Transnistrien: Politik der kleinen Schritte
1. Juli 2016DW: Herr Meier-Klodt, der Transnistrien-Konflikt ist auch 25 Jahre seit Beendigung der Kampfhandlungen noch weit von einer Lösung entfernt. Es muss schon als Erfolg gewertet werden, wenn die Konfliktparteien - die moldauische Regierung und die Vertreter der separatistischen Region Transnistrien - wieder miteinander reden. Dass die beiden Seiten nach einer 2-jährigen Unterbrechung im sogenannten 5+2 Format wieder an einem Tisch sitzen, ist dem deutschen OSZE-Vorsitz zu verdanken. Wie sieht der weitere Fahrplan aus? Wie könnte aus Ihrer Sicht eine dauerhafte Lösung des Konflikts aussehen?
Cord Meier-Klodt: Der Transnistrien-Konflikt ist von einer umfassenden Lösung in der Tat leider immer noch weit entfernt. Das Treffen im 5+2 Format, das wir Anfang Juni hier in Berlin hatten, kann trotzdem als eine Art Durchbruch gewertet werden. Es war eben nicht ein Treffen um des Treffens Willen wie so oft zuvor. Zum ersten Mal seit fünf Jahren hat es am Ende einer solchen offiziellen Begegnung ein im Konsens zwischen allen Partnern vereinbartes Protokoll gegeben: Mit einer „Roadmap“, mit Fristen, mit konkreten Themen. Alles zusammen genommen ist das ein Schritt von neuer Qualität.
Dahinter steht auch ein ganz neuartiges Engagement der beiden Konfliktparteien, sich regelmäßig zu treffen und aktiv Lösungen für praktische Fragen zu finden. Mindestens so wichtig an diesem Erfolg ist jedoch die Tatsache, dass alle internationalen Partner - neben der OSZE die beiden Ko-Moderatoren Russland und die Ukraine, aber auch die offiziellen Beobachter USA und EU - voll und mit einer Stimme hinter dem Gesamtansatz stehen. Allein dieses Phänomen, dass hier alle Beteiligten in diesen schwierigen und sensiblen Zeiten an der Wiederbelebung dieses Konzepts gemeinsam arbeiten, kann gar nicht genug betont werden.
Machbare Schritte zum Wohle der Menschen
Was hat Sie denn bewogen, gerade diesen Ansatz der kleinen konkreten Schritte zu wählen?
Ein Vorsitzjahr ist kurz. Da war es sehr wichtig, realistische Ziele zu setzen, die dazu führen, dass die Seiten Fortschritte erreichen können. In engen Konsultationen bereits im Vorfeld ist mir klar geworden, dass beide Seiten noch weit von der umfassenden gemeinsamen Vision einer Lösung entfernt sind. Eine solche als Vermittler gleich in einem ersten Schritt zu fordern, hätte den Interessen der Seiten mithin nicht entsprochen. Der Prozess wäre zum Halten gekommen, bevor er überhaupt wieder begonnen hätte.
Wir haben uns stattdessen auf machbare Schritte zum Wohle der Menschen auf beiden Seiten des Ufers Dnjestr verständigt, um den Prozess überhaupt wieder in Gang zu bringen, um Vertrauen und kleine Erfolgsgeschichten zu schaffen, auf denen aufgebaut werden kann. Dafür wurden gemeinsam mit Chisinau und Tiraspol konkrete Bereiche bestimmt, in denen Kompromisslösungen bereits weit fortgeschritten waren und zügige Lösungen möglich sind: Umweltprojekte, Telekommunikation, Apostillierung (Echtheitsnachweis) von transnistrischen Universitätsdiplomen, private Kfz-Nummernschilder für Auslandsreisen auch nach Europa. Diese Themen bilden nun auch den zentralen operativen Teil des 5+2-Protokolls.
Die kleinen Schritte, die jetzt erzielt worden sind, werden aber doch von Kritikern in der Republik Moldau als Bestätigung des Versuchs Transnistriens gewertet, quasi durch die Hintertür die Anerkennung ihrer separatistischen Bestrebungen zu erreichen. Der OSZE wird vorgeworfen, einen gewissen Druck auf Chisinau auszuüben, um die „Roadmap“, von der Sie sprechen, zu akzeptieren. Nehmen Sie diesen Vorwurf ernst?
Ernst nehmen muss man den Vorwurf natürlich, aber für berechtigt halte ich ihn nicht. Was ist denn die Rolle der OSZE und des Vorsitzes? Wir sind doch vor allem Vermittler zwischen den Interessen und sozusagen Schiedsrichter über die Einhaltung der Regeln und Rahmenbedingungen. Wenn beim Fußball – wir schauen doch alle gerade die Europameisterschaft - der Ball ins Aus fliegt, muss der Schiedsrichter abpfeifen, damit er wieder ins Feld gespielt wird. Der lange Prozess der Konfliktlösung zu Transnistrien hat ebenso seine festen Regeln und Rahmenbedingungen. Diese werden jedes Jahr wieder von allen 57 Mitgliedern der OSZE auf dem Ministerrat bestätigt: Angestrebt wird eine Lösung im Rahmen einer souveränen Republik Moldau, in ihrer territorialen Unversehrtheit und mit einem Sonderstatus für Transnistrien. Dieser Dreiklang liegt allen Bemühungen der OSZE zu Grunde und verpflichtet natürlich auch den jeweiligen Vorsitz.
