Italiens Krise köchelt weiter
18. Juli 2013Italien und Premier Enrico Letta (Artikelbild, siehe oben) erleben den nächsten Krisen-Sommer. Acht Millionen Italiener wollen wegen der Wirtschaftskrise auf den traditionellen Sommerurlaub im Juli oder August verzichten, berichtet die Zeitung "Corriere della Sera". Die Umfrage eines Unternehmerverbandes hatte ergeben, dass in diesem Sommer nur noch 58 Prozent der Italiener eine Reise machen werden, im letzten Jahr waren es noch 66 Prozent.
"Zuhause bleiben und sparen" heißt das Motto. Denn die Preise für Hotels, Pauschalreisen und Benzin sind seit Beginn der Krise im Jahr 2009 zwischen acht und 20 Prozent angestiegen.
Steigende Arbeitslosigkeit
Auf die Stimmung drückt nicht nur der abgesagte Urlaub, sondern auch die aktuelle Wachstumsprognose der OECD, einer Vereinigung von 34 Industriestaaten mit Sitz in Paris. Am Dienstag (17.07.2013) gab sie bekannt, dass die Arbeitslosigkeit in vielen europäischen Krisenländern im kommenden Jahr zunehmen wird. In Italien soll sie dann bei 12,5 Prozent liegen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist mehr als doppelt so hoch.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington hatte in der vergangenen Woche bereits seine Vorhersage für Italien für dieses Jahr nach unten korrigiert, Die Wirtschaft soll laut IWF um 1,8 Prozent schrumpfen statt um die bisher angenommenen 1,5 Prozent. Andererseits sieht der IWF im nächsten Jahr eine Erholung für Italien, dann soll die Wirtschaft wieder um 0,7 Prozent wachsen. "Die Talsohle wird 2014 erreicht und dann könnte es wieder aufwärts gehen", hofft auch Norbert Pudzich, Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand.
"Die Krise ist noch da"
Weniger optimistisch ist die Rating-Agentur Standard and Poor's, die Italien in der vergangenen Woche mit einer Abwertung der Kreditwürdigkeit in die Sommerferien geschickt hat. Die Renditen, die Finanzminister Fabrizio Saccomanni für 10 Jahre laufende Staatsanleihen zahlen muss, ziehen an. Sie liegen derzeit bei 4,5 Prozent, fast ein Prozent höher als noch im Mai. Dank der Zusage der Europäischen Zentralbank (EZB) im Notfall Anleihen zu kaufen, sind die Kosten für neue Staatsschulden jedoch viel geringer als noch vor einem Jahr.
Die Krise sei aber nicht überwunden, warnt Norbert Pudzich von der deutsch-italienischen Handelskammer. "Die Krise ist da, so lange die substanziellen Veränderungen nicht in Angriff genommen werden", sagt Norbert Pudzich im Interview mit der Deutschen Welle und mahnt Reformen an. "Das eine ist die Krise, nüchtern in Zahlen betrachtet, das andere ist die Wahrnehmung und Bewertung der Krise." Die Finanzmärkte würden sich im Moment noch zurückhalten.
Die Spekulationen gegen Italien könnten aber zunehmen, warnt die Rating-Agentur Standard and Poor's in ihrem jüngsten Urteil. Italiens Premierminister Enrico Letta räumte denn auch in italienischen Medien ein, dass sein Land - immerhin die drittgrößte Volkswirtschaft in der Euro-Zone - unter "Sonderbeobachtung" stehe.
Monti warnt vor Schlendrian
Nach zwei Monaten im Amt kommt die große Koalition in Italien aus den Linken um Premier Letta, den Rechten um Silvio Berlusconi und dem Wirtschaftsprofessor Mario Monti, langsam in der Realität an. Der Druck habe auch sein Gutes, glaubt Norbert Pudzich von der Handelskammer in Mailand. "Das wird sich positiv auswirken. Das wird die Atmosphäre im Parlament sicher versachlichen und letztlich zu einem Reformprozess führen, der wahrscheinlich nicht das Tempo haben wird, das sich externe Kreise wünschen. Langfristig wird sich die Situation hier verbessern."
Der ehemalige Ministerpräsident Mario Monti, der mit einer kleinen wirtschaftliberalen Partei zur großen Regierungskoalition gehört, hat in einem Interview mit der Zeitung "Handelsblatt" vor einem Rückfall in alten Schlendrian gewarnt. "Es darf keinen Schritt zurück geben", sagte Monti.
Aufgeschobene Reformen
Der neue Finanzminister Fabrizio Saccomanni hat gelobt, die Steuern nicht zu erhöhen und gleichzeitig mehr Geld zur Stimulierung der Wirtschaft auszugeben. Wie genau er das machen will, wird er wohl erst nach der Sommerpause verraten.
Bis dahin hat die Regierung Letta eine bereits beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer verschoben und die umstrittene Grundsteuer auf selbst bewohnte Immobilien ausgesetzt. Saccomanni kündigte beim letzten Treffen mit den EU-Finanzministern vor der Sommerpause an: "Wir bereiten die mögliche Wiedereinführung der Grundsteuer für das Jahr 2014 vor." Konkrete Entscheidungen schiebt die Regierung vor sich her.
"Zu viel Bürokratie und zu hohe Steuern"
Die Probleme in Italien bestehen nicht erst seit der aktuellen Wirtschaftskrise. "Wir haben hier einen Bürokratieüberhang", sagt Norbert Pudzich. "Wir haben hier insbesondere auf der regionalen und lokalen Ebene eine öffentliche Verwaltung, die nicht immer wirklich gut funktioniert. Da sind Klarstellungen und Vorgaben von der Regierung in Rom erforderlich." Außerdem beklagt er, dass die Steuerlasten für die Unternehmen zu hoch sind. Das Steuersystem in Italien sei zudem sehr kompliziert und wenig transparent. "Auch wenn man wirklich alles richtig machen will, kann man als Unternehmen nie sicher sein, ob man alle Vorgaben erfüllt."
Sowohl der Staat als auch Unternehmen haben in Italien eine laxe Zahlungsmoral. Sie zahlen ihre Rechnungen nur mit großen Verzögerungen. Zumindest das will Finanzminister Saccomanni jetzt angehen. Er kündigte an, dass der Staat offene Rechnungen zügig begleichen will. Das soll Geld in die Unternehmen und den Wirtschaftskreislauf spülen und so für mehr Nachfrage sorgen.
Optimismus in Brüssel
Die Europäische Kommission hat Italien aus dem Defizitverfahren entlassen. In Brüssel rechnet EU-Währungskommissar Olli Rehn damit, dass Italien in diesem Jahr seine Neuverschuldung unter die magische Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) drücken kann. Auch im nächsten Jahr soll das gelingen.
Die Gesamtverschuldung steigt trotzdem weiter an und nähert sich 130 Prozent des BIP. Der durchschnittliche Wert in der Euro-Zone liegt bei 90 Prozent. Zulässig sind nach den europäischen Verträgen eigentlich nur 60 Prozent. Auf die Frage, ob die EU-Kommission von Italien neue Sparmaßnahen verlangen werde, falls die Neuverschuldung doch stärker ansteigt, sagte ein Sprecher vor der Sommerpause in Brüssel nur knapp: "Davon ist mir nichts bekannt."