Träger der Goethe-Medaille in Haft
20. Juni 2012
Der kasachische Theatermann Bolat Atabayev (60) hat schon als junger Mensch Zugang zur deutschsprachigen Kultur erhalten und sogar ein deutsches Theater in Kasachstan mitgegründet. Inzwischen betreibt er auch eine eigene Bühne. Atabayev steht für unkonventionelle Bühnenarbeit – und sagt, was er denkt. Das, so scheint es, wurde ihm zum Verhängnis: Er sitzt in Untersuchungshaft. Am 28. August soll er in Weimar die Goethe-Medaille erhalten, einen offiziellen Orden der Bundesrepublik. Denn er hat sich besonders um den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht. Für das Goethe-Institut Almaty zählt er zu den wichtigsten Partnern im Kulturdialog. Ein Gespräch mit Institutsleiterin Barbara Fraenkel-Thonet.
Deutsche Welle: Dass Bolat Atabayev verhaftet wurde, löst auch in Deutschland Bestürzung aus. Wissen Sie genau, was ihm vorgeworfen wird?
Barbara Fraenkel-Thonet: Es gibt den Paragraphen 164 nach kasachischem Gesetz: Anstiftung zu sozialer Unruhe. Das wird ihm vorgeworfen. Aber das Ganze ist recht unklar. Herr Atabayev hat sich von Anfang an für die Ölarbeiter im Westen Kasachstans eingesetzt, die seit Mai letzten Jahres gestreikt haben. Er war zweimal dort und hat mit ihnen gesprochen, aber nichts getan, was zu irgendeiner Form von sozialer Unruhe geführt hätte. Nichts, was wir unter einer strafbaren Handlung verstehen würden. Er stand schon länger unter Beobachtung, er wurde sechsmal insgesamt, jeweils mehrere Stunden lang, vom Geheimdienst KNB verhört.
Was wissen Sie über seine Verhaftung?
Er ist in Almaty verhaftet worden. Die Nachbarn haben gesehen, wie er geschlagen und getreten wurde. Das hat mich entsetzt. Er ist ein Mensch mit einer starken Ausstrahlung. Hier im Lande wird er richtig verehrt. Meine Kollegen vom Goethe-Institut oder andere Leute, die ihn ansprechen, benutzen immer das Wort „Aga“, das ist so etwas wie eine Respektserweisung. Dass man einen solchen Menschen schlägt, finde ich absolut schockierend.
Bolat Atabayev hat sich ja nicht nur politisch geäußert, sondern auch künstlerisch. Wurden ihm auch künstlerische Aktionen – etwa an seinem Theater – vorgeworfen?
Ich weiß nicht, ob ihm das vorgeworfen wurde, aber es wurde ihm zuletzt unmöglich gemacht, zu arbeiten. Wir hatten Besuch von der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta-Däubler Gmelin auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Daher wollten wir eine Aufführung seines letzten Stücks "Lawinia" organisieren, aber Atabayevs Theater bekam keine Genehmigung zur Aufführung mehr. So wichen wir auf eine Studentenbühne aus. Zur letzten Aufführung, die ich gesehen habe, hat er mich quasi konspirativ eingeladen. Er rief am gleichen Tag an und fragte, ob ich kommen könnte, er dürfe keine Aushänge mehr machen, keine Werbung, gar nichts mehr.
Ist er denn mit seinen Theaterarbeiten politisch angeeckt?
Er ist sehr geradlinig und er sagt immer, was er denkt, schon seit vielen Jahren. Aber es gab noch keine gravierenden Vorwürfe gegen ihn. Das Kulturministerium hat ihm einmal die Zuwendungen gekürzt, dann bekam er sie wieder. Das ging hin und her. Aber er war nie mit ernsthaften Schwierigkeiten konfrontiert, bis die Vorfälle um den Streik der Erdöl-Arbeiter begannen.
Nun soll Atabayev im August die Goethe-Medaille erhalten - natürlich nicht nur, weil er politisch aktiv ist, sondern weil er künstlerisch und kulturell eine wichtige Figur ist für Kasachstan und Deutschland. Was hat er denn für die Beziehungen zwischen beiden Ländern getan?
Seit seinen Kinderzeiten war er der deutschen Kultur sehr verbunden. Das liegt nicht daran, dass er deutschen Ursprungs wäre. Er ist in einer Nachbarschaft aufgewachsen, wo viele deutschstämmige Familien lebten. Eine deutschsprachige "Omi" hat nach den Kindern geschaut und gekocht. Er erzählte mir auch, dass seine erste Liebe ein deutsches Mädchen war. Später war er Mitbegründer des Deutschen Theaters in Temirtau in Nordkasachstan. Er kam als Student nach Leipzig, war später in München und hat in Mülheim an der Ruhr mit dem Regisseur Roberto Ciulli gearbeitet. Als künstlerischer Leiter des Deutschen Theaters Almaty brachte er deutsche Werke und Regisseure nach Kasachstan, beschäftigte sich mit Brecht …Und er hat sich selbst in Deutschland sehr um "seine" deutschsprachigen Schauspieler gekümmert, die Kasachstan verlassen hatten. Er hat versucht, ihre Lebensläufe zu verfolgen, hat immer Anteil daran genommen Er schrieb und inszenierte ein Theaterstück, das diese Migrationssituation thematisierte und baute somit eine Brücke zwischen beiden Welten.
Man denkt ja, dass eine Auszeichnung wie die Goethe-Medaille den Geehrten Prominenz verschafft – und damit einen gewissen Schutz vor Repressionen. Hat das keinen Einfluss auf das Verhalten der kasachischen Behörden?
Das ist schwer einzuschätzen. Während die anderen Mitstreiter schon längst verhaftet wurden, erfolgte seine Verhaftung erst spät. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass die deutsche Öffentlichkeit ein Augenmerk auf ihn hat. Wir haben im Februar im Theater eine Feier für Bolat organisiert zur Verkündigung der Verleihung der Goethe-Medaille. Der Geheimdienst KNB ist mit einer Vorladung für den nächsten Tag hineingeplatzt, um ihn zu ärgern. Das hat aber nicht gefruchtet, weil Atabayev vollkommen furchtlos ist. Er hielt einfach nur das Papier in die Höhe und sagte: "Der KNB möchte mir den Abend versauen, aber den lasse ich mir nicht verderben!"
Was erwarten Sie: Wird er die Goethe-Medaille am 28. August in Weimar persönlich entgegennehmen können?
Ich bin vollkommen überzeugt, dass er freigesprochen werden wird. Wir werden uns dafür einsetzen, dass er wirklich reisen kann. Im Moment ist seine Haft bis zum 23. Juli angesetzt. Allerdings gab es andere Verhaftete in diesem Zusammenhang, deren Untersuchungshaft immer wieder verlängert wurde. Sicherheit hat man nicht. Aber ich bin überzeugt, dass das Ganze sich sehr bald auflösen wird. Es ist ihm schlicht nichts vorzuwerfen - außer dass er eben sehr direkt und offen seine Meinung sagt.
Barbara Fraenkel-Thonet ist Leiterin des Goethe-Instituts in Almaty, Kasachstan.