Wenn wir also nun gemäß unserem Mandat darauf drängen, dass die gemeinsam vereinbarten Schritte auch entschlossen umgesetzt werden, dann ist dies keine unzulässige Druckausübung, sondern schlicht unser Job.
Es ist die Pflicht des Vorsitzes, die Seiten nach bestem Wissen und Gewissen bei einer Kompromissfindung auf der Basis ihrer jeweiligen Interessen zu unterstützen. Und wie der Schiedsrichter im Fußball hat er darauf zu achten, dass der Ball im Feld bleibt oder gegebenenfalls ins Feld zurückgespielt wird.
Licht am Ende des Tunnels
Der Krieg im Osten der Ukraine und die Annexion der Krim durch Russland haben zu einer zusätzlichen Destabilisierung der gesamten Region geführt. Welche Schritte muss Moskau gehen, um als vertrauenswürdiger Partner im 5+2-Format von allen Seiten akzeptiert zu werden?
Gerade wegen des hochsensiblen regionalen Umfelds ist es doch so bemerkenswert, dass sich alle genannten Partner im Kontext der Transnistrien-Konfliktlösung gemeinsam bereitgefunden haben, an der von uns vorgeschlagenen Strategie mitzuwirken. Dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Das hat auch Russland in sehr konstruktiver und gezielter Weise getan. Aber ebenso hilfreich und wichtig war auch die aktive Unterstützung durch die Ukraine sowie durch die beiden Beobachter USA und EU.
Viele Menschen in Transnistrien haben - dank ihres moldauischen Passes und der EU-Visafreiheit - das Land verlassen. Der Anstieg des Asylbewerber aus dieser Region in Deutschland ist sprunghaft gestiegen - im ersten Quartal des Jahres waren es laut BAMF knapp 1.400. Armut, Menschenrechtsverletzungen, eingeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit sind die Hauptgründe für die Flucht aus der Region. Hinzu kommt die andauernde politische Instabilität. Wie kann die EU, wie kann Deutschland vor Ort Anreize schaffen, um die Lebensbedingungen in Transnistrien und allgemein in der Republik Moldau zu verbessern?
Man hört ja doch immer wieder, dass die Lösung des Transnistrien-Konflikts für die Menschen in beiden Landesteilen eine relativ geringe Priorität habe. All die Details, die Sie angesprochen haben, zeigen aber doch, dass das nicht so sein sollte. Ein ungelöster Konflikt belastet das Land in vielfacher Hinsicht. Das war der Grund, warum der amtierende OSZE-Vorsitzende, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, mehrmals betont hat, dass die Lösung der sogenannten verschleppten Konflikte im OSZE-Raum für unseren Vorsitz eine der Prioritäten darstellt. Es sind Konflikte, die auf dem Rücken der Menschen ausgetragen werden und den Ländern langfristig schaden. Wenn man sich dieser Konflikte aber aktiv annimmt, gibt es eine Chance zur Verbesserung. Was Transnistrien angeht, glaube ich, dass wir wieder etwas Licht am Ende des Tunnels sehen. Es gibt Fortschritte, die bei entsprechendem politischen Willen bereits in einer ersten Phase des Prozesses zu konkreten Verbesserungen für die Menschen führen können. Daneben gibt es eine Vielzahl von Projekten im Rahmen der vertrauensbildenden Maßnahmen, die von der EU, auch von Deutschland, gefördert werden. Es ist ein Ziel unseres OSZE-Vorsitzes, die Wirkung solcher Maßnahmen zu steigern.
Rumänien - Nachbar- und "Schwesterland" der Republik Moldau - hat bisher eher zurückhaltend auf die Dauerkrise an seiner östlichen Grenze reagiert. Die Wiedervereinigung ist offiziell kein Thema, obwohl Unionisten auf beiden Seiten des Pruth immer wieder das "deutsche Modell" einer erfolgreichen und friedlichen Wiedervereinigung erwähnen. Erwarten Sie von Bukarest eine aktivere Beteiligung in der Region - und wenn ja, wie könnte diese aussehen?
Es ist richtig, dass Rumänien in besonderem und umfassendem Maße an der Republik Moldau und auch an der Lösung des Transnistrien-Konflikts interessiert ist. Gerade deswegen bin ich sehr dankbar, dass Bukarest die Linie, die insgesamt von der EU vertreten wird, deutlich unterstützt. Wegen der Bedeutung der Stimme Rumäniens in der Republik Moldau habe ich es mir zur Regel gemacht, Rumänien, obgleich nicht unmittelbarer Teil des 5+2 Prozesses, immer sehr eng in die Konsultationen mit einzubeziehen.
Welches sind die nächsten Schritte Ihrer Sondermission?
Als nächstes Etappen-Ziel bereiten wir informelle Gespräche im Rahmen der sogenannten „Bayern-Konferenz“ im Juli vor. Das Protokoll des Treffens in Berlin nennt diese Konferenz ausdrücklich als Zielpunkt für die Umsetzung der ersten konkreten Fragen. Es wird sich zeigen, was in diesem Jahr noch möglich ist. Wie Sie wissen, finden in diesem zweiten Halbjahr auf beiden Seiten Wahlen statt. Das wird sicherlich Einfluss haben auf die weiteren Möglichkeiten, aber das Ziel ist klar: Es geht jetzt darum, den Durchbruch und neuen Trend so zu verstetigen, dass der neue OSZE-Vorsitz im Jahr 2017, Österreich, auf einer guten Grundlage aufbauen kann.
Botschafter Cord Meier-Klodt ist Sonderbeauftragter des OSZE-Vorsitzes 2016 für den Transnistrienkonflikt