit einem "rasenden iPad" verglichen wird. "Die mit Klimaanlagen, modernen Anzeigen und Kameratechnik ausgestatteten Züge bieten unseren Fahrgästen mehr Komfort, Kapazität und Zuverlässigkeit", sagte Peter Buchner, Geschäftsführer der S-Bahn Berlin, bei der Bekanntgabe der Ausmusterung der Baureihe 485. "Nach 36 Dienstjahren können wir die Baureihe 485 in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden."
Offizielle Verabschiedung mit Sternfahrten
Für die Ausmusterung der letzten 485er hat sich das Unternehmen S-Bahn Berlin etwas besonderes einfallen lassen. So sollen am 12. November Züge dieses Modells so auf den früheren Stammlinien fahren, dass sich vier von ihnen stündlich zu "Rendezvous" am Bahnhof Schöneweide treffen. Nach diesen so genannten Sternfahrten sollen zunächst zwei Züge aus dem S-Bahnnetz genommen werden, während die anderen beiden als Sonderfahrten zur Haltestelle Beusselstraße weiterfahren. Erst danach treten auch sie ihre letzte Fahrt an zurück nach Schöneweide.
Deutsche Geschichte auf Schienen
Die Geschichte des Modells 485 ist eng mit der Entwicklung Deutschlands nach der Wiedervereinigung verbunden. Das ursprüngliche Werk, in dem die Züge gebaut wurden, trug den Namen Hans Beimlers, eines kommunistischen Politikers und Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus, der aus dem Konzentrationslager Dachau entkommen war und in der DDR als Held gefeiert wurde. Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde das Werk, das alles mögliche von elektrischen Zügen bis hin zu Haushaltsgeräten und Gartenmöbeln herstellte, aufgeteilt und verkauft. Die Zugsparte wurde vom deutschen Konzern AEG übernommen, bevor der kanadische Konzern Bombardier sie kaufte. Während dieser Phase wurden die meisten Beschäftigten des Werks entlassen.
Anlässlich der Ausmusterung der letzten 485-Modelle verkauft die Berliner S-Bahn mehrere hundert Sitze aus den Zügen und schenkt den dick gepolsterten Sitzen so ein zweites Leben. Nicht alle Wagen werden verschrottet. Berlin plant, einen Wagen der Baureihe 485 zu erhalten. Er wird dem Deutschen Technikmuseum geschenkt, das ihn in seine Dauerausstellung aufnehmen wird.
Adaption aus dem Englischen: Sabine Oelze