Trumps Sieg: Schwarzer Tag oder Chance für die Ukraine?
7. November 2024"Trump hat versprochen, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Deshalb hat unsere Kompanie ehrgeizige Pläne fürs Wochenende", schreibt der Journalist Pawlo Kasarin, zurzeit Soldat der Streitkräfte der Ukraine, scherzhaft auf Facebook. Als klar war, dass der Republikaner Donald Trump die Präsidentschaftswahlen in den USA gewonnen hat, kursierten in ukrainischen sozialen Netzwerken viele solcher Scherze und Memes.
Manche Posts sprachen von einem "schwarzen Tag für die Ukraine". "Die Welt ist wieder einmal in die falsche Richtung abgebogen", schreibt der Banker Serhij Fursa, stellvertretender Direktor von Dragon Capital, einer ukrainische Unternehmensgruppe im Bereich Investment- und Finanzdienstleistungen. Er meint, Wladimir Putin, Viktor Orban und Elon Musk würden jetzt feiern.
Andere Posts versichern, man könne mit jeder US-Regierung zusammenarbeiten. Einige Ukrainer vergleichen Trumps Wahlsieg mit dem von Präsident Wolodymyr Selenskyj und seiner Partei "Diener des Volkes" im Jahr 2019, die allein eine Mehrheit im ukrainischen Parlament stellt.
Selenskyj gratuliert Trump
Präsident Selenskyj war einer der ersten, die Donald Trump zu dessen Wahlsieg gratulierten. Er tat dies nicht auf Telegram, wo er meist seine Erklärungen postet, sondern nutzte das soziale Netzwerk X, das dem Trump-Unterstützer Elon Musk gehört.
"Ich denke an unser wunderbares Treffen mit Präsident Trump im September, bei dem wir ausführlich über die strategische Partnerschaft zwischen der Ukraine und den USA, den Siegesplan und Wege zur Beendigung der russischen Aggression gegen die Ukraine gesprochen haben. Ich schätze, dass Präsident Trump für den Ansatz 'Frieden durch Stärke' in globalen Angelegenheiten eintritt. Gerade dieses Prinzip kann einen gerechten Frieden in der Ukraine wirklich näherbringen. Ich hoffe, dass wir es gemeinsam umsetzen", schrieb Selenskyj und nannte Trumps Wahlsieg "beeindruckend".
Außenminister Andrij Sybiha äußerte die Hoffnung, dass Kiew und Washington zusammenarbeiten werden, um die ukrainisch-amerikanische strategische Partnerschaft zu stärken und einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden zu erreichen.
Auch der frühere Präsident Petro Poroschenko, heute Führer der Oppositionsfraktion "Europäische Solidarität", gratulierte Trump. Er hoffe, dass es unter dessen Präsidentschaft gelingen werde, "dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die gesamte freie Welt ein Ende zu setzen".
Hoffnung auf Langstreckenwaffen
Oleksandr Krajew vom Analysezentrum "Ukrainian Prism", das auf Außenpolitik und internationale Sicherheit spezialisiert ist, meint, mit Frieden sei in der Ukraine nicht so schnell zu rechnen, wie Trump es im Wahlkampf versprochen habe. Trump werde zunächst andere Probleme als die Ukraine haben. Daher sollte Kiew das Zeitfenster bis Trumps Amtsantritt nutzen, eigene Interessen voranzutreiben, insbesondere, was die Erlaubnis des Einsatzes westlicher Langstreckenwaffen gegen militärische Ziele in Russland angeht.
"Trump wird sich nicht gleich mit Außenpolitik befassen, denn er muss erst den Kongress ausloten, sich auf ein Kabinett einigen und viele innere Reformen angehen", sagt Krajew der DW. Solange Joe Biden noch Präsident sei, solle Kiew diesem signalisieren, wenigstens jetzt mutiger zu sein und schwierige Entscheidungen zu treffen, auf die die Ukraine warte.
