Tränen der Freude
29. April 2013
Schon am frühen Morgen saß ich in meinem kleinen Hotelzimmer und verfolgte die Berichterstattung der lokalen Fernseh- und Radiostationen über Nelson Mandelas geplante Freilassung. Als ich mit der Deutschen Welle Kontakt aufnahm, sagt mir der damalige Leiter des Englischen Programms, Dieter Brauer: "Holen Sie so viele O-Töne, wie Sie nur können, von Mandela und Stimmen aus der Bevölkerung!" Zusammen mit anderen Journalisten sprang ich ins Auto und fuhr zum 15 Kilometer entfernten Gefängnis.
Aus einer gewissen Entfernung beobachtete ich, wie Mandela, Hand in Hand mit seiner Frau Winnie Madikizela-Mandela, durch das Gefängnistor schritt. Er erhob seine rechte Hand in die Luft zum Gruß. Er strahlte, während die Menschen um mich herum in Tränen ausbrachen. Einige schrien vor Freude und fingen an zu tanzen. Als ich Mandela so daherschreiten sah, schnürte es mir den Hals zu.
Moralische Stütze
Mandela war für mich immer eine Quelle der Inspiration gewesen. Von 1980 bis 1983 hatte mir das Apartheid-Regime verboten, als Journalist zu arbeiten. Meine Berichte für die Deutsche Welle hatten dem Regime nicht gefallen, man betrachtete mich als "Bedrohung der Staatssicherheit". Dieter Brauer, der mich neun Jahre zuvor in meiner Heimatstadt Durban besucht hatte, gab mir die moralische Unterstützung, die ich brauchte, um trotz des Verbots weiter zu arbeiten.
Einige bekannte Mitglieder der Vereinten Demokratischen Front, des internen Flügels des Afrikanischen Nationalkongresses ANC hatten am Gefängnistor gewartet, um Mandela in Empfang zu nehmen. Sie sagten uns Journalisten, wir sollten uns im Zentrum von Kapstadt versammeln, wo Mandela eine öffentliche Rede halten würde. Als wir dort ankamen, bot sich ein Anblick, den ich bis zu meinem Lebensende in Erinnerung behalten werde: Zehntausende Menschen, gehüllt in die Farben des ANC, gelb, schwarz und grün, sangen Freiheitslieder und riefen: "Amandla Awethu" - "Die Macht gehört uns". Ich musste meine Gefühle zurückstellen, um Interviews machen und die freudige Stimmung der Menschen festhalten zu können.
Mandelas erste Worte gehen um die Welt
Als Mandela eintraf und die Bühne bestieg, erschall ein gewaltiges Raunen aus der versammelten Menge. Ein strahlender und lächelnder Mandela streckte seine Faust in die Luft und rief: "Amandla, Amandla - Macht, Macht." Zehntausende schrien seine Worte mit Nachdruck zurück.
Ich drängelte mich durch die Menschenmenge, um zur Bühne zu gelangen, und platzierte meinen Kassettenrekorder in der Nähe eines Mikrofons, um die ersten Worte aufzunehmen, die Mandela nach über 27 Jahren an die Südafrikaner richtete: "Ich stehe hier vor euch - nicht als Prophet, sondern als ergebener Diener, als Diener des Volkes. Eure unablässigen heldenhaften Opfer haben es mir ermöglicht, heute hier zu sein. Deshalb lege ich die verbleibenden Jahre meines Lebens in eure Hände."
Es war für mich die größte Freude und Ehre, dieses Erlebnis an die Hörer der Deutschen Welle rund um die Welt weiterzugeben.