Tribunal gegen Journalistenmorde
4. November 2021Alle sieben Tage wird weltweit ein Journalist wegen seiner Arbeit getötet. 2020 waren es laut der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) insgesamt 50. In vielen Ländern der Welt leben Journalisten mit dem Risiko, ermordet zu werden. Zur Gefährlichkeit ihrer Arbeit kommt aber oft die Straflosigkeit der Täter hinzu. In den vergangenen zehn Jahren wurde in 81 Prozent der weltweiten Mordfälle an Journalisten niemand zur Rechenschaft gezogen, so die Nichtregierungsorganisation Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ).
Beide Organisationen haben zusammen mit der niederländischen NGO Free Press Unlimited (FPU) in der niederländischen Stadt Den Haag am Welttag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Medienschaffenden ein sogenanntes Völkertribunal eingerichtet. Ort und Name sind dabei nicht zufällig gewählt. Den Haag ist der Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs. Und als Namenspatron diente das "Permanente Völkertribunal", eine zivilgesellschaftliche Institution, die 1979 in Bologna gegründet wurde und sich seitdem auf die Aufarbeitung und Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen weltweit beschäftigt.
Kein Tribunal im völkerrechtlichen Sinne
In Den Haag will das neu eingerichtete Völkertribunal mit Hilfe von Recherchen und juristischer Expertise Staatsregierungen zur Rechenschaft ziehen, die Verbrechen an Journalisten nicht aufarbeiten und ahnden, so Reporter ohne Grenzen.
"Das weltweite Problem, das wir gemeinsam ansprechen wollen, ist die Straflosigkeit von Morden an Journalisten", betont der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Deutschland, Christian Mihr, im Gespräch mit der DW. Natürlich sei dieses Tribunal kein Strafgerichtshof im völkerrechtlichen Sinne, sondern diene in erster Linie der Sensibilisierung der Öffentlichkeit, so Mihr.
Die Initiative soll aber auch Druck auf die entsprechenden Regierungen ausüben, die beim Thema Straflosigkeit bei Morden an Journalisten auf dem jährlich aktualisierten Index des CPJ ganz oben stehen: Somalia, Syrien, Irak, Süd-Sudan, Afghanistan, Mexiko, Philippinen, Brasilien, Pakistan, Bangladesch und Russland.
Der symbolische Gerichtshof in Den Haag will exemplarisch drei konkrete Fälle aus Sri Lanka, Mexiko und Syrien behandeln: Die Morde an Lasantha Wickrematunge (2009), Miguel Ángel López Velasco (2011) und Nabil Al-Sharbaji (2015).
Es sind nur drei Namen, die den allmeisten Menschen sicher unbekannt sind. Jedoch verbirgt sich hinter jedem dieser Namen ein Schicksal und ein unaufgeklärter Mord. Zum Beispiel der an dem mexikanischen Journalisten Miguel Ángel López Velasco.
López Velasco war ein Kolumnist der Zeitung Notiver im mexikanischen Bundesstaat Veracruz. Er schrieb über das organisierte Verbrechen, Frauenmorde und Korruption. Am frühen Morgen des 20. Juni 2011 drang ein Killerkommando in sein Haus ein. Mit über 400 Kugeln aus Schnellfeuergewehren wurden López Velasco, seine Frau und sein 21-jähriger Sohn getötet. Die Täter wurden nie vor Gericht gestellt.
UN- Sonderbeauftragter für den Schutz von Journalisten?
Ein anderer unerwarteter Adressat dieser Aktion sind aber auch die Vereinten Nationen, erklärt Christian Mihr. Seit mehreren Jahren setzt sich Reporter ohne Grenzen für die Einsetzung eines Sonderbeauftragten der UN für den Schutz von Journalisten ein. "Natürlich ist das auch ein Ziel, und es gibt auch verschiedene Staaten, die das unterstützen. Der deutsche Bundestag hat 2016 als weltweit erstes Parlament die Einsetzung eines solchen Sonderbeauftragten unterstützt. Die deutsche Bundesregierung hat sich dann im vergangenen Dezember explizit hinter diese Forderung gestellt. Es gibt auch andere Staaten, die das befürworten, aber es sind noch nicht genug", so Mihr. Das Tribunal sei somit auch Teil der Überzeugungsarbeit, um auf die dringliche Notwendigkeit eines UN-Sonderbeauftragten hinzuweisen.
"Was fehlt, ist ein ständiges Instrument, das die Durchführung internationaler Ermittlungen ermöglicht", bestätigte die UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit, Irene Khan, in ihrem Statement während der Auftaktveranstaltung des Tribunals in Den Haag. Jedoch: "Die Einrichtung eines unabhängigen Ermittlungsmechanismus kann kompliziert sein", daher schlug sie als Übergangslösung eine Art "Task Force" aus Experten vor, bestehend aus Forensikern und Sachverständigen, auf die bestehende UN-Institutionen zurückgreifen könnten.
Positivbeispiel Kolumbien
Solange die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten aufgrund des Widerstandes diverser Regierungen auf sich warten lässt, muss man sich mit kleinen Erfolgen auf regionaler Ebene begnügen. Erfolge, die bekräftigen, dass eine ständige Einrichtung in der Lage ist, Regierungen an ihre Pflichten zu erinnern. Der Fall der kolumbianischen Journalistin Jineth Bedoya Lima ist ein aktuelles Beispiel.
Mitte Oktober bescheinigte die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) den kolumbianischen Institutionen eine Mitverantwortung für die Entführung, Vergewaltigung und Folter der Journalistin im Jahr 2000. Außerdem stellte die CIDH schwere Versäumnisse bei der juristischen Aufarbeitung des Falles fest. Eine schallende Ohrfeige für die Regierung des konservativen Präsidenten Iván Duque. Die CIDH ist ein Organ der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und untersucht Fälle von Menschrechtsverletzungen in der Region.
Im Tribunal gegen Straflosigkeit in Den Haag werden nach drei Anhörungen zwischen Januar und März 2022 die Schlussplädoyers am 3. Mai 2022 gehalten, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit. Für Joel Simon, Geschäftsführer vom Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) steht das Urteil schon fest: "Regierungen haben einen Mangel an politischem Willen zur Lösung dieser Fälle gezeigt. Die Folge ist, dass der globale Informationsfluss untergraben wird, dass kritische journalistische Informationen unterdrückt werden, dass dringend gebrauchte Journalisten ermordet werden und die Mörder dieser Journalisten nicht vor Gericht gestellt werden. Zensur wird durch Mord erreicht."