Trotz Fukushima – Asien setzt auf Atomenergie
7. März 2013Von einem globalen Abschied von der Atomenergie kann auch nach Fukushima nicht die Rede sein. Immer noch ist die Atomkraft aus Sicht vieler Regierungen ein unentbehrlicher Bestandteil im Energiemix. Dies gilt speziell für Asien: Ende 2012 waren 68 Reaktoren in 14 Ländern in Bau, davon 44 in Asien. Weiterhin sind etwa 110 Reaktoren weltweit in verschiedenen Stadien der Planung, etwa die Hälfte in China und Indien. China und Indien wollen den Anteil der Atomkraft bei ihrer Stromerzeugung in den nächsten zehn bis 15 Jahren auf vier beziehungsweise neun Prozent steigern.
Davon profitiert auch die deutsche Areva GmbH, Tochtergesellschaft des französischen Areva-Konzerns und einer der führenden Anbieter von ziviler Nukleartechnologie. Sprecher Stefan Pursche gegenüber der Deutschen Welle: "Areva baut derzeit vier Kraftwerke neu, eins in Frankreich, eins in Finnland, und zwei in China. Der asiatische Markt hat eine besondere Bedeutung wegen der stärksten Zuwachsraten. Die IEA geht davon aus, dass der Stromverbrauch weltweit bis 2035 um 70 Prozent steigen wird, diese Zunahme wird zu über der Hälfte auf China und Indien entfallen." An diesem "riesigen Markt" wolle Areva teilhaben, "allerdings nicht nur im Bereich Kernenergie, sondern auch bei den Erneuerbaren", betont Pursche.
China geht voran
Gerade China baut erneuerbare Energiequellen massiv aus, es ist schon jetzt der größte Produzent von Windstrom. Der Regierung in Peking geht es vor allem darum, die Abhängigkeit von der klima- und gesundheitsschädlichen Kohleverbrennung zu verringern. Eine Mammutaufgabe, denn Chinas Energiegewinnung aus Kohle wird trotz aller Anstrengungen fast so stark zunehmen wie die aus Wind-, Wasser- und Atomkraft zusammengenommen.
Wie Zhou Zhiwei vom Institut für Nukleartechnologie an der Pekinger Qinghua-Universität im Gespräch mit der Deutschen Welle erläutert, hat der Ausbau der Atomenergie für die chinesische Regierung "strategische Bedeutung." Eine signifikante Reduzierung des CO-2-Ausstoßes lasse sich aus Sicht chinesischer Politiker und Wissenschaftler ohne Ausbau der Atomenergie nicht erreichen, so Zhou. Bis 2020 werde China beim jetzigen Ausbautempo 60-70 Gigawatt Atomstromleistung erreichen, fast so viel wie derzeit in Frankreich installiert seien. Der Ausbau der Wasserkraft stoße bereits an natürliche und politische Grenzen, letzteres wegen potentieller Konflikte mit Nachbarländern.
Indische Widerstände
Auch Chinas Nachbarland Indien setzt auf den Ausbau der Atomenergie. Seit 2010 laufen Verhandlungen mit Frankreich über den Bau von sechs modernen Druckwasser-Reaktoren vom Typ EPR im westindischen Maharashtra durch den Nuklearkonzern Areva. Der EPR gilt zusammen mit dem Modell AP 1000 des US-Herstellers Westinghouse, der derzeit in China gebaut wird, als das Maß aller Dinge in punkto Sicherheit – jedenfalls aus Sicht der Ingenieure.
Dennoch sind in Indien sind breite Kreise der Bevölkerung beunruhigt. Widerstand gibt es nicht nur gegen das mit russischer Technik gebaute AKW Kudankulam in Tamil Nadu, sondern auch gegen das Projekt Jaitapur in Maharashtra, wie Karuna Raina von Greenpeace Indien gegenüber der Deutschen Welle berichtet: "Kurz bevor der französische Präsident Hollande Mitte Februar nach Indien kam, erhöhte die indische Regierung die Entschädigungssumme, die sie den Bauern für das für den Kraftwerksbau benötigte Land anbieten will. Aber die Bauern lehnten den angebotenen Betrag rundweg ab, obwohl er weit über dem Marktpreis lag. Der Grund ist, dass sie ganz klar gegen den Bau von Kernkraftwerken in dieser Region sind."
Langer Atem der Atomplaner
Ob die Ablehnung durch die lokale Bevölkerung die indischen Atompläne langfristig beeinflussen wird, ist zweifelhaft. Der indische Sicherheitsexperte Uday Bhaskar geht davon aus, dass die innenpolitischen Widerstände gegen die Pläne zum Ausbau der Atomenergie letzten Endes überwunden werden. Eine "ausgewogene Steigerung des Kernkraftanteils" sei nötig, denn Indien brauche Energie "aus allen verfügbaren Quellen", so Bhaskar gegenüber der Deutschen Welle.
Verzögerungen könnten sich jedoch aus Indiens singulärem nuklearen Haftungsgesetz ergeben. "Theoretisch kann jede Einzelperson im Falle eines Schadens durch ein Atomkraftwerk den Hersteller vor einem indischen Gericht verklagen", erläutert Karuna Raina. "Die Details sind derzeit in einem parlamentarischen Verfahren. Präsident Hollande sagte, man werde sich an die Gesetze des Landes halten. Aber bei den konkreten Vertragsverhandlungen wird es genügend Spielraum geben, um einen Deal zustande zu bringen", vermutet die Greenpeace-Aktivistin.
Japans Wende lässt auf sich warten
In Japan hat die Kernschmelze dreier Reaktoren im Komplex Fukushima und die Freisetzung von Radioaktivität im Umfang von etwa einem Fünftel des Tschernobyl-Unglücks bislang nicht zum dauerhaften Abschied von der Atomenergie geführt. Die neue Regierung unter Shinzo Abe von der "Atompartei" LDP hat dem von der Vorgängerregierung verkündeten Ausstieg eine Absage erteilt. Der Atomausstieg lasse sich nicht "per Wunschdenken" bewerkstelligen, stellte Abe fest.
Zurzeit sind in Japan nur zwei von insgesamt 50 Reaktoren am Netz. Wie es mit den andern 48 weitergeht, ist offen. Pläne für den Neubau von Reaktoren sind ebenfalls noch nicht vom Tisch. Die japanischen Importe von fossilen Brennstoffen zur Stromerzeugung haben unterdessen zu einem Rekord-Handelsdefizit geführt, Argumentationshilfe für die Befürworter eines Relaunchs der Atomenergie.
Zwar sind die Sicherheitsanforderungen der neuen, vom Wirtschaftsministerium jetzt unabhängigen japanischen Atomkontrollbehörde NRA strenger als bisher. Sie könnten beispielsweise zum endgültigen Aus für solche AKWs führen, die sich auf "aktiven Erdbebenspalten" befinden. Letzteres ist allerdings Definitionssache. Beobachter und Kritiker der Kernenergie in Japan befürchten, dass es letztlich zu Ausnahmeregelungen und Kompromissen zwischen Kontrollbehörde und Atomindustrie kommen wird.
Südostasien – El Dorado für die Atomindustrie?
Selbst wenn im Inland keine Aufträge mehr locken, gibt es in der Nachbarschaft genügend Interesse an japanischer Atomtechnologie. Vietnam plant bis 2020 die Inbetriebnahme seines ersten Atomreaktors, mindestens acht weitere sollen bis 2030 folgen. Russland und Japan haben bereits Verträge zum Bau der ersten Reaktoren unterzeichnet, Japans halbstaatliches Atominstitut JAEA ist seit über zehn Jahren an der Ausbildung von vietnamesischem Fachpersonal beteiligt.
Die vietnamesischen Pläne werden sogar von einem Kernkraftbefürworter wie dem Atomexperten und Regierungsberater Hien Pham Duy kritisch gesehen. Den Atomplänen der Regierung mangele es an einer "rigorosen Analyse der immanenten Gefahren der Kernkraft, insbesondere in weniger entwickelten Ländern wie Vietnam." Eine "schlechte Sicherheitskultur" sei kennzeichnend für "alle Aktivitäten im Lande", warnte Hien Pham Duy gegenüber der "New York Times."
Auch Indonesien setzt auf Kernkraft, um den wachsenden Strombedarf des Landes zu befriedigen. Vier AKWs von jeweils einem Gigawatt Leistung sollen bis 2015 am Netz sein. Kritik wegen mangelnder Sicherheitsstandards weist Ferhat Aziz, Sprecher der Atombehörde BATAN, zurück. Schließlich hätten auch die meisten anderen Länder ihr Atomprogramm nicht erst begonnen, nachdem sie die Technologie zu 100 Prozent beherrscht hätten. "Außer vielleicht die USA, aber Frankreich hat sein Wissen teilweise von den USA, das gilt auch für Deutschland, Japan und Korea. Deshalb ist es kein Fehler, wenn wir auch so anfangen. Ich bin überzeugt, dass die indonesischen Wissenschaftler genug Wissen und Erfahrung haben."
Indonesien entdeckt allmählich auch seine Erdwärme-Ressourcen, die von der deutschen KfW Entwicklungsbank auf 27 Gigawatt geschätzt werden. Erste Projekte zum Bau von Geothermie-Kraftwerken in Aceh und Sulawesi sind laut KfW in guter Vorbereitung.