Der USA-Experte glaubt, dass Trump diesen Weg später fortführen könnte, sollte Kiew Bereitschaft zu Friedensverhandlungen zeigen, aber Moskau auf seinen Forderungen gegenüber der Ukraine beharren. "Trumps Rückkehr ist für die Ukraine keine Katastrophe und keine Apokalypse, aber es gibt Risiken, weil man bei Trump nie sicher sein kann, welche Ergebnisse man erzielt, weshalb viel Arbeit vor der Ukraine liegt", betont Krajew.
Kommt es zu Friedensverhandlungen?
Viele Beobachter in der Ukraine schließen nicht aus, dass Trump und sein Team nach der Rückkehr ins Weiße Haus sowohl die ukrainische als auch die russische Seite mit verschiedenen Hebeln zu einem Friedensschluss zwingen könnten. Damit rechnet Petro Burkowskyj von der Ilko-Kutscheriw-Stiftung "Demokratische Initiativen". Im Gespräch mit der DW weist der Experte für internationale Politik darauf hin, dass mit Trumps Wahlsieg die Unsicherheit über die Ukraine-Politik der USA zugenommen hat. Burkowskyj geht davon aus, dass man Kiew zu Friedensverhandlungen drängen wird.
"Wenn Trumps Team unter den jetzigen Gegebenheiten den Plan vorschlägt, die Frontlinie als neue Grenze der Ukraine festzulegen, und Argumente findet, um Russland zu zwingen, dem zuzustimmen, dann werden wir diese Bedingungen hinnehmen müssen. Ein anderes Szenario wäre, sollte es Trumps Team nicht gelingen, Russland zur Beendigung des Krieges zu zwingen, dann könnte die Ukraine alle Mittel bekommen, den Krieg fortzusetzen und Russland zu besiegen. Denn das Letzte, was Trump will, ist, in der Außenpolitik schwach auszusehen", glaubt Burkowskyj.
Der Politologe Wolodymyr Fesenko meint, die US-Wahlen hätten in einer politischen Eskalation und Krise enden können, was ein Ende der Militärhilfe für Kiew bedeutet hätte. Und ein Wahlsieg der Demokratin Kamala Harris hätte dazu geführt, dass sich im republikanisch kontrollierten Kongress die Situation wiederholt hätte, als die Ukraine-Hilfe aufgrund einer politischen Konfrontation sechs Monate lang blockiert war. "Dieses Risiko besteht jetzt nicht. Aber Trump wird definitiv Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland initiieren und während seiner Präsidentschaft könnten die Gespräche über eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine blockiert werden, was ein Geschenk an Putin wäre", so Fesenko.
Kiew muss sich um Hilfe bemühen
Ukrainische Politiker aus verschiedenen Lagern sind sich einig, dass sich Kiew noch viel wird bemühen müssen, um die USA in dem von Russland entfesselten Krieg auf der Seite der Ukraine zu halten. "Trump glaubt, wie einst Selenskyj, dass er Putin in die Augen schauen und alle Probleme lösen wird. Davon ist auch ein Teil seiner Wähler überzeugt. Aber letztendlich werden die ukrainischen Soldaten über das Schicksal der Welt entscheiden müssen", schreibt auf Facebook Mykola Knjaschyzkyj von der Oppositionsfraktion "Europäische Solidarität".
Jaroslaw Jurtschyschyn von der Fraktion "Holos" (Stimme) warnt, Kiew sollte während Trumps Präsidentschaft nicht glauben, dass der Ukraine automatisch geholfen wird. Positiv sei jetzt, dass es keine Verzögerung bei der Bekanntgabe der Wahlergebnisse gebe, was sich bei einem Sieg von Kamala Harris hätte hinziehen können. Dies hätte Putin Zeit verschafft. "Aber jetzt wird man ihn in Verhandlungen drängen, unter für ihn ungünstigen Bedingungen", schreibt Jurtschyschyn auf Facebook und betont zugleich, dass diese auch für Kiew noch nicht ideal seien, weshalb die Ukraine vorsichtig sein müsse.